Menschenrechtsorganisationen fordern gemeinsam mit armenischen und kurdischen Gemeinden Berlins:
Türkisch-nationalistischen „Feiertag der Nationalen Souveränität und des Kindes“ („23 Nisan Ulusal Egemenlik ve Çocuk Bayramı“ – 23.4.) in Deutschland verhindern!
Sehr geehrte Damen und Herren,
auf Initiative der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) wenden wir uns heute an Sie mit der dringenden Bitte, die Feierlichkeiten türkischer Vereine zum Tag der Staatsgründung der Türkei am 23. April nicht zu unterstützen.
In der Türkei wird der 23. April offiziell mit „Kinderfesten“ in allen Schulen und mit Militärparaden gefeiert. An diesem Tag hat General Mustafa Kemal Pascha, genannt Kemal Atatürk, 1920 dort die Große Nationalversammlung gegründet. Seit dem Jahr 2000 werden auch in Berlin und anderen deutschen Städten Kinderfeste organisiert. Mehr als 60 meist nationalistisch geprägte türkische Vereine – unter ihnen Sympathisanten der Grauen Wölfe, Angehörige des Vereins „Im Gedenken an Atatürk“ – organisieren bzw. unterstützen dieses Fest, das als internationales Kinderfest ausgegeben wird.
Während in Deutschland Angehörige der kurdischen, griechischen, armenischen und anderer autochthonen Volksgruppen der Türkei nicht zu dem Fest eingeladen werden, sieht es in der Türkei ganz anders aus. Dort muss jedes Kind an diesem Feiertag die Nationalhymne singen, in der es heißt: „Mein Leben opfere ich der türkischen Existenz“. Auch Minderheitenangehörige können sich trotz ihrer unterschiedlichen Identitäten nicht entziehen. Beides ist entlarvend für den türkisch-nationalistischen und rassistischen Hintergrund dieses „Feiertages der Nationalen Souveränität und des Kindes“.
Besondere Brisanz erlangt dieser Satz aus der Nationalhymne, wenn man sich das Schicksal der Minderheiten in der Türkei Anfang des vorherigen Jahrhunderts vor Augen führt. Damals stand das Osmanische Reich an der Seite des Deutschen Reiches. Während des Ersten Weltkrieges wurden auf dem Gebiet der heutigen Türkei 1,5 Millionen Armenier massakriert und hunderttausende vertrieben. Ein ähnliches Schicksal traf auch die in der Türkei lebenden Aleviten, Juden, christliche Assyrer-Aramäer-Chaldäer, Kurden und Griechen. Die türkische Republik verstand sich als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches. Sie wurde auf den Gräbern dieser Minderheiten und Völker errichtet. Bis heute werden diese Volksgruppen und Religionsgemeinschaften in der Türkei unterdrückt. Der Genozid an den Armeniern und die Massaker an anderen Minderheiten werden bis heute geleugnet. In keinem türkischen Schulbuch werden die autochthonen Minderheiten und ihre Kulturen erwähnt. Außerdem hat die Türkei die Internationale Konvention zum Schutz der Kinder nur vorbehaltlich unterzeichnet.
In Deutschland haben es türkische Nationalisten geschafft, den 23.April als internationalen Kindertag einzuführen. Meist aus Unwissenheit beteiligen sich viele Politiker, z.B. in Berlin der Regierende Bürgermeister und zahlreiche Bezirksbürgermeister, an diesem Fest, halten dort Reden. Darüber hinaus wird das Fest an exponierter Stelle (am Brandenburger Tor und Straße des 17. Juni) genehmigt. Und es wird erstaunlicherweise alljährlich von vielen staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen, Firmen und Organisationen gesponsert. Obendrein übertragen auch noch die Anstalten des öffentlichen Rechts wie ARD, ZDF und KIKA diese Veranstaltungen.
Das Verwerfliche dabei ist, dass hunderttausende türkischstämmige, in Deutschland geborene Kinder an diesem Tag von den oben genannten nationalistischen türkischen Vereinen und dem Generalkonsulat der Türkei für den türkischen Nationalismus instrumentalisiert werden. Dieses angebliche internationale Kinderfest ist integrationsfeindlich, fördert die ethnische und religiöse Trennung und stört so den Frieden zwischen den verschieden, aus der Türkei stammenden Volksgruppen, die hier gemeinsam leben. Das Fest am 23. April ist für die in Deutschland lebenden Nachfahren der Opfer der osmanisch-türkischen Vernichtungspolitik umso schmerzlicher, als es einen Tag vor offiziellen armenischen und aramäisch-assyrischen Gedenktag begangen wird, der am 24. April an den Beginn des Genozids 1915/16 erinnert.
Wir appellieren an alle Politikerinnen und Politiker, auf Bundes- und Landesebene sowie regional sich von solchen nationalistischen Festivitäten zu distanzieren und am „Feiertag der Nationalen Souveränität und des Kindes“ nicht teilzunehmen. Wir appellieren auch an alle Institutionen und privaten Firmen, dieses Fest künftig nicht weiter zu fördern.
Folgende Organisationen unterstützen diesen Appell:
– Arbeitsgruppe Anerkennung – Gegen Genozid, für Völkerverständigung e.V.
– Armenische Gemeinde zu Berlin e.V.
– Assyrische Demokratische Organisation, Sektion Mitteleuropa e.V.
– Bundesverband der Aramäer in Deutschland e.V.
– Gesellschaft für bedrohte Völker e.V.
– KOMKAR – Verband der Vereine aus Kurdistan e.V.
– Kurdische Gemeinde Berlin – Brandenburg e.V.
– Lampros Savvidis, Vorstandsmitglied der Hellenischen Gemeinde zu Berlin e.V.
– Verband der Vereine der Griechen aus Pontos in Europa e.V.
– Zentralrat der Armenier in Deutschland e.V.