Ethnozid – der Mord an der Kultur (1)

Der Begriff und seine Bedeutung

Genozid ist ein sehr umfassendes Verbrechen. Bereits Raphael Lemkin, von dem der Entwurf der UN-Genozid-Konvention im Wesentlichen stammt, verstand unter Völkermord eine vollständige Zerstörung einer Nation oder Gruppe, die sich nicht allein auf die physische Ausrottung beschränkte: Genozid, so schrieb Lemkin 1944 in seinem Buch Axis Rule in Occupied Europe, „bezeichnet eher einen koordinierten Plan verschiedener Handlungen, die auf die Zerstörung der Lebensgrundlagen nationaler Gruppen abzielen, mit dem Ziel, die Gruppen selbst zu vernichten. Die Ziele eines derartigen Plans wären die Auflösung der politischen und sozialen Einrichtungen, der Kultur, Sprachen, Nationalgefühle, Religion und der wirtschaftlichen Existenz nationaler Gruppen sowie die Zerstörung der persönlichen Sicherheit, Freiheit, Gesundheit, Würde und sogar des Lebens der Individuen, die solchen Gruppen angehören.“

Entsprechend diesem Verständnis von Völkermord wurde bei der Diskussion um den Entwurf der UN-Völkermordkonvention als „dritte Kategorie neben dem physischen und biologischen Völkermord der kulturelle Völkermord genannt, den vor allem französischsprachige Autoren auch als ‚Ethnozid‘ bezeichnen. Darunter wird das Ensemble sämtlicher schul-, kultur-, sozial- und verwaltungspolitischer Maßnahmen verstanden, die zwar nicht zur physischen Vernichtung der Einzelmitglieder eines verfolgten Kollektivs führen, gleichwohl aber auf die Zerstörung ihrer Identität als Mitglieder dieser Gruppe abzielen. Obwohl Artikel III des Entwurfs der Völkermordkonvention gestrichen wurde, weil in den damaligen Debatten sich die Mehrheitsauffassung durchsetzen konnte, der kulturelle Völkermord sei als Verletzung der Menschen- und Minderheitenrechte nicht Bestandteil einer auf Straftaten abzielenden Konvention, so halten heute viele Autoren zu Minderheitenfragen den Ethnozid für eine ‚logische Folge des physischen Völkermords‘ und damit für einen Bestandteil der allgemeinen Völkermordproblematik (2) . Ethnozidverbrechen werden zumeist an Völkern bzw. Minderheiten begangen, die wie die Armenier zuvor durch physische Vernichtung zu einer numerisch unbedeutenden Minderheit ‚reduziert‘ wurden. Allerdings zeigt gerade auch das Beispiel der Armenier, dass schon die im 19. Jahrhundert von der osmanischen Regierung angewandten Maßnahmen zumindest teilweise der landläufigen Auffassung von Ethnozid entsprachen.“ (3) Zu diesen Maßnahmen gehörten administrative Einteilungen, in deren Folge die Opfer der Ethnozidpolitik in ihrer eigenen Heimat zur Minderheit gemacht wurden, sowie die Umwandlung von Toponymen (Ortsnamen), in deren Ergebnis der Begriff Armenisches Hochland durch „Ostanatolien“ersetzt wurde (2. Hälfte des 19. Jhs.).

In der Erstfassung der UN-Genozidkonvention (1947) war die Aufnahme eines Artikels zur Bestrafung von cultural genocide (kultureller Völkermord) noch vorgesehen. „Er sollte die ‚Zerstörung der besonderen Charakteristika einer verfolgten Gruppe durch erzwungenes Exil, Verbot der Nationalsprache, Vernichtung seiner Bücher und ähnliche Akte‘ (Robinson 1960, 19) unter Strafe stellen. In der Endfassung von 1948 ist der Terminus entfallen. Der von ihm gemeinte Sachverhalt wird heute unter dem Terminus Ethnozid gefasst: “Das Verbot muttersprachlichen Unterrichts und die Kindeswegnahme bilden typische ethnozidale Maßnahmen. Das jüngste Beispiel ist die Arabisierung Algeriens, wodurch ein Drittel der Bevölkerung – ca. sieben Millionen Berber – um ihre Sprache gebracht werden soll. Letzteres ist durch den Artikel 2 (e) der Völkermordkonvention seit 1948 ein internationales Kriminaldelikt.

Beispiele des Ethnozids

Schon aus diesen knappen allgemeinen Hinweisen wird erkennbar, dass die Beispiele für Ethnozid noch häufiger auftreten als die der biologischen Ausrottung. Wir müssen uns – pars pro toto – bei der Dokumentation von Beispielen einschränken und beginnen auf dieser Seite (4) mit zwei Länderbeispielen, Aserbaidschan und der Türkei. Beide zeigen aus nationalistischen Gründen ein ausgesprochen aggressives Verhalten gegenüber dem materiellen Kulturerbe der nur noch als zahlenmäßig geringe Minderheit im Land vertretenen Armenier: im Fall der Türkei noch 60.000 bis höchstens 70.000 christlichen Armenier, im Fall Aserbaidschans sogar nur 300 (seit 1991). Obwohl es sich bei dem materiellen armenischen Kulturgut um Baudenkmäler von teilweise herausragender künstlerischer und historischer Bedeutung handelt, wie beispielsweise die Heilig-Kreuz-Kirche (Surb Nschan) auf der Vansee-Insel Achtamar oder die Ruinen der einstigen Hauptstadt Ani des armenischen Königreiches von Schirak, hat die Türkei diese Bauten nicht als schützenswertes Menschheitserbe bei der UNESCO registrieren lassen. Allerdings hat die türkische Zeitung „Radikal“ am 24. Juni 2005 mitgeteilt, dass Surb Chatsch restauriert wird. Der Leiter des Restaurationsunternehmens, Cahid Seydanlı, hatte zuvor den armenisch-apostolischen Patriarchen der Türkei, Mutafjan, getroffen, der den armenischen Architeken Sakaria Mildanoğlu vorschlug. Dass der türkische Regierungschef Erdoğan sowie der Regierungschef der Provinz Van, Niasli Taneler ebenfalls die Restauration abgesegneten, belegt, welches Politikum in der Türkei die eigentlich selbstverständliche Erhaltung armenischer Kulturdenkmäler noch immer darstellt. Die Dauer der Restauration wird bis zum Ende des Jahres 2006 veranschlagt. Italienische Fachleute sollen zur Teilnahme an den Arbeiten eingeladen und ein besonderer Mörtel benutzt werden. Die Untersuchung der Steine soll im Ausland erfolgen. Man kann nur hoffen, dass es unter solchen Voraussetzungen zu keinen Verschlimmbesserungen wie in Kars kommt.

I. Verhasstes Erbe: Armenische Baudenkmäler in den Republiken Türkei und Aserbaidschan

a) Türkei

„Nach Angaben des armenisch-apostolischen Patriarchats zu Konstantinopel gab es vor dem Ersten Weltkrieg in Westarmenien bzw. im osmanisch beherrschten Teil Armeniens 2.200 Klöster und Kirchen, von denen mindestens 2.150 während des Völkermordes geplündert und niedergebrannt wurden, darunter herausragende Beispiele der frühchristlichen Architektur aus dem 7. Jahrhundert. Die Pogrombanden plünderten und zerstörten damals unter anderem das Kloster des Täufers Johannes (Surb Karapet) in Musch.
Bei den Brandschatzungen wurden insgesamt über 20.000 armenische Handschriften und Frühdrucke in Kirchen und Klosterbibliotheken vernichtet. Buchilluminationen und Buchdruck bilden bekanntlich einen der wichtigsten Beiträge der Armenier zur Menschheitskultur.“ (5)
Bis heute macht sich die Regierung der Republik Türkei der fortgesetzten Vernachlässigung und sogar mutwilligen Zerstörung materieller armenischer Kulturgüter schuldig, trotz mehrerer auch von der Türkei unterzeichneter internationaler Abkommen zum Schutz von Minderheitenkulturen.
Türkische Behörden haben bis vor wenigen Jahren den in der Türkei vertretenen armenischen Kirchen (armenisch-apostolisch, armenisch-uniert, evangelische Armenier) den Erhalt ihrer gottesdienstlich genutzten Kirchen und Kapellen in vielfacher Weise erschwert oder sogar unmöglich gemacht. Jede Restauration, Erneuerung oder gar der Um- und Ausbau von Kirchen, die einen bestimmten Kostenrahmen überschreiten, unterliegt der Genehmigung durch das Vakiflar Genel Müdürlügü (Generaldirektorion für fromme Stiftungen) und seit einigen Jahren auch durch das Außenministerium. Dieses Verfahren wurde nie vereinbart und steht im Widerspruch zu den Minderheitenschutzbestimmungen im Lausanner Vertrag von 1923 (Art. 40, Satz 2 VL).

In der Vergangenheit wurden Renovierungsgenehmigungen oft unter dem Vorwand des Baudenkmalschutzes verweigert. Dringende Reparaturarbeiten wurden auf diese Weise jahrelang verzögert oder verhindert. Der Neubau von Kirchen war ausgeschlossen, während andererseits die Zahl der Moscheen in der Türkei ständig zunahm; sie lag um 2001 bei 70.000.
Während die Pflege benutzter armenischer bzw. christlicher Gotteshäuser behördlich erschwert wurde, wird das reiche und kunsthistorisch äußerst wertvolle architektonische Erbe der Armenier systematisch und mutwillig vernachlässigt. Die Vernachlässigung und Zerstörung sakralen und weltlichen architektonischen Erbes ist in der Vergangenheit oftmals von armenischen und nicht-armenischen Wissenschaftlern dokumentiert worden. In einer erdbebenintensiven Region mit starken Temperaturunterschieden im Winter und Sommer gelegen, bedürfen Baudenkmäler im Armenischen Hochland besonders intensiver Pflege und Restauration. Doch armenische Kirchen und Klöster wurden seit Gründung der Republik Türkei zerstört oder zweckentfremdet als Viehställe, Lagerräume, als Gefängnisse oder sogar Toiletten genutzt. Ihre armenische Identität wird unterschlagen, bestritten oder verfremdet; in einigen Fällen wurden armenische Baudenkmäler als Beispiele seldschukischer Architektur unter Denkmalschutz gestellt, in anderen baute man sie zu Moscheen um. Dazu gehörte makabererweise auch die armenische Kathedrale von Urfa, in der Ende 1895 dreitausend Armenier lebendig verbrannt wurden – ein Ereignis, das die amerikanische Missionarin Corinna Shattuck als Holocaust bezeichnete. Ausgerechnet diese Kathedrale hatte, um den Sarkasmus auf die Spitze zu treiben, seit der Vernichtung der armenischen Bevölkerung Urfas im Oktober 1915 der örtlichen Feuerwehr als Spritzenhaus gedient und wurde 1993 zur Moschee umgebaut.

Die Liste der aktiven und passiven Zerstörung armenischer Baudenkmäler in der Republik Türkei ist lang. Hier einige Beispiele:

  • Die im fünften Jahrhundert errichtete Kirche Surb Sargis (Heiliger Sergios) von Tekor (heute Dikor), die als früheste Kuppelbasilika in Armenien gilt, stand bis zum Jahr 1912 unbeschädigt, als ein Erdbeben die Kuppel, den Großteil des Daches sowie der Südfassade einstürzen ließ (die Datierung des Bebens variiert in einigen Büchern). Ein weiteres Beben 1936 verursachte zusätzlichen Schaden in unbekanntem Ausmaß. Der gegenwärtige Zustand der Reste – Bruchstücke des völlig seiner Steinverblendung beraubten Gussmauerkerns ist größtenteils auf das Wirken des Menschen und nicht der Beben zurückzuführen. (6)
  • Die vermutlich im siebten Jahrhundert errichtete Kirche von Sipni in dem gleichnamigen Dorf (heute Warli) wurde zu einer Moschee umgewandelt. (7)
  • Das Kloster des Heiligen Apostels Bartholomäus, das in der altarmenischen Provinz Arbak (Waspurakan) an der überlieferten Stätte seines Martyriums errichtet wurde und als einer der bedeutendsten Wallfahrtorte des armenischen Volkes und der gesamten christlichen Welt galt, wurde gesprengt.
  • Das Kloster des Heiligen Karapet (Johannes der Täufer) wurde 1915 geplündert und teilweise vernichtet. In den 1960er Jahren wandelten es Schiessübungen der türkischen Artillerie in einen Steinhaufen. Danach wurden die Steine zur Gründung eines Dorfes an der selben Stelle benutzt.
  • Das Kloster von Warag (Waragawank auf Armenisch, Yedi Kilise im Türkischen), unweit von Van, wurde am 30. April 1915 im Zuge der Belagerung der Stadt Van von der türkischen Armee zerstört. Später entstand das kurdische Dorf Bakraçli um die Ruinen der verbliebenen Kirchen. Einige Teile des Klosters wurden als Warenlager und Kuhstall verwendet. Waragawank ist nun seinem “natürlichen Verfall“ überlassen. (8)
  • Einzig die Kirche des Surb Sargis (Hl. Sergios) steht von den einst fünf Kirchen des Klosters Chtsgonk (9-11. Jh.; Beşkilise auf Türkisch), das bis 1920 in Gebrauch war, als die restliche armenische Bevölkerung des Gebiets von Kars von den Türken vertrieben wurde. Danach wurde die Gegend zum militärischen Sperrgebiet erklärt und war für Besucher unzugänglich (noch bis 1984 brauchte man eine Sondergenehmigung, um zur Basilika von Dikor/Tekor zu fahren). Als das Kloster Chtsgonk 1959 wieder von Historikern besucht werden konnte, stand nur noch Surb Sargis. Es wird berichtet, dass damals die Dorfleute sagten, die Kirchen seien von türkischen Soldaten gesprengt worden. Die heutigen Einwohner des nahegelegenen Dikor bestätigen dies bis auf den heutigen Tag. Es gibt kaum Zweifel, dass die Zerstörung durch Sprengstoff hervorgerufen wurde. Teile des Mauerwerks der zerstörten Kirchen wurden weit von ihrem ursprünglichen Standort geschleudert. Die Abhänge zwischen den Bergausläufern wurden mit verstreuten Bruchstücken aufgefüllt, mit Trümmern der von Inschriften bedeckten Mauern, Pfeilerfragmenten und Teilen des Steinmetzdekors. Der Schaden an der Kirche des Surb Sargis ist noch beweiskräftiger: Die Seitenwände der Apsiden und Kapellen wurden nach außen gedrückt, offensichtlich von Sprengstoff, der im Inneren deponiert war. Die Lage eines modernen datierten Graffiti (so angebracht, dass es durch ein nun zerstörtes Fenster erleuchtet wurde) legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Zerstörung einige Zeit nach dem Jahr 1955 stattfand. (9)
  • Die Kirche der Heiligen Apostel (Arakeloz) in Kars wurde 1988 in eine Moschee umgewandelt.
  • Zahlreiche Steinfragmente mit wertvollen armenischen Steingravuren und Inschriften wurden 1973 in Bitlis für Reparaturarbeiten an einer Moschee benutzt.
  • William Dalrymple beschreibt Beispiele der systematischen Vernichtung armenischen Kulturerbes (Kirchen, Steinkreuze (chatschkarner)). Er schreibt unter anderem: „Beim Bau des Keban-Staudammes 1965 wurde der künstliche See zur Bedrohung für eine Reihe historische Denkmäler, so dass sich die Aufgabe ihrer Rettung stellte. Fünf Denkmäler waren besonders bedeutend: ein Paar schöner osmanischer Moscheen, eine kleine syrisch-orthodoxe Kirche sowie zwei armenische Kirchen, von denen die außergewöhnliche Fresken des zehnten Jahrhunderts enthielt. Der Bergungsvorgang wird im Middle East Technical University (Ankara) Keban Project Proceedings beschrieben. Der Bericht verzeichnet, wie die beiden Moscheen Stein um Stein an einen neuen Standort versetzt wurden. Die syrisch-orthodoxe Kirche wurde vermessen und ausgegraben. Die zwei armenischen Kirchen jedoch hat man vollständig ignoriert. Obwohl sie die ältesten und vielleicht interessantesten der bedrohten Baudenkmäler darstellten, wurden sie in dem Bericht nicht einmal erwähnt. Nun liegen sie für immer unter den Fluten des Sees.“ (10)
  • Beim Bau des Birecik-Stausees wiederholte sich diese Vorgehensweise. Hier verschwand unter anderem die mittelalterliche armenische Klosterfestung Hromkla (türk. Rum Kale) am Euphratoberlauf, von 1147 bis 1292 Sitz der armenischen Katholikoi und eines Skriptoriums, aus dem die besten Leistungen armenischer Buchmalerei hervorgingen.

Während Beispiele mutwilliger Zerstörung zumindest bis in die 1970er Jahre nachweisbar sind, tritt seit den 1990er Jahren das Problem der Verschlimmbesserungen durch sogenannte Ausgrabungen und dilettantische Restaurationen auf. Besonders kritikwürdig sind in diesem Zusammenhang die an der Hauptstadt Ani des einstigen mittelalterlichen armenischen Königreichs von Schirak durchgeführten Ausgrabungen. „Seit 1991 begannen archäologische Ausgrabungen an verschiedenen Bauwerken in Ani. Diese Ausgrabungen erfolgen unter der Leitung von Professor Beyhan Karamağarali von der Hacittepe University, Ankara. Kritiker haben hervorgehoben, dass sie keine Ahnung von armenischer Kunst besitzt, und dass das meiste ihrer Arbeit in Ani kaum etwas mit echter Archäologie zu tun hat, sondern hauptsächlich darin besteht, Abfall und herabgefallenes Mauerwerk zu räumen, dass sich über einem Gebäude angesammelt hat, um etwaige noch vorhandene Grundmauern freizulegen. Material, das moderne Archäologen sorgfältig verzeichnen und studieren würden, wird schlicht verworfen. Fest steht, dass sie nur selten auf der Ausgrabungsstätte anwesend ist, sondern ihre Ausgrabungen nur zu gern den Schaufeln und Hacken unbeaufsichtigter Arbeiter überlässt. (11)

„1995 wurde ausgedehnte Ausgrabungen entlang der gesamten Außenmauer zu beiden Seiten in Angriff genommen. Jahrhunderte alter Abfall, der sich an der Basis der Mauern angesammelt hatte, wurde abgetragen – an einigen Stellen über dreieinhalb Meter. Dies war nicht der Versuch einer archäologischen Ausgrabung, denn es waren keine Archäologen anwesend und es wurde keine Sichtung des geräumten Materials durchgeführt, sondern es wurde einfach auf Kipplastwagen entsorgt und abgefahren. Der Großteil der Ausgrabung wurde unter Einsatz schweren Geräts einschließlich Baggern und Schaufelbaggern durchgeführt.

Diese Arbeit erfolgte als Vorspiel der ‚Restauration‘ der Stadtmauern, organisiert und bezahlt vom türkischen Kulturministerium. In der Türkei heißt Restauration meist schlicht Zerstörung, der eine primitive Nachbildung folgt – viele historische Denkmäler in jenem Land wurden irreparabel durch solche ‚Restaurationen‘ zerstört, und die Mauern von Ani sollten keine Ausnahme bilden. (…). 1998 endete die Arbeit an den Mauern, nachdem die Endergebnisse einige Verurteilung erfahren hatten.

Allerdings machten örtliche Bauunternehmer und Politiker (die oft die selben Leute sind: die MHP, die in Kars an der Regierung ist, ist dafür bekannt, dass sie eng mit der türkischen Bauindustrie verfilzt ist) mit den ‚Restaurationen‘ das große Geld. 1999 wurde der Vernichtungsprozess auf noch höherer Ebene fortgesetzt. Jetzt verfügten die Arbeiter über eine Steinschneidefabrik an Ort und Stelle. Die Mauern dieser Fabrik waren vollständig aus Steinen errichtet, die von den Ruinen geraubt worden waren.

Diese ‚Restaurationen‘ haben nichts mit der Erhaltung der Gebäude oder der Belebung des Tourismus zu tun, und ihre abstoßenden Ergebnisse entspringen weder einfach schlechter Planung, noch mangelndem Wissen über das, was getan werden muss – es bestand niemals ein echter archäologischer Grund, um diese Arbeit zu beginnen, denn sie verstößt gegen jegliche anerkannte moderne archäologische Konservierung, wie sie sonst überall auf der Welt üblich ist.

Die Wahrheit ist, dass die überlebenden Denkmäler Anis wie ein offener Bergwerkschacht ausgebeutet werden, um daraus Geld zu machen. So lange wie Ani von Politikern in Ankara als Kanal zur Umleitung von Staatsgeld in die Taschen ihrer örtlichen politischen und geschäftlichen Verbündeten in Kars – Professor Karamağarali soll sie als Mafia bezeichnet haben – solange werden die ‚Restaurationen‘ fortgesetzt, bis alles in Ani zerstört ist. (12)

Besonders verhängnisvoll erscheint, dass das Schicksal Anis in den Händen eines MHP-Mitglieds liegt, denn Prof. Karamağarali ist seit Mai 1998 dieser rechtsextremistischen Partei offiziell beigetreten. (13)

Wie das Beispiel Ani ferner zeigt, wird die armenische Herkunft von Baudenkmälern durchgehend verschwiegen. Stattdessen werden armenische Baudenkmäler zu byzantinischen oder türkischen Denkmälern erklärt oder mit dem Namen der Dynastie verbunden, unter deren Herrschaft sie errichtet wurden (Bagratiden in Schirak, Artsruni in Waspurakan), ohne dass die ethnische Zugehörigkeit dieser armenischen Adelsfamilien irgendwo erwähnt wird.

SYSTEMATISCHE ZERSTÖRUNG DES KULTURERBES, EINSCHÜCHTERUNG VON WISSENSCHAFTLERN

Ich hatte weitere ähnliche Geschichten über das geheimnisvolle Verschwinden armenischer Ruinen gehört, und im Jahr darauf, als ich als Journalist für den Independent arbeitete, war ich in der Lage, nähere Einzelheiten über die Sache zu erforschen. (…) Schließlich hatte ich zahlreiche Beweisstücke zusammengetragen, die die alarmierende Eile zeigten, mit der die schönen alten und architektonisch bedeutenden armenischen Kirchen Anatoliens einfach vom Angesicht der Erde verschwanden. (…) Der Zustand der Gebäude selbst war nicht sehr bedenklich. Einige waren von Erdbeben beschädigt worden, und die Bevölkerungsexplosion der Türkei hatte einen Bedarf an Baumaterial hervorgerufen, den die Kirchen befriedigten. Andere waren von türkischen Bauern vernichtend unterminiert worden, die nach ‚armenischem Gold‘ gruben, dem legendären El Dorado von Reichtümern, die, die wie man annahm, von den Armeniern vergraben wurde, bevor man sie 1915 ‚deportierte‘.

Nichtsdestoweniger war klar, dass die türkischen Behörden für Altertümer sich nicht gerade darum rissen, die armenischen Denkmäler am Verfall zu hindern. Während der 1980er Jahre waren zahlreiche seldschukische und osmanische Moscheen sowie Karawansereien restauriert und verstärkt worden, aber solche Behandlung war keiner einzigen armenischen Kirche zuteil geworden. Das armenische Kloster auf der Insel Achtamar im Wan-See, das bestreitbar das bekannteste Denkmal in Ostanatolien darstellt, hatte mit Verspätung einen Aufseher erhalten, doch dieser bot dem Verfall des Gebäudes keinen Einhalt: Fünf der Hauptreliefs, und es erfolgte keinerlei Versuch, das Gebäude in irgendeiner Form zu festigen. Ein britischer Architekturhistoriker, mit dem ich mich unterhielt, meinte, es gäbe ein ’systematisches Vorurteil‘ in dem, was die Türken restaurieren oder konservieren. Darüber hinaus war klar, dass Akademiker – sowohl Türken als auch Ausländer – aufs äußerste entmutigt wurden, an armenischen archäologischen Staaten zu arbeiten oder armenische Geschichte zu schreiben. Ein britischer Archäologe (der, wie beinahe jeder, mit dem ich mich über diese Frage unterhielt, darum bat, anonym zu bleiben) sagte mir: ‚Es ist einfach unmöglich, über die Armenier zu arbeiten. Offiziell existieren sie nicht und haben niemals existiert. Falls Sie versuchen, die Erlaubnis zum Graben an einer armenischen Stätte beantragen wollen, wird diese einfach verweigert, und falls Sie ohne Erlaubnis an die Arbeit gehen, werden Sie verfolgt werden.‘ Die Wahrheit dessen wurde anschaulich illustriert, als er den Grundriss einer bei Wan gelegenen armenischen Kirche skizzierte. Er wurde in die Polizeizentrale gebracht, wo er drei Tage und drei Nächte heftig verhört wurde. Er kaum auf Kaution frei und es gelang ihm, außer Landes zu fliehen. In seiner Abwesenheit wurde er zu drei Monaten Schwerarbeit verurteilt.

Furcht vor solchen Schwierigkeiten behindert ernsthaft die Erforschung armenischer Überreste und führt zu einer Art selektiver Blindheit bei jenen Forschern, deren berufliche Karriere es erfordert, dass sie weiterhin in der Türkei arbeiten.“

William Dalrymple: From the Holy Mountain: A Journey in the Shadow of Byzantium. London, 1997. S. 83 ff.

Nach Angaben der UNESCO aus dem Jahr 1974 wurden 464 der 913 armenischen Bauten, die nach dem Genozid noch standen, zerstört, 252 in Ruinen verwandelt und 197 erfordern dringend eine Rekonstruktion. Obwohl die Türkei ein Gesetz zur Bewahrung und Rekonstruktion historischer Denkmäler verabschiedet hat, ist bis heute kein armenisches Denkmal in der Türkei repariert worden, ohne dass seine armenische Natur verändert wurde. Nun wurde mit der „Reparatur“ der Mauern von Ani ein ganzes Programm der Verfälschung angewendet. Die armenischen Baudenkmäler werden fortgesetzt gesprengt und werden als Zielscheibe für die Ausbildung des Militärs missbraucht; ihre behauenen Steine werden als Baumaterial verwendet. (14)

Die Türkei hat zahlreiche internationale Abkommen zum Schutz von Baudenkmälern bzw. zum Schutz des Kulturerbes von Minderheiten unterzeichnet. Am 30. Mai 2000 trat die Ratifizierung der Revidierten Europäischen Konvention zum Schutz des Archäologischen Erbes in Kraft, die die Türkei am 30. November 1999 unterzeichnet hatte. „Diese Konvention aktualisiert die Konvention von 1969, um den beträchtlichen Veränderungen Rechnung zu tragen, die das archäologische Erbe in den letzten 20 Jahren dank der Entwicklung umfassender Stadtplanung sowie grossmaßstäbiger Ingenieursprojekte in den meisten europäischen Staaten betreffen.“ (15) Doch in einer am 17. August 2000 veröffentlichten Studie kam die armenische Strafverteidigerin Anahid M. Ugurlayan zu dem Schluss: „Tausende armenischer Kulturdenkmäler sind einer Politik absichtlicher Vernachlässigung seitens der Türkei ausgesetzt.“ (16)

b) Aserbaidschan

Das Repertoire an Maßnahmen, das aserbaidschanische Politiker aufbieten, um die materiellen Zeugnisse armenischer Präsenz auf dem heutigen Staatsgebiet Aserbaidschans zu leugnen oder gar zu vernichten, unterscheidet sich nicht von dem türkischen, einschließlich der Einschüchterung oder Verfolgung von Wissenschaftlern.
Ethnozidale Maßnahmen gegen armenische Baudenkmäler erfolgten bereits zur Sowjetzeit und betrafen alle Gebiete, in denen Armenier aktuell leben wie in Berg-Karabach oder bis zur Sowjetisierung gelebt hatten wie in Nachitschewan und sogar Diasporagemeinschaften wie die armenische Gemeinschaft von Baku, wo armenische Kirchen und sogar der riesige armenische Friedhof mit Tausenden bemerkenswerter Grabsteine und Inschriften zerstört wurden. Die allgemeine geschichtliche und die kunsthistorische Interpretation standen schon damals im Dienst des aserischen Ethnonationalismus. Wie kann aber ein Territorium wie Karabach (armenisch Arzach) als aserisch reklamiert werden, wenn auf ihm 20.000 armenische Baudenkmäler offiziell nachgewiesen wurden? Die Museen Sowjetaserbaidschans bedienten sich zwar zahlreicher armenischer Exponate der Volkskunst und des Kunsthandwerks, das tonnenweise aus Karabach verschleppt wurde, darunter antike Knüpfteppiche, für die Karabach besonders berühmt ist. Doch in den Museen Aserbaidschans erschienen diese Exponate als muslimisch, aserisch bzw. albanisch (17) , selbst wenn die armenische Herkunft eines Teppichs eindeutig durch eine armenischsprachige Angabe der Namen der Knüpferin in armenischen Buchstaben belegt war. (18) Wissenschaftler, die gegen diese und andere Formen des Ethnozids protestierten oder den Umfang der Zerstörung dokumentierten wie Schahen Mkrtschjan, ein namhafter Fachmann für die Geschichte und Baudenkmäler Berg-Karabachs, wurden verfolgt.

“Die kriminelle Einstellung gegenüber der Bewahrung armenischer Denkmäler“, schreibt Mkrtschjan rückblickend, „zog auch kriminelle Elemente an, die bei der Suche nach Schätzen zahlreiche unschätzbare Meisterwerke vernichteten und Friedhöfe entweihten und plünderten, wobei sie unterschiedliche technische Hilfsmittel für diesen Zweck einsetzten. Ein ähnlicher Vandalismus erfolgte gegen so berühmte architektonische Denkmäler wie Gandsassar, Chutawank, Chatrawan, Gtschawank, Hakobawank, das Kloster Jeritsmankanz, die Einsiedelei von Koschik, das Jerisch Arakjal-Denkmal etc. etc.

Bis Ende der 1970er Jahre versteckte Baku die armenischen Denkmäler sorgfältig oder ignorierte ihre Existenz. Auf Landkarten für Touristen, in Reiseführern und anderen derartigen Publikationen, die sowohl in Baku, als auch in Moskau und im Ausland erschienen, enthielten die Berg-Karabach gewidmeten Seiten Fotos muslimischer Denkmäler, die nichts mit dem Autonomen Gebiet Berg-Karabach zu tun hatten. Manchmal, wenn man nicht umhin kam, ein armenisches Denkmal zu erwähnen, wurde es mit einem entstellten Namen bezeichnet und seine albanisch-aserische Zugehörigkeit betont, obwohl kein derartiges Denkmal auf der Liste der staatlich geschützten geschichtlich-kulturellen Denkmäler auf sowjetaserbaidschanischem Territorium stand. Aber während der machtvollen Unabhängigkeitsbewegung im April 1988 wurden derartige Abstammungen hastig zusammengebraut. Und diese unter ungeheuerlichen Verzerrungen und Verfälschungen erstellte unwissenschaftliche, anti-armenische Liste enthält kein einziges armenisches Denkmal des frühen, hohen oder späten Mittelalters.“ (19)

Unter dem Vorwand der Restauration wurden in den 1980er Jahre charakteristische Baudetails armenischer Kirchen in Gandsak (Kirowakan; aserbaidschanisch: Ganja) verändert, damit die Sakralbauten als neue Meisterwerke der aserbaidschanischen Baukunst hingestellt werden konnten. Zum selben Zweck wurden die armenische Stifterinschrift sowie das Kreuz eines in der Watschagan Barepascht-Kirche befindlichen Kreuzsteins des 12. Jahrhunderts ausgemeißelt und der Stein anschließend im Regionalmuseum von Agdam als ältestes aserisches Denkmal ausgestellt. (20)

Der Unabhängigkeitsbewegung Berg-Karabachs folgten 1989 aggressivere Formen des Ethnozids. Im Juni jenes Jahres setzten Aseris die bemerkenswerte Rasantschezoz-Kirche von Schuschi (Berg-Karabach) in Brand, am 25. Dezember 1989 zerstörten sie die armenische Kirche Bakus, verbrannten sakrale Bücher, stahlen Heiligenbilder und Staatseigentum. Danach wurden die Muttergottes-Kirche des Dorfes Arakel und der Klosterkomplex von Amaras (gegründet im 4. Jh., Arzach) mit Granaten beschossen, gefolgt von den Kirchen von Noraschen, Banadsor, Tsori, einer Kapelle in Berdadsor, ohne dass sich die Täter dafür gerichtlich verantworten mussten.

Während diejenigen Teile Karabachs, die noch immer von Armeniern bewohnt werden, trotz der früheren behördlichen Vernachlässigung, der Verschleppung mobilen materiellen Kulturguts, der Verfälschungen der Identität von Baudenkmälern und anderen Manipulationen ihr armenisches Kulturerbe zu großen Teilen bewahren konnten, bietet sich in Regionen, deren armenische Bevölkerung vertrieben wurde, ein noch schlimmeres Bild. Dies betrifft beispielsweise die nördlich an das einstige Autonome Gebiet Berg-Karabach angrenzenden und zum historischen Karabach gehörenden Regionen. Allein in der historischen Region Gartmank wurden einst 5.000 Baudenkmäler gezählt, deren Schicksal gegenwärtig ungeklärt blieb.

Einer der krassesten Ethnozidfälle auf dem Staatsgebiet Aserbaidschans betrifft die Region Nachitschewan, deren armenische Bevölkerung zu Beginn der Sowjetisierung dieser Region vertrieben wurde; Nachitschewan (4.000 qkm) war 1921 auf türkisches Drängen von Moskau als „Autonome Republik“ sowjetaserbaidschanischer Herrschaft unterstellt worden, obwohl es keine gemeinsame Grenze mit Sowjetaserbaidschan besitzt; die letzten 2.000 Armenier Nachitschewans wurden 1988, nach Ausbruch des Karabach-Konflikts, vertrieben. Aserbaidschan hat seit 1922, besonders aber in den Jahren 1998 bis 2003 eines der bemerkenswertesten Denkmäler dieser historischen armenischen Region systematisch vernichtet: den an der Grenze zum Iran gelegenen, 1 500 Jahre alten armenischen Friedhof von Dschura (andere Schreibweisen: Dschugha, Jugha; pers. Dschulfa), auf dem noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts 6.000 Kreuzsteine gezählt wurden. Jeder armenische Kreuzstein ist ein Unikat und damit nicht ersetzbar. Die Kreuzsteine von Dschura (andere Schreibweisen: Dschugha, Jugha; pers. Dschulfa) bildeten eine steinerne Chronik der Geschichte des Armeniertums in dieser Region und zugleich ein einmaliges Studienobjekt für die vergleichende (Regional-)Stilkunde. In einem Appell der Research on Armenian Architecture an die UNESCO vom 9. Januar 2003 heißt es: „Unter sowjetischer Herrschaft wurde dieser historisch wie kulturell einzigartige Friedhof von Dschulfa in keiner Weise durch das Ministerium für Historische Denkmäler Aserbaidschans geschützt. Im Gegenteil, nach 1922 verschwand eine große Zahl von Kreuzsteinen. Angesichts der intensiven Beobachtung der Grenze in dieser gesperrten Militärzone konnte dies nicht ohne Kenntnis der Regierung von statten gehen. Eine größere Zerstörung stand jedoch noch bevor.

Im November 1998 beobachteten Augenzeugen vom iranischen Grenzgebiet aus, wie Grabsteine von Lastkränen ausgehoben und auf Eisenbahnwaggons verladen wurden, die sich auf dem Friedhofsgelände entlang dem Arax-Fluß befanden. Der aufgebrochene Erdboden wurde dann von Bulldozern eingeebnet. Diese Zerstörung hielt drei Wochen an, während derer an die 800 Kreuzsteine abtransportiert wurden. Es besteht Anlass zu der Vermutung, dass diese, falls sie nicht an Ort und Stelle vernichtet wurden, als Baumaterial für das Fundament von Neubauten verwendet wurden, um ihre Entfernung zu vertuschen. Der Abtransport mit der Staatseisenbahn ist ein klarer Beweis für eine geplante Aktion seitens der Regierung Aserbaidschans. Der Protest der UNESCO und anderer ihr angeschlossenen Organisationen führte zu einem Stopp dieser barbarischen Aktivitäten.

Zu unserem großen Bedauern geht die kulturelle Gewalttat nun wieder fort. Verlässliche Quellen informierten uns, dass seit dem 9. November 2002 nicht nur die Zerstörung der noch vorhandenen Gräber, sondern auch der noch vorhandenen, obwohl bereits an Zahl reduzierten Kirchen und Klöster in dem Gebiet wieder eingesetzt hat. Eine große Zahl von Arbeitern zerstört die wertvollen Relikte mittelalterlicher christlicher Kultur teilweise durch Zertrümmern und teilweise durch den Abtransport auf Lastwagen zu einem unbekannten Ziel. Doch wiederum kann dies nicht ohne Erlaubnis der Regierung geschehen.

Man kommt nicht umhin, eine direkte Parallele zwischen der fundamentalistisch motivierten Zerstörung der Buddhastatuen durch die Taliban in Afghanistan zu ziehen, was zu weltweitem Protest geführt hat. In diesem Fall haben wir es mit der systematischen Auslöschung religiös benutzter Denkmäler einer fremden Kultur zu tun, deren historische Spuren mit einem Unterschied entfernt werden: Die Zerstörung in Nachitschewan betrifft die europäische Kulturgeschichte.

Aserbaidschan hat 1993 ein Abkommen mit der UNESCO über die Bewahrung des Weltkultur- und Naturerbes geschlossen und besitzt eine Vertretung bei der parlamentarischen Versammlung des Europa-Rates. Entsprechend hat sich Aserbaidschan den Zielen dieser Einrichtung verpflichtet und sollte für diese Akte zur Verantwortung gezogen werden.“

Dennoch gingen die Zerstörungen ungehindert weiter. Am 10. Januar 2003 konnte RAA nur noch rückblickend klagen: „Dieser 1.500 Jahre alte Friedhof wurde inzwischen vollständig eingeebnet.“ Fotos, die von der iranischen Seite des Arax-Tales aufgenommen wurden, belegen detailliert und in erschütternder Eindeutigkeit diesen Kulturmord, der im übrigen – wie alle derartigen Verbrechen in der Geschichte des türkischen und aserbaidschanischen Ethnozids – in völliger Missachtung der sonst im Orient besonders heiligen Totenruhe verübt wurde. Damit ist der aserbaidschanische Nationalismus seinem Ziel, Zeugnisse einstiger armenischer Präsenz auf seinem Staatsgebiet zu entfernen, einen großen Schritt weitergekommen.

Was verloren ist, bleibt verloren. Dieser Verlust betrifft indessen nicht allein die armenische Nation, sondern stellt einen Verlust an Menschheitserbe dar. Nur noch an Hand von Fotodokumenten werden Wissenschaftler künftig die steinerne Chronik von Dschura (andere Schreibweisen: Dschugha, Jugha; pers. Dschulfa) studieren können, aber dieses Studium auf dem Papier oder Bildschirm kann nicht die Feldarbeit oder archäologische Studien ersetzen.

Zur Anschauung dafür, was bis vor kurzem war und dann vor unseren Augen für immer zerstört wurde, veröffentlichen wir nachfolgend Bilddokumente, die uns Research on Armenian Architecture freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, und verweisen darüber hinaus auf die Webseite von RAA  (http://www.raa.am).

(1) Der Begriff und seine Bedeutung
(2) Vgl. Keith, Shirley: Les Indiens d’Amérique du Nord. Un peuple en voie de disparition. In: Le livre blanc de l’éthnocide en Amérique. Paris 1972, S. 15
(3) Koutcharian, Gerayer: Der Siedlungsraum der Armenier unter dem Einfluss der historisch-politischen Ereignisse seit dem Berliner Kongress 1878: eine politisch-geographische Analyse und Dokumentation. Berlin 1989, S. 18 (Abhandlungen des Geographischen Instituts/ Anthropogeographie. Bd. 42)
(4) Gemeint ist die Webseite der Arbeitsgruppe Anerkennung – Gegen Genozid, für Völkerverständigung g. e.V
(5) Koutcharian, Gerayer: Der Völkermord an den Armeniern (1915-1917). In: Hofmann, Tessa (Hg.): Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Christen im Osmanischen Reich 1912-1922. Münster, 2004. S. 64
(6) Eine ausführliche Beschreibung mit historischen und aktuellen Fotodokumenten enthält die Webseite „Virtual Ani“: http://www.virtualani.org
(7) Weitere Einzelheiten siehe unter http://www.virtualani.org/magazberd/
(8) Neglecting Armenian Monuments, Turkey Violates Lausanne Treaty. „Armenian Forum“, 17 August 2000, Internet-Fundstelle: http://www.gomidas.org/forum/af6mon.htm
(9) Vgl. auch Aufnahmen des Klosters vor und nach seiner Zerstörung bei „Virtual Ani“, http://www.virtualani.org/khtzkonk/
(10) Dalrymple, a.a.O., S. 85
(11) „Virtual Ani“. http://www.virtualani.org/history/part3.htm
(12) „Virtual Ani“: http://www.virtualani.org/history/restorations.htm
(13) Entnommen „Turkish Daily News“, May 19, 1998.
(14) The Genocide of Armenians by the Turks, a.a.O., S. 27
(15) Pressemitteilung des Press-Service, Council of Europe, 30 November 1999
(16) Neglecting Armenian Monuments, Turkey Violates Lausanne Treaty. „Armenian Forum“, 17 August 2000. Internet-Fundstelle: http://www.gomidas.org/forum/af6mon.htm
(17) Gemeint sind nicht die Albaner des Balkans, sondern ein nicht mehr existentes kaukasisches Volk gleichen Namens.
(18) Mkrtchyan, Shahen: Vandalism: A Collection of Evidential and Documentary Materials about the Destruction and Misappropriation of the Heritage of Armenian-Christian Culture in Azerbaijan. Yerevan 2002, S. 8
(19) ders., a. a. O., S. 9
(20) ders., a. a. O., S. 10