Fâik Âli Bey (Fâik Âli Ozansoy)

Statthalter des Bezirks Kütahya

(26.03.1876 Diyarbakır – 01.10.1950 Ankara)

Fâik Âli Bey kam am 26. März 1876 in Diyarbakır auf die Welt. Sein Vater Said Pascha war nicht nur als Provinzstatthalter (Mutasarrıf) und Gouverneur (Vali) tätig, sondern zugleich ein angesehener Dichter und Historiker seiner Zeit. Der Bruder des Fâik Âli Bey, Süleyman Nazif, war ein mutiger Journalist und Satiriker, dessen Werke heute noch Beachtung finden. Der in diesem Umfeld aufgewachsene Fâik Âli ist, ebenso wie sein Großvater Süleyman Nazif Efendi, sein Vater Said Pascha und sein Bruder Süleyman Nazif, neben seinem angesehenen Ruf als Politiker ein ebenfalls angesehener Dichter und Schriftsteller, der ein beachtenswertes literarisches Werk hinterlassen hat.

Nach seiner Ausbildung am Militärgymnasium in Diyarbakır besuchte Fâik Âli Bey 1893 die Hochschule für Politik (Mülkiye) in Istanbul. 1899 bekam er seine erste Einstellung als Beamtenanwärter in Bursa. Anschließend wurde er zum Landrat (Kaymakam) in den Landkreisen Sındırgı, Burhaniye, Pazarköy (heute: Orhangazi) und nach Ausrufung der konstitutionellen Monarchie in Mudanya berufen. Nachdem er die Einstellung als Landrat in Kırşehir abgelehnt hatte, wurde er zum Provinzstatthalter ernannt und diente in Midilli (Lesbos), Beyoğlu, Üsküdar und zuletzt in Kütahya.

Der Sancak (Bezirk) Kütahya besaß 1915 eine armenische Gesamtbevölkerung von 3.578. Die Gemeinschaft war Ende des 15. Jhs. entstanden und bildete eine der ältesten armenischen Gemeinden in der Region; sie wurde vor allem durch die Herstellung von Fayencen bekannt.

Anfang 1915 erhielt Fâik Âli einen Brief von seinem Bruder Süleyman Nazif, der ihn vor einer direkten oder indirekten Teilnahme an den bevorstehenden Gewalttaten warnte, mit dem Nachsatz, dass er die Ehre seiner Familie nicht beschmutzen solle. Fâik Âli versammelte daraufhin die muslimische Elite der Stadt und brachte diese zu einer schriftlichen Bezeugung der politischen sowie wirtschaftlichen Bedeutung der Armenier für die Provinz sowie deren Ehrlichkeit und Treue.

Die armenische Muttergottes-Kirche (Surb Astwazadsin) in Kütahya, vor dem Genozid

Als er den Befehl zur Deportation der armenischen Bevölkerung in seinem Amtsbereich empfing, gab er öffentlich bekannt, dass er ihm nicht Folge leisten werde. Es ist bekannt, dass er alles in seiner Macht Stehende getan hat, damit die in Kütahya wohnenden Armenier nicht deportiert wurden. Des Weiteren wurden Armenier, die von anderen Orten hierher deportiert wurden oder irgendwie mit Kütahya zu tun hatten, in nahe gelegenen Orten beruflich eingesetzt, damit in Kütahya eine Ansammlung der armenischen Bevölkerung verhindert werde, die bei der jungtürkischen Zentralregierung Aufsehen erregen und die Armenier insgesamt in Gefahr bringen könnte. Hervorzuheben ist, dass Fâik Âli mit Unterstützung der örtlichen muslimischen Bevölkerung handelte, wobei namentlich zwei angesehene Familien hervorzuheben sind: die Kermanyizâdes und Hocazâdes Rasik. (1)

Einige Mitglieder des Komitees für Einheit und Fortschritt, die zuvor unter den Unterzeichnern der oben erwähnten Bezeugung gewesen waren, forderten den Mutasarrıf auf, den Deportationsbefehl doch auszuführen. Fâik Âli Bey drohte ihnen daraufhin, sie wegen Falschaussage gegenüber dem Staat zur Rechenschaft zu ziehen, wobei zu klären wäre, zu welchem Zeitpunkt sie denn gelogen hatten: als sie mit ihrer Unterschrift die Loyalität der Armenier bezeugt oder als sie diese beschuldigten. In jedem Fall aber hätten sie gelogen, und zwar vor dem Staate!

Aufgrund der Beschwerde der Ittihatisten kam Fâik Âli Bey mit Talât Pascha in Konflikt und bat um seine Entlassung aus dem Amt, was aber abgelehnt wurde. Während einer kurzen Abwesenheit Fâik Âlis wurden die Armenier zur Zwangskonversion gezwungen. Mit seiner Rückkehr endete diese Aktion.

Die armenische Bevölkerung des Sancak Kütahya blieb 1915 von Deportationen verschont – eine seltene Ausnahme in der damaligen Zeit, für die die Große Nationalversammlung von Ankara später die Region durch besonders harte Besteuerung “zur Verteidigung des Vaterlandes” bestrafte. Außerdem gründete Fâik Âli eine armenische Schule für die deportierten Kinder. Als einige armenische Gemeinden ihm als Dank Geld zukommen ließen, nutzte er dieses Geld, um Nahrung für die verelendeten auswärtigen Armenier zu kaufen, deren Schicksal zu wenden er sonst offiziell nicht befähigt war.

Fâik Âli Bey blieb bis zum 14. Januar 1918 in Kütahya. Eine Einstellung in Gelibolu lehnte er ab und kehrte stattdessen nach Istanbul zurück, wo er als Lehrer arbeitete. Nach Verabschiedung des Namensgesetzes nahm er 1936 den Namen “Ozansoy” an und schrieb, so wie in früheren Jahren, in denen er in den Literaturzeitschriften Servet-i Fünun und später der Fecr-i Ati-Bewegung publizierte. 1936 gründete er mit seinem ebenfalls literarisch wirkenden Sohn Munis Faik Ozansoy eine neue Zeitschrift.

Fâik Âli Bey starb am 1. Oktober 1950 und wurde seinem Vermächtnis entsprechend neben dem “Großdichter“ (Şair-i Âzam) Abdülhak Hamit Tarhan auf dem Friedhof Zincirlikuyu in İstanbul beigesetzt.

1919 schrieb er dem armenischen Journalisten Sahak von der Zeitung Tasvir-i Efkar einen Offenen Brief, aus dem noch einmal deutlich wird, wie prinzipienhaft Fâik Âli vorgegangen ist. Es ist schade, dass sich seine außerordentlich feinfühlig beseelte Sprache in der Übersetzung nicht vollständig wiedergeben lässt:

„… während ich mich bedanke, erlaube ich mir, Sie an eine viel wichtigere Aufgabe zu erinnern, als die, die Sie in der Ausübung für notwendig halten: In den Zeiten, in denen ich mir Ihren Schutz vor Benachteiligungen durch die schrecklichen Ereignisse als eine offizielle wie auch menschliche Aufgabe zu eigen gemacht hatte, war die Gesamtheit aller Muslime in und um Kütahya herum mit mir im Einklang, sowohl im Denken, als auch im Handeln. Mehr als das, sie empfanden nicht nur gleich, sondern wurden zum Beschützer und Begleiter für unzählige armenische Familien, die, in der Flut der Missetaten treibend, aus anderen Städten und Provinzen auf Ihrem Boden nach Obhut suchten. Sowohl Fremde, als auch Einheimische haben gesehen, dass Ihre Güter, Ihr Leben und Ihre Ehre stets unberührbar blieben. Genau das sollten Sie niemals vergessen!

Doch nein, das Nicht-Vergessen reicht nicht aus! Es sollte gleichzeitig eine Gewissensaufgabesein, der Zivilisationen der Welt und der gesamten Menschheit folgendes mit der kräftigsten Stimme zuzurufen: Die Gewalttaten sind nicht mit Billigung der Bevölkerung verübt worden, sie sind Morde einiger undankbarer gesetzloser Raubmörder (original: vatan haramisi). Ihre türkischen Mitbürger sind erhabener Gefühle fähig, die solche Komplizenschaft nicht zulassen. Ja, teilen Sie bitte mit uns die Gewissheit, dass die Armenier genauso benachteiligt sind wie die Türken und die Türken ebenso wie die Armenier – benachteiligt und entschuldbar (original: mağdur ve mazur).

Wenn die Schuld und Sünde des Krieges sowie der Massaker, an deren Ausführung die Massen beteiligt wurden, nicht als Absicht und Handlung einzelner Personen gesehen, sondern ins Schuldenregister der Menschheit eingetragen werden, wird die Seele der Wahrheit wie auch der Gerechtigkeit mit Füßen getreten. Gleichzeitig wird für den Fall, dass unschuldige Millionen einer Bevölkerung für schuldig und beteiligt (original: muhatap) erklärt werden, obwohl ein Teil dieser der Gesamtheit zugeschriebenen Gräuel an den Armeniern das Werk einiger oder einiger Hunderter ist, die Erfüllung der menschlichen und göttlichen Gerechtigkeit, die wir beharrlich und sehnlichst erwarten, erheblich geschwächt.

Wenn Sie diese Wahrheit gemeinsam mit uns konsequent verkünden, werden Sie noch einmal unter Beweis stellen, dass nicht Sie persönlich bedürftig und fordernd sind, sondern als absoluter Verfechter der Gerechtigkeit und ihrer Vorrangigkeit (original: perestar) auftreten und damit im Recht sind und dieses verdienen.

Ich bitte um die Anerkennung meiner dauerhaften Hochachtung. Möge Ihr Seelenheil fortdauern (Bâkî hissiyat-ı ihtiramkârânemin kabulüyle muhabbet-i kalbiyenizin devamını rica ederim)!

In freundschaftlicher Hochachtung, mein Herr (Muhibb-i muhterem efendim),

Fâik Âli Ozansoy

Quellen:

Alboyacıyan, Arşak: Kütahya Ermenileri Anı Kitabı: Stepan Stepanyan, 1966; Tarih ve Toplum Dergisi, Kasım 1995

Çakır, Ömer: Hoşgörü Topumunda Ermeniler: Erciyes Üniversitesi Yayınları, 2007

Opçin, Tuncay: Tehcirde Kol Kanat Geren Türkler. Yeni Aktüel Dergisi, 29.06.2008

Project Common Humanity – Ortak İnsanlık Projesi: Honouring Turkish Schindlers of 1915 http://www.projectcommonhumanity.net/, 09/2012

Stepan Stepanyan’ın anıları ya da Mutasarrıf Fâik Âli Bey tehcirde Kütahya’da neler yapmıştır? „Milliyet Blog“, 11.03.2010: http://blog.milliyet.com.tr/stepan-stepanyan-in-anilari-ya-da-mutasarrif-f-ik–li-bey-tehcirde-kutahya-da-neler-yapmistir-/Blog/?BlogNo=233279 (22.02.2013)

(1) Kévorkian, Raymond: The Armenian Genocide: A Complete History. London, New York 2011, S. 565