WARDAPET (ARCHIMANDRIT) KOMITAS
Biographische Skizze

Er wurde als Soromon Soromonjan am 26. September 1869 in der westanatolischen (ionischen) Stadt
Kutina (türk. Kütahya; griech. Ketaia) geboren als Sohn eines musikliebenden armenischen
Schuhmachers und seiner Frau, der Weberin Takuhi. Bereits mit elf Jahren Vollwaise, war er in seiner
Heimatstadt für seine schöne Bariton-Stimme bekannt und wurde 1881 auf Wunsch des Katholikos aller
Armenier nach Etschmiadsin gebracht, wo er gemeinsam mit zwanzig anderen ausgesuchten Waisen im
dortigen theologischen Seminar studieren sollte. Dort lernte er auch Armenisch, denn Komitas stammte
aus einem Gebiet des Osmanischen Reiches, wo die Armenier infolge einer besonders restriktiven
Sprachunterdrückung sprachlich türkisiert worden waren. 1893 wurde er zum Mönch geweiht und nahm den
geistlichen Namen Komitas zu Ehren des gleichnamigen Katholikos und Dichters geistlicher Hymnen
(scharakaner) aus dem 7. Jh. an. Er unterrichtete Musik in Etschmiadsin, gründete einen Chor und ein
Ensemble für Volkmusikinstrumente und unternahm erste Forschungen zur armenischen Kirchenmusik. Seit
Herbst 1895 begann Komitas im Ausland Musik zu studieren (Tbilissi/Georgien, am Konservatorium zu
St. Petersburg, wo er europäische Kompositionslehre studierte). 1896 nahm er, unter dem Schutz des
Katholikos und mit Förderung des größten armenischen Erdölmagnaten, Alexander Mantaschjan, ein
Musikstudium am Berliner Privat-Konservatorium von Prof. Richard Schmidt auf und studierte bis 1899
an der Friedrich Wilhelm-Universität Musikwissenschaft, Philosophie, Theologie, Ästhetik und
Allgemeine Geschichte. Im September 1899 kehrte Komitas nach Etschmiadsin zurück und setzte seine
Unterrichtstätigkeit am dortigen Seminar vor. Er besuchte verschiedene Gebiete Armeniens und
zeichnete Tausende armenischer, kurdischer und persischer Volksweisen auf, studierte die armenische
Hymnik und begann, das altarmenische Notensystem ('chaser') zu entziffern.

Seine Stellung in der armenischen Musikgeschichte ist der Belá Bartoks für die ungarische
vergleichbar: Er sammelte und verarbeitete Volksweisen, studierte aber auch die Musik der
Nachbarvölker, darunter der Kurden. Auch mit türkischen Künstlern pflegte Komitas enge Kontakte.
Noch am 2. und 3. April 1915, kurz vor seiner Verhaftung, hielt er Vorträge in einem türkischen
Kulturzentrum von Konstantinopel-Beyazit. Sein starkes Interesse an weltlicher Musik führte
unausweichlich zum Konflikt mit der Kirchenleitung. 1910 verließ Komitas Etschmiadsin und ließ sich
in Konstantinopel nieder, wo er vergeblich auf mehr Verständnis für seine Pläne hoffte. Immerhin
gründete er hier einen gemischten Chor von 300 Männern und Frauen, den er Gusan ('Barde') nannte,
und komponierte sein Meisterwerk, eine für Männerchor geschriebene Messe (arm. Patarag). Mit
ähnlichen Chorgründungen in anderen großen armenischen Gemeinschaften trug Komitas erheblich zur
Popularisierung der klassischen armenischen Musik bei.
Ende April 1915 (alten Stils) wurde Komitas ebenso wie über 2000 andere Armenier, darunter Hunderte
prominente Intellektuelle, festgenommen und unter unter dem Vorwurf des Hochverrats in die Provinz
Ankara verschleppt, in das Gefangenenlager Çankiri. Als sich die konstruierten Vorwürfe gerichtlich
nicht halten ließen, wurden die meisten Gefangenen der einstigen armenischen Elite weiter ins
Landesinnere verschleppt und bei Verhören gefoltert und ermordet.

Komitas gehörte zu den wenigen Überlebenden der um dem 24. April 1915 herum festgenommenen und
verschleppten Elite. Dank internationaler Fürsprache, vor allem aus Deutschland, kam er frei. Sein
Name befindet sich unter jenen wenigen acht Armeniern, deren Begnadigung Minister Talaat Pascha
persönlich in einem Telegramm vom 7. Mai 1915 anordnete. Aber die Entbehrungen und Schrecken der
Internierung, der Verlust seiner ebenfalls deportierten und ermordeten Schüler sowie auch seiner
wertvollen Aufzeichnungen und Forschungsarbeiten und schließlich die gesamte Ungewissheit der Lage
hatten bereits Komitas Nerven zerrüttet. Seine Wohnung befand sich unweit der Konstantinopler
Polizeizentrale, wo Armenier gefoltert und getötet wurden. Am Palmsonntag des Jahres 1916, als viele
Konstantinopler Armenier zum Gottesdienst gekommen waren, um zu hören, wie ihr geliebter Komitas die
Messe zelebrierte, brach der körperlich geschwächte und seelisch angegriffene Wardapet an der
ergreifendsten Stelle der armenischen Messliturgie, dem 'Herr, erbarme dich unser!', über dem Altar
zusammen. Denn dies war zugleich der Jahrestag, an dem er für seine Mitgefangenen in Çankiri und für
die Armenier der umliegenden Ortschaften die Messe gehalten hatte. Der hochbegabte Musiker hat seine
Schaffenskraft danach nie mehr zurückgewonnen und starb in tiefer Depression und Armut am 22.
Oktober 1935 in einer Nervenheilanstalt des Pariser Vororts Ville Jouif. Seine Symptome wurden von
zeitgenössischen Ärzten nicht als das erkannt, was erst nach den massenhaften Erfahrungen der Opfer
der Schoah und des Vietnam-Krieges als Posttraumatisches Belastungssyndrom (engl. Abkürzung: PTSD)
zum gängigen medizinischen Fachbegriff wurde.
Die Arbeitsgruppe Anerkennung ehrt Komitas als Patron ihrer Arbeit und hat sein Bildnis nicht
zufällig an oberste Stelle auf ihrer Webseite gesetzt. Wir verneigen uns tief vor der Genialität
und Kreativität dieses unter tragischen Verhältnissen lebenden und wirkenden Musikschaffenen und
erkennen in der Zerstörung seiner Schaffenskraft durch den Völkermord exemplarisch die
Destruktivität, die jeder Genozid an seinen Opfern, körperlich wie seelisch, bewirkt.
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Komitas Denkmal in Jerewan |
Komitas Denkmal in Paris - Bord de Seine |
Mehr Informationen über das Leben und Werk von Komitas bietet dieses virtuelle Museum.
http://www.komitas.am