ERINNERUNGEN AN URFA

Gertrud Vischer-Oeri

Erklärungen

1895 oder 1996 waren die ersten Massaker in Urfa, von denen man in unseren Schweizer-Zeitungen las Ich besinne mich, wie man sich an unserem Familientisch (ich war 14 oder 15 Jahre alt) darüber entsetzte. Dr. Johannes Lepsius hatte damals die Absicht, eine Mohammedaner Mission zu gründen. Auf die Massakerberichte hin entschloss er sich aber, zuerst das Hilfswerk in Urfa unter anderem, mit Namen „Deutsche Orient Mission“ anzufangen. – In einem riesigen Chan (Karawanserei) wurden Waisenkinder, wohl weit über hundert, aufgenommen, unter der Oberleitung der Dänin Karen Jeppe und zwei alteren armenischen Hauselternpaare. In der Stadt entstand eine Teppichknüpferei, die vielen armenischen Frauen und Mädchen Arbeit nach alten persischen Mustern unter Leitung von Herrn Eckart und künstlerischer Musterzeichnung von dessen Bruder gab. Dann entstand auch in der Stadt ein Spital, wo eine Schweizerin, Frl. Dr. Zürcher arbeitete. Nach ihr kam Dr. Christ von Basel, dessen Frau jedoch nach einigen Jahren krank wurde. Mit Dr. Christ arbeitete Bruder Jakob Künzler, der, als Zimmermann ausgebildet, später im Diakonenhaus an der Äschenvorstadt sich zum Pfleger ausbildete und für die Arbeit im Spital und für praktische Arbeit sehr wertvoll war. Er war es auch, der bei seinem Urlaub Dr. Andreas Vischer 19o5 für Urfa begeisterte. – Ich muss nun über die Lage dieses Spitals etwas sagen. – Es war nun aus der Stadt ins, sagen wir moderne Quartier, verlegt worden. Künzler hatte geheiratet und zwar eine Krankenschwester, deren Vater Deutscher, die Mutter aber die Tochter eines deutschen Gelehrten und einer abessinischen Prinzessin war. Frau Künzler bildete armenische Mädchen zu guten Krankenschwestern aus. – Zwischen der Stadt und dem neuen Quartier floss der Karakojun. Im modernen Quartier war ein großes Türkisches Spital, unser bescheidenes Spital, einige reiche Türkenhäuser, einige Armenierhäuser, unser Haus und Künzlers Haus und direkt hinter unserem Spital ein „Gnusch“ von Kurdenhütten. Urn in die Stadt zu kommen, mussten wir also über eine Brücke gehen, die ins Türkenquartier, dem größten, führte. Auch das Armenierquartier und das christliche, kleinere Syrerquartier waren auf der andren Seite des Flusses. Außer unserem Hilfswerk war noch eine amerikanische, evangelische Mission und eine katholische mit Franziskaner-Schwestern und -Patres in Urfa in der Stadt. Als nach dem Waffenstillstand 1918 Bruder Künzler die Engländer in Aleppo anflehte, Urfa zu besetzen, bot er ihnen unser Haus als Offiziershaus und eben die andren Türkenhäuser etc. für ihre Truppen an. Die Türken waren vorher in die Stadt gezogen. Amerikaner hatten vielleicht 1/4 Stunde weiter von uns das „Near East Relief“ gegründet und hatten in großen Zelten viele Waisen-Kinder. Während der Belagerung waren wir also einfach von der Stadt ganz getrennt, und da die Franzosen keinen Arzt hatten, übernahm mein lieber Mann die Betreuung ihrer Kranken und Verwundeten.

Vor dem 1. Weltkrieg gehörte Urfa zum Vilayet Aleppo, nachher war Aleppo syrisch. Urfa blieb türkisch. Wir gehörten als „Deutsche Orient Mission“ vor dem Krieg zum Deutschen Konsulat in Aleppo, ein schweizerisches gab es nicht. Auch die Geburt unserer drei Kinder (191o, 1912 und 1913) wurde dort registriert. Im Frühjahr 1914 reisten wir auf Urlaub in die Schweiz und konnten nach Ausbruch des Krieges nicht nach Urfa Zurückkehren. Auch musste mein Mann in der Schweiz Dienst tun. Für ihn war es schwer, nicht in Urfa zu sein. Ich aber war dankbar, 1916 nicht die Massaker und Deportationen mitansehen zu müssen.

Nach dem Waffenstillstand 1918 bemühten wir uns sofort eine Einreise-Erlaubnis in die Türkei zu erhalten von den Engländern, die diese besetzt hatten. Es wurde Frühjahr 1919 bis wir reisen konnten.

Erklärung einiger Wörter:

Mutesarif: Höchster türkischer Magistrat von Urfa und Umgebung (Bürgermeister).
Kaimakan: Höchster in den Dörfern.
Effendi: (türkisch): Herr; „ich war chanum effendi“.
Karakojun: Fluss durch Urfa, der die Stadt vom modernen Quartier trennt.
Köbrübaschi: Größe Brücke.
Mirs: Pilger nach Jerusalem.
Hadschi: Mohammedanischer Pilger nach Mekka.
Künzlers und unser Haus: Im großen Hof mit Mauer gegen Straße.
Amerikanisches Near East Relief: Hilfswerk nach dem 1. Weltkrieg.
Tylfiter: Hügel, über den man nach Überschreitung einer kleineren Brücke zum armenischen Quartier gelangte.
Chanum: Ist auch ein Frauenname.

11, August 1919.

Liebe Kinder,

So oft denke ich, die Kinder sollten mehr erfahren von dem was wir hier erleben, als es jetzt möglich ist, Euch in Briefen mitzuteilen; darum will ich manchmal etwas aufschreiben – leider habe ich es nicht schon früher getan. Von der Reise werde ich vielleicht später etwas nachholen können und jetzt nur von den ersten Wochen in Urfa erzahlen.

Am 15. Juni frühmorgens konnten wir von Aleppo, wo wir von Herrn Schneps in so freundlicher Weise aufgenommen worden waren, abreisen. Mit uns reisten Mr. Gentle-Cakett, Agent der Bible Land Missions Aid Society; ferner waren mit uns Dr. Beshlian, der uns von der englischen Hilfsgesellschaft als Assistenz-Arzt zur Verfügung gestellt wurde und ein Angestellter der Amerikaner in Urfa, der uns leider am Abend vorher unendliche Gypssäcke in unseren Wagen geladen hatte, so dass wir kaum noch bequem reisen konnten in unserem vorher so schonen Gepäckwagen, in welchem Vater und ich von Istanbul her fast eine Woche lang weil nachts der Zug nicht fuhr so gemütlich gewohnt, geschlafen und gekocht hatten. Aber es war ja nur noch eine letzte Strecke! Um 5 Uhr abends kamen wir in Tei Abiad, der Station für Urfa in der Haran Ebene an. Vergebens schauten wir uns nach dem amerikanischen Auto um, das uns hier erwarten und noch am gleichen Abend nach Urfa bringen sollte. Aber, unser Pferdeknecht Ali war da zu unserem Empfang – zu unserer Freude! – er war mit einem englischen Auto gekommen und erzählte, das Amerikanische Auto sei unterwegs gewesen und Bruder Jakob ebenfalls, aber sie haben umkehren müssen, weil etwas am Auto nicht in Ordnung war. Wir konnten aber nichts besseres tun, als in der Abendkühle, begleitet von Ali, der uns schon vielerlei erzählte, einen Spaziergang zu machen und dann stellten wir neben der Station unsere Feldbetten auf und hatten eine herrliche Nacht unter dem freien Himmel. Am frühen Morgen, vielleicht um 3 Uhr, hörte man es plötzlich tuten und da stand auch Bruder Jakob schon vor unseren Betten. Groß war die gegenseitige Wiedersehensfreude. Nachdem für die ganze Gesellschaft Schokolade gekocht, gefrühstückt und das Auto geladen worden war, konnten wir abfahren und kamen schon um 7 oder 8 Uhr nach Urfa. Ins Künzler Haus! denn schon in Aleppo hatten wir gehört, dass in unserem Haus englische Offiziere seien. Urfa war seit etwa 2 1/2 Monaten von den Engländern besetzt. Es war höchste Zeit, dass diese kamen, denn die Armenier wurden wieder fortgesetzt von den Türken bedroht und man befürchtete neue Massaker. Auch Künzlers Leben war verschiedene Male sehr bedroht gewesen. Ich glaube, er reiste selbst nach Aleppo, um die Engländer dort zur Besetzung Urfas zu bewegen. Also wir sind unendlich froh, dass die Engländer da sind, aber doch kostete es mich etwas, dass wir nicht in unser liebes Haus ziehen sollten und die Engländer auch die wenigen Reste unseres verschleuderten Mobiliars nicht für uns herausgeben wellten. Nur eines unserer Betten konnte Frau Künzler vorher herausnehmen, da sie den Engländern gleich von Anfang an erklärt hatte, dieses Bett sei extra für Vater so lang gemacht worden. Das zweite (mein Bett) konnten wir dann später von einem Türken wieder zurückkaufen. Bruder Jakob hatte uns während unserer Abwesenheit einige Male geschrieben, ob er nicht unser Mobiliar verkaufen solle, worauf wir ihm immer antworteten, er solle dies nur im dringendsten Falle tun. Bas Klavier, das uns Großmama Vischer geschenkt hatte, verkaufte er dann einmal wie er schrieb sehr günstig. Jetzt haben wir erfahren, dass er Fr.250. dafür erhielt! Im Oktober 1918, sogleich nach dem Waffenstillstand, schrieb Vater an Bruder Jakob, er werde sobald wie möglich nach Urfa reisen. Im gleichen Monat verkaufte Künzler fast alle unsere Sachen, d.h. er verschleuderte sie einfach. Warum er dies gerade nach dem Waffenstillstand tat, ist uns unbegreiflich, denn da konnte er doch denken, dass Vater bald kommen werde. Künzlers waren eben von den 5 schweren Jahren, die sie seit 1914 hier durchlebt hatten, so müde, dass sie wohl im Hinblick auf ihre baldige Abreise anfangen wollten zu liquidieren und eben bei unseren Sachen anfingen. Und Künzler hatte neben seinen vielen guten Eigenschaften eben nie Verständnis für nette Sachen und kannte keine Sorgfalt. Warum hat er wohl dem deutschen Major Blell, der ein Jahr lang in unserem Haus wohnte, zu einem Pest alle unsere Teppiche hingelegt und sie ihm dann weiter zur Verfügung gestellt, trotzdem er von Frl. Jeppe darauf aufmerksam gemacht wurde, dass dies doch schade sei. Und richtig, unser schönster Teppich fehlt nebst einigen anderen und die übrig gebliebenen sehen sehr mitgenommen aus. Doch davon nun genug, ich muss mir eben immer und immer wieder sagen, wie glücklich wir sind im Vergleich zu diesen armen Leuten hier, die nicht nur all ihre Habe verloren haben, sondern oft auch all ihre Angehörigen.

Künzlers richteten sich nun gleich zur Abreise, in drei Tagen, also am Donnerstag wollten sie sich auf den Weg machen. Da hatte man kaum Zeit, noch alles Nötige miteinander zu besprechen. Sie hatten einen schweren Abschied von Urfa. 20 Jahre war Künzler hier, hat viel geleistet und sich aufgeopfert, und namentlich in den letzten Jahren Schweres durchgemacht und jetzt reisten sie ab mit dem Undank der Leute. Dr. Armenak, unser früherer Assistenzarzt, der während dem Krieg, wie die Leute sagen, nicht aus Not, sondern zu seinem Vorteil zum Islam übergetreten, jetzt aber – wieder Christ ist, erhob eine schmutzige Klage gegen Künzler, die von dem englischen Richter allerdings abgewiesen wurde. Aber, nicht nur er, sondern viele Armenier beschuldigten Künzler, ihr Geld oder ihre Habe veruntreut zu haben. Vor den Massakern (1916) hatten viele Armenier ihr Geld und ihre Teppiche zu Künzlers gebracht zur Verwahrung, trotz Künzlers Abwehr und Versicherung, dass er für nichts stehen könne. In den folgenden Jahren, als die Eigentümer der Sachen verschwunden, d.h. deportiert oder massakriert waren und Künzler unzählige andere Leute zu unterstützen hatte, hat er wohl oft diesen ausgeholfen mit den Sachen, die auf seinem Estrich aufgestapelt waren; manchmal vielleicht auch Sachen verkauft und mit dem Geld wieder Leute unterstützt. Nun kamen aber nach und nach auch wieder Urfalis zurück und reklamierten ihr Geld und Gut, was aber eben nicht mehr vorhanden war. Künzler hat vielleicht Fehler gemacht, ja ich muss sagen, dass ich selbst vieles nicht begreifen kann, aber sich selbst hat er nicht bereichert wie viele Leute hier behaupteten, sondern hat eben die Sachen anderen zugute kommen lassen.

Wir waren froh, als Künzlers glücklich fort waren, denn diese letzten Tage waren wohl furchtbar schwer für sie. Einige Armenier drohten, sie wollten sie noch in Beirut verhaften lassen – doch es waren nur leere Drohungen – . Immerhin waren auch wir sehr froh, als wir hörten, dass Künzlers nach ca. 14-tägiger Wartezeit in Beirut (bis ihre Papiere in Ordnung waren) sich am 9. Juli in Beirut (4. Klasse! Zwischendeck, die Guten konnten keine anderen Plätze finden) einschiffen konnten. Nun sind sie längst in der Schweiz, vielleicht wohnen sie jetzt schon in unserem Haus an der Schönbeinstrasse. – Dieser Gedanke ist mir eher arg, denn, werden sie auch dort unsere Sachen so sorglos behandeln?

14. August 1919. – Aber wir leben ja hier auch in ihrem Haus! Nach ihrer Abreise ging es ans Aufräumen. Sie haben es uns in einem argen Wust zurückgelassen. Die Wohltat einer Frühjahrsputzete war jedenfalls diesem Haus in den 5 1/2 Jahren seit sie darin wohnten, nie zuteil geworden. Ich schätzte es ja auch nicht gerade, dass ich 10 Tage lang alle die Sachen verlesen musste. Aber schließlich wurde es dann ganz gemütlich bei uns. Bei der Aufräumerei betätigte sich namentlich auch die Araberin Emine, für die gröbste Arbeit. Sie ist eine immer gut aufgelegte schöne junge Frau, die sich seit dem Tod ihres blinden Mannes alle Mühe gibt, ihre Kinder und sich durch zubringen. Sie hat sich auch als sehr zuverlässig erwiesen. Bruder Jakob K. hat sie nach den Deportationen der armenischen Frauen einmal bis Racca geschickt, um einer Armenierin dort Geld zu bringen. Ein anderes Mal musste sie 2 armenische Kinder, natürlich als Araberkinder bekleidet, nach Aleppo retten. Als sie von einer dieser Reisen nach Urfa zurückkam, war dort eines ihrer eigenen Kinder gestorben. Jetzt liegt seit Wochen ein anderes in unserem Spital und die Frau ist dankbar, dass es gut gepflegt wird. Bei uns ist sie regelmäßig Samstags-Putzerin. Warum habe ich dafür nicht eine Armenierin? Ich hatte am Anfang eine solche bestellt, sie kam einmal, das zweite Mal ein paar Stunden zu spät, das dritte Mal gar nicht. Ebenso unzuverlässig war eine Glätterin, die ich anstellte. Die Frauen geben ihr Wort zu kommen, dann kommt ihnen etwas anderes dazwischen und sie halten es nicht einmal für nötig, abzusagen. Da ist mir halt die Araberin lieber. Natürlich weiß sie auch ihren Vorteil aus der Sache zu ziehen. So hat sie uns kürzlich aufs Liebenswürdigste dazu gebracht, ihr einen Esel zu kaufen, damit ihr 15-jähriger Sohn Weizen transportieren und so viel verdienen könne. Das solle auch für uns ein fabelhaft gutes Geschäft sein! meinte sie!

Nun muss ich aber auch von unseren Mädchen erzählen, zwei Armenierinnen, die auch recht nett und tüchtig sind.

Majram ist das Stubenmädchen, das ich von Frau Künzler übernommen habe. Sie ist von 6 Geschwistern das einzige, das die Massaker und die. Deportation überlebt hat, Von einer Schwester hofft‘ sie zwar noch, sie lebe in einem Araberdorf, aber wo? Die 3 Brüder sind bei den Massakern in Urfa umgekommen.

Chanum die Köchin ist eine junge Frau. Als ich sie anstellte sagte sie mir, sie habe niemanden mehr aus ihrer Familie, nur 1 Bruder sei Gefangener in Ägypten. Doch bald kam heraus, dass auch ihr Mann und eines ihrer Kinder wahrscheinlich noch leben. Von ihrem Mann hat sie gehört, er habe sich an einem anderen Ort wieder verheiratet, und zwar nachdem er gewusst hat, dass Chanum von der Deportation wieder nach Urfa zurückgekehrt war. – Nach der Beschießung und der Zerstörung des Armenierquartiers in Urfa (Herbst 1916) bei dem alle Männer ermordet wurden, wurden die Frauen und Kinder in den großen Chan (unser früheres Lepsius Waisenhaus) gebracht und von dort aus deportiert. Chanum war da mit 2 Kindern, einem 2 1/2-jährigen und einem 2 1/2-jährigen. Sie musste fort und ließ das kleinere Kind zurück, denn wie hätte sie sich mit 2 so kleinen Kindern schleppen können? Von dem zurückgelassenen kleineren hörte sie später, dass die Frau, die es gepflegt hat, im Schlaf erdrückte. Chanum selbst kam auf der Deportation nicht weit. Nach wenigen Tagen wurde sie krank und als sie bei einem Dorf vorbeikam bat sie, dass man doch ihr Kind nehme. Eine Araberin nahm ihr die kleine Asnif ab. Sie selbst wanderte noch einen Tag weiter, dann blieb sie liegen. Ihre Schwester und Verwandten mussten weiter. Niemand durfte die Arme, die offenbar einen schweren Flecktyphus hatte, pflegen. Als sie einmal die Augen aufschlug war ein Araber da, der ihr ein Gefäß voll Wasser hinstellte. Mehrere Tage muss sie so allein gelegen haben, nur der Araber versorgte sie alle Tage mit Wasser. Dann kamen auch Frauen und als es ihr besser ging, nahmen sie Chanum in ihr Zelt und gaben ihr Milch, zu trinken. Dafür musste sie ihnen fast alle ihre Kleider geben. Nun wusste Chanum, dass in der Nähe ein Verwandter ihres Mannes eine Mühle hatte. Sie „konnte ihn ausfindig machen und lebte nun ein halbes Jahr bei ihm versteckt. Dann schlug sie sich zurück nach Urfa und lebte dort zuerst in großer Angst, dass sie entdeckt würde. Doch es ging ihr gut, sie wurde im türkischen Spital als Wäscherin angestellt, allerdings für einen Lohn, der kaum zum leben reichte. Aber nun war sie doch einigermaßen ihres Lebens sicher. Wohl etwa 2 Jahre arbeitete sie da als Wäscherin und Köchin bis eines Tages sämtliche christlichen Angestellten des Spitals entlassen und an ihrer Stelle Mohammedanerinnen eingestellt wurden. Wenigstens waren zu dieser Zeit die Deportationen eingestellt. Mit einer kath. Schwester (Franziskanerin) kam Chanum nach einiger Zeit nach Aleppo, wo sie in einem syrischen Haus diente Doch wurde sie in Aleppo von der Malaria arg befallen, so dass sie nach einem halben Jahr nach Urfa zurückkehrte, wo sie mit einer Schwägerin und deren Kind, den einzig übrig gebliebenen der ganzen großen Familie, zusammenlebte. D.h., ihr Mann soll ja am Leben sein, aber sie hat ihn verloren; und von ihrem Bruder hofft sie, dass er bald aus der Gefangenschaft zurückkehre. Und die kleine Asnif, die sie im Araberdorf zurückgelassen hatte ? Am Dienstag haben ihre Pflegeeltern sie gebracht! Das ging so zu. Kürzlich kam die armenische Frau eines Arabers nach Urfa zurück, wo ihr armenischer früherer Mann, der als Soldat den Krieg überlebt hatte, sie wieder aufnahm. Die arme Frau musste ein 14 Tage altes Büblein bei dem Araber lassen, denn dieser gab die Frau nur unter der Bedingung ihrem früheren Mann zurück, dass er das Kind behalte und der armenische Mann wollte ja auch nichts Wissen von dem Araberbuschi. Chanum brachte mir die noch junge, zarte Frau, damit sie mir auch selbst erzähle, was Sie Chanum erzählt hatte. Nämlich, dass in dem Dorf, in dem sie gelebt hatte, auch Chanums Kind sei, bei armen Leuten, dass es dem Kind aber gut gehe. Sie selbst habe ihm ein Hemdchen gemacht, da seine Pflegeeltern zu arm seien, sie aber die Frau des reichsten Arabers des Dorfes gewesen sei. Nun hatte Chanum natürlich keine Ruhe mehr und es war auch mein großer Wunsch, dass sie das Kind wieder zurückbekomme. Mit Ali und eben dem. reichen Araber, der seine Frau nach Urfa gebracht hatte, fuhr Chanum mit dem amerikanischen Auto in die Nähe des Dorfes, denn dieses lag nahe der Autostraße nach Tel Abiad. Sie fanden die Pflegeeltern des Kindes, das Kind aber war in einem andern Dorf. Doch versprachen die Leute Wedka – so war Asnif’s Arabername – am anderen Tage bringen gegen ein Bakschisch von 5 Medjidis, d.h. etwa 16 Frs. Zwar nicht am nächsten, aber doch 3 Tage darauf, kamen alle Familienmitglieder, Vater, Mutter mit einem herzigen Araberbuschi und Wedka. Es war rührend zu sehen, wie letztere an ihrem Pflegevater hing, wie sie überhaupt glücklich zu sein schien. Auch den Leuten muss es schwer gewesen sein, sich von dem Kind zu trennen. Beim Abschied gab es noch eine gelungene Szene. Als ich nämlich den Leuten 1 Lira gab, also beträchtlich mehr als verabredet war, warf der Vater das Geld verächtlich auf den Boden. Ich musste ein zweites Goldstück dazu legen und nur die Versicherung, dass Chanum eben ganz arm sei und erst seit einigen Wochen bei uns, ließ er sich zufrieden geben. Wenn man ja überlegt, haben die Leute wirklich nicht viel erhalten, haben sie doch das Kind fast 4 Jahre gepflegt und ernährt. – Die ersten Tage waren schwer für Mutter und Kind. Asnif weinte viel nach ihrem Abu (Vater) und wollte immerfort entweichen. Zum Glück kann Chanum auch etwas arabisch und jetzt ist das Kind schon ganz nett eingewöhnt. Nur uns gegenüber, besonders gegen Vater ist es noch sehr schüchtern. Die größte Freude hatte Asnif an einem kleinen Spiegelchen, in welchem sie ihren Schorennickel betrachten konnte. – Ihre roten, lustigen, aber sehr unsauberen Zöpfchen wurden ihr noch am ersten Abend abgeschnitten und das dunkelblaue Araberhemdchen wurde nach einem gründlichen Bad mit Kinderkleidern aus den Schweizersäcken, die wir schon bereit hatten, vertauscht. Auch an den Schuhen, die wir ihr gaben, hatte Arnif große Freude. Ich habe Freude, ein Kind im Haus zu haben, es ist im Alter zwischen Heidi und Trudi. Wie froh wäre es, wenn ihr hier wäret und mit ihm spielen könntet. Auf der Stirn, der Käse, am Kinn und ah der einen Backe ist Arnif tätowiert.

15. August 1919. – Nachdem es in unserem Haus gemütlich geworden war, konnte ich mich auch im Spital umsehen, wo Vater gleich von Anfang, an in einer Fülle von Arbeit untergetaucht ist. Auch für mich gibt es dort zu tun. Zuerst musste die Linge nachgesehen werden, was allerdings schnell getan war, denn es war sozusagen nichts mehr da. Unser Spital hatte eine Zeitlang als türkisches Lazarett gedient und war in bedenklichem Zustand zurückgegeben worden. Operationssaal und Apotheke waren zum Glück versiegelt, aber was sonst abhanden gehen konnte, war verschwunden. So.. hatten Soldaten z.B. Bettstücke zu den Fenstern hinaus verkauft, und auch die Küche war fast leer. Vor unserer Ankunft hatte Herr Künzler allerdings Strohsäcke und Matratzen machen lassen, doch waren für die ca. 24 Betten nur 20 Leintücher, fast keine Kissen-Bezüge etc. vorhanden. Es fehlte an allem. Wie gut war es, dass wir wenigstens Stoffe aus der Schweiz mitgebracht hatten. Doch mussten wir auch hier noch vielerlei anschaffen. Groß war unsere Freude, als uns kürzlich vom amerikanischen Relief in Aleppo 100 Betttücher versprochen wurden, die inzwischen angekommen sind. Jetzt sind wir wirklich mit. dem Nötigsten versehen, doch werden wir noch immer mehr Betten anschaffen müssen, da wir viel mehr Patienten haben als früher. Das türkische Spital ist nämlich zu einer Kaserne für die englischen Soldaten verwendet worden! Nun ist unser Spital der einzige für die ganze Stadt. – Auf unserer Durchreise in Aleppo hatten wir uns natürlich mit dem dortigen amerikanischen Relief ins Einvernehmen gesetzt. Wir hörten schon, dass die Amerikaner keinen Arzt nach Urfa senden würden, weil sie selbst sehr auf Vater zählten. Dagegen versprach uns Dr. Lambert, der dortige Chef, unser Spital so viel wie möglich zu vorsehen mit Medikamenten, Betten etc. Wir waren natürlich unendlich froh, hatten wir doch so wenig aus der Schweiz mitbringen können. Ich bringe nun gewöhnlich alle Vormittage im Spital zu. An 3 Morgen operiert man, da darf ich Vater entweder die Tupfer, Watte etc. reichen oder gar die Instrumente. An den 3 anderen Vormittagen ist Poliklinik; da schreibe ich die Namen der Patienten auf und helfe mit. Auch sonst habe ich noch allerlei Ämtlein im Spital, die die eingeborenen Schwestern nicht gut verrichten können. Ich bin froh, viel zu tun zu haben, sonst könnte ich die Trennung von Euch schwerer ertragen. Zu Hause besorge ich auch das Rechnungswesen für den Spital. Oft kommen Vater und ich erst um 2 Uhr mittags oder noch später nach Hause, da halte ich denn sehr darauf, dass auch Vater sich nach dem Essen ausruht, denn am Morgen fängt der Betrieb in dieser Sommerhitze schon um 6 Uhr an.

16. August 1919. – Bald nach unserer Ankunft in Urfa hörten wir, dass Ali sich eine zweite Frau nehmen wolle. Emine, seine Frau, die sich viel bei meinen Mädchen in der Küche aufhält hatte oft verweinte Augen und einmal schüttete sie mir auch ihr Herz aus. Emine hat keine Kinder, darüber ist Ali unglücklich und oft ist er sehr böse mit Emine und schlägt sie. Schon einmal hatte sich Ali eine zweite Frau genommen während wir in Europa waren. Nach einem Monat hat er sie aber wieder fortgeschickt, wie Emine sagte, weil sie Emine vertreiben wollte und Unfriede war. Nun war aber Ali entschlossen, wieder eine zweite Frau zu nehmen und zwar ein Türkenmädchen von Urfa, nicht wie das erste Mal eine Mohadjir, d.h. eine mohammedanische Deportierte. Darüber war Emine sehr unglücklich, besonders da Ali in letzter Zeit sehr böse mit ihr war. An Alis Entschluss war natürlich nichts zu ändern, der „Handel“ mit der Familie der Braut war abgeschlossen, dagegen sagte ich Ali, dass ich von der neuen Frau nichts wissen wolle, wenn er nicht auch gegen Emine. sich wenigstens anständig benehme, Das versprach er denn auch sehr. An die Hochzeit zu gehen konnte ich mich nicht entschließen; dagegen gingen unsere Mädchen und einige Spitalschwestern. Die Hochzeit war im Haus der Braut und um Mitternacht etwa hörte ich, dass sie sie unter Trommelklang und Freudentrillern Ali ins Haus brachten. – Am andern Tag. sah ich mir die junge Frau an. Die Arme saß im abgeschmacktesten Aufputz in einer Ecke ihrer Stube, von wo sie sich einige Tage lang kaum entfernte. Es sind nun wohl 3 bis 4 Wochen seit der Hochzeit und ich habe bis jetzt nicht den Eindruck, dass es Emine schlecht gehe. Ich glaube, sie bemüht sich auch, Frieden zu halten. Aber etwas Trauriges ist diese zweiweiberige Haushaltung doch.

Im Spital war mir einige Male ein kleines Kind aufgefallen mit blonden Härchen, blauen Augen und einem weißen Häutchen. Es erinnerte mich jedesmal an mein Schneewittlein in Basel. Die Mutter kam zur Augenbehandlung in den Spital und an einem Morgen hieß es, sie werde an beiden Augen operiert. Da saß sie vor dem Operationssaal mit ihrem Büblein und sagte, sie könne sich nicht operieren lassen, denn sie habe niemand dem sie das Kind inzwischen geben könne, besonders da es krank sei. Die Frau ist eine Armenierin. Sie wohnt im großen Chan, d.h. im früheren Waisenhaus, wo viele Deportierte aus anderen Gegenden Unterkunft gefunden haben. Majram, so heißt die Frau, hat ihren Mann verloren; mit drei Kindern wurde sie deportiert. In einem Dorf wurde sie von Kurden aufgenommen, musste hart arbeiten und als ihre Augen krank wurden schickte man sie fort. Sie kam dann nach Urfa (ihre Kinder waren alle gestorben) und hier wurde sie die Frau eines alten Türken und bekam den kleinen Muggerditsch. Als der Türke starb jagten seine Verwandten Majram mit dem Kind wieder fort und darauf fand sie Unterkunft im Chan. Von den Engländern bekommen diese Leute im Monat Weizen soviel als gerade fürs Brot ausreicht und ein Medjedi, d.h. Etwa 3 1/2 Frs. Seitdem Majram operiert ist, kann sie nun auch von den Amerikanern Wolle zum spinnen beziehen und so noch etwas verdienen. Ich wusste keinen anderen Ausweg als Majram anzubieten, ich wolle für ihr Kind sorgen solange sie im Spital sei und nahm das arme Muggerditschlein heim. Es hatte einen heftigen Fieberanfall, wahrscheinlich Malaria und Diarrhöe, war überhaupt ein armes kleines Würmlein. Zweimal am Tag brachten wir es der Mutter zum stillen, dadurch hatte es denn auch immer Heimweh nach der Mutter. Zwar lag oder saß es meist ganz still auf seinem Bettlein, aber mit einem so unglücklichen Gesichtlein! Wenn ich zu ihm kam, streckte es immer die Ärmlein nach mir aus, und ich trug es ein wenig herum oder spielte ein wenig mit ihm. Es erinnerte einem so oft an Andresli, der ungefähr im gleichen Alter auch so krank und elend war. Nach 9 Tagen konnte Majram das Kind wieder nehmen. Es ging ihm auch etwas besser und ich versorge es noch weiter mit Reis und Kiachke, was ihm seine Mutter unmöglich geben kann.

Es war mir ein schwerer Entschluss, zum ersten Mal ins zerstörte Armenierquartier zu gehen. Wie es in der Stadt aussieht kann man in Vaters Artikel lesen, den er dieser Tage für die „Mitteilungen über Armenien“ schrieb. Zuerst machten wir einen Besuch bei Frau Wartuhi, der Frau unseres früheren Apothekers Abraham. Dieser ist 1916 einige Monate vor den Massakern mit anderen angesehenen Armeniern Urfas verhaftet worden. Eine Zeitlang wurden diese Männer in Urfa gefangen gehalten, dann hieß es, sie würden alle nach Diarbekir transportiert, doch wurden sie nicht weit vor der Stadt alle getötet. Frau Abraham wurde mit ihren Töchtern und dem jüngsten Sohn deportiert, konnte aber später nach Aleppo entwischen, wo sie dann 5 Jahre allerdings in großer Armut, aber doch ohne ein einziges ihrer 6 .Kinder verloren zu haben, lebte. Denn auch 2 Söhne, die vorher in amerikanischen Schulen waren, konnten zur Mutter zurückkehren, Die 4 ältesten Kinder fanden nach und nach Arbeit in Aleppo, durch die sie wenigstens ihr Brot verdienten. Vor etwa 4 Monaten ist Wartuhi Chanum nach Urfa zurückgekehrt in ihr Haus, denn dieses ist eines der wenigen armenischen Häuser, das, weil ans Türkenquartier angrenzend, nicht zerstört wurde. Aber wie anders sieht es jetzt aus in diesem Haus als vor 5 Jahren, da wir zuletzt dort waren. Damals waren Abrahams wohlhabende Leute, die nach hiesigen Begriffen sehr gut eingerichtet waren. Jetzt ist alles leer, kein Teppich liegt am. Boden, kaum die nötigsten Bettstücke sind vorhanden, kaum die nötigsten Küchengeräte. Die 2 älteren Töchter sind vom Amerikanischen Hilfswerk als Krankenpflegerinnen und Lehrerinnen angestellt, ein Sohn ist in Aleppo geblieben, wo er jetzt eine ordentliche Stelle hat. Doch sein und der Familie großer Wunsch ist, dass er noch Medizin studieren dürfe; er hatte seinerzeit schon angefangen. Die älteste Tochter hat sich kürzlich verheiratet mit Baron, d.h. Herr Kework, einem Lehrer des amerikanischen Reliefs.

18. August 1919 – Unser Mädchen Majram hat einen Vetter, der mit ihr aufgewachsen ist und dessen einzige Verwandte sie ist. Kürzlich heiratete er und ich musste Majram 3 Tage Ferien geben, damit sie als Verwandte des Bräutigams die Honneurs bei den Feierlichkeiten machen konnte. Sie lud uns auch ein ins Haus der Braut und Chanum und ich gingen zusammen hin für ein Stündchen. Wir gingen zusammen durch mehrere der traurigen Ruinenstraßen des Armenierquartiers und traten zuletzt in einen Hof ein. Wie traurig sah es da aus. Die unteren Räume des Hauses waren alle gänzlich zerstört und kaum waren die Steine ein wenig aus dem Weg geräumt, über eine ruinierte Treppe kam man zu einer Art Terrasse hinter der die zwei einzigen noch bewohnbaren Stuben lagen. Doch auch da waren Löcher in den Mauern und von den Fenstern oder irgendwelchem Holzwerk keine Spur mehr. In einer dieser Stuben wurde eben die Braut angezogen von ihren Freundinnen. Unterdessen wurde mir Kaffee offeriert, Zucker aufgewartet, der bei uns vielleicht kaum Euch Kindern „gluschtig“ erschienen wäre. Was für ein Unterschied gegen die Hochzeiten, denen ich früher beigewohnt hatte. Von einer Aussteuer, die einem früher, wenn auch noch so bescheiden, Stück für Stück mit Stolz vorgezeigt wurde, sah ich diesmal gar nichts; überhaupt alles war so traurig und ärmlich. Jetzt war die Braut angekleidet; wir, die draußen gewartet hatten, bekamen jedes ein brennendes Wachskerzlein in die Hand, mit dem wir ins Zimmer der Braut zogen. Die Freundinnen sangen ihr das Kranzlied und dann führten wir sie hinaus, wo sie stumm in unserer Mitte sitzen musste. Die Arme, war so geschmacklos als möglich angezogen, sie hatte ein schreiend rosa Kleid aus geringster Seide an. Die schöne armenische Tracht ist leider ganz verstoßen in den Städten. Das Gesicht der Braut war durch einen Schleier verhüllt, aber meine Nachbarin flüsterte mir zu, ich solle nur sehen, sie sei tätowiert. Das ist ein Zeichen, dass das Mädchen bei den Arabern gelebt hat. Noch mehrere der anwesenden Mädchen hatten solch blaue Tätowierungen im Gesicht. Es ist allen schrecklich, dies sichtbare Zeichen an sich zu haben, dass sie unter den Arabern gelebt haben; denn so viele von ihnen sind eben von diesen unrecht behandelt worden. In Aleppo lassen sich viele armenische Mädchen die Tätowierungen wegoperieren, auch auf die Gefahr hin, hässliche Narben zu bekommen. Nun machten sich einige Frauen und Mädchen von den Verwandten und Freunden auf, die Braut ins Haus des Bräutigams zu führen. Die Trauung sollte dort im Haus abgehalten werden, vom protestantischen Pfarrer, trotzdem die Leute Gregorianer sind, denn bis vor wenigen Wochen war kein gregorianischer Priester in Urfa, keiner hatte die Schreckenszeit überlebt.

Mit Chanum ging ich noch durch einige Straßen. Sie führte mich zu ihrem Hause. Schon in der Straße lagen da schöne behauene Steine. Das Haus muss eines der stattlichen gewesen sein. Mit Wehmut zeigte mir Chanum alle die zerstörten Räume in denen sie früher glücklich gelebt hatte.

Wir kamen zusammen zur Masmana, wo ich Miss Law zu treffen hoffte. Die frühere Teppichfabrik dient jetzt den Amerikanern als Arbeitsstätte, eine Weberei, eine Gerberei sind dort eingerichtet. Auch holen da alle die Frauen die spinnen, Wolle waschen und stricken, ihre Arbeit ab. Miss Law steht diesem Werk vor. Sie ist mir von den Amerikanerinnen die sympathischste, scheint auch die hiesigen Leute gut zu verstehen. Miss Holmes, die Vorsteherin des ganzen hiesigen Werkes, windet sich selbst immerfort Kränzchen, wütet gegen die Deutschen, was diese wahrhaftig nicht mehr nötig haben und ein neutrales Herz nicht verträgt – x- sie ist mir nicht recht geheuer. Miss Smith, eine sogenannte Krankenpflegerin, wirkt wenig und ist harmlos. Zu den 3 Damen gehört noch Mr. Weeden, der Sonny Boy, wie ihn Miss Holmes nennt, der sich ziemlich komisch aufführt. Mit allen verkehren wir, denken aber oft mit Wehmut daran, welch netten Verkehr wir früher mit den Amerikanern und Engländern hatten. Mit den englischen Offizieren haben wir, außer dem offiziellen, keinen Verkehr. Stolz wohnen sie in unserem Haus und haben darüber uns gegenüber nie ein Wort verloren. Als Angehörige der früheren Deutschen Orient Mission sind wir ihnen wohl als „Halbboches“ verdächtig. Weil sie unsere nächsten Nachbarn sind, ist dieses Ignorieren nicht angenehm, aber man hat sich jetzt auch daran gewöhnt. Ihr würdet es lustig finden, alle die indischen Soldaten zu sehen, denn die Engländer haben fast ausschließlich indische Truppen in der Türkei. In unserem Hof ist ein großes Zelt aufgestellt, in welchem die Bedienten, natürlich auch indische Soldaten wohnen. Auch in unserer Wäsche- und Vorratskammer haben sie sich eingerichtet und zwar hat man dort bei einem Soldaten frühere Kleidungsstücke von Vater gefunden und die Wände hatte sich der Inder mit Helgen aus Andreslis „Anschauungsunterricht“ tapeziert. Er behauptete, die Sachen von. Künzlers Kindern bekommen zu haben. Ein großer Teil der indischen Soldaten ist im türkischen Spital einquartiert. Wir finden dies sehr fatal, denn unser Spital ist zu klein für die vielen Kranken und wenn auch im türkischen Spital gewöhnlich wenig geleistet wurde, so wurden doch dort vor dem Krieg immer ziemlich viele chronische Fälle verpflegt. Allerdings stand der Spital unbenutzt, als die Engländer kamen, aber sie hätten eher dafür sorgen sollen, dass er wieder in Gang komme. – In letzter Zeit war in der Stadt und in den türkischen Dörfern eine große Angst vor den Arabern der Haranebene. Diese hatten schon mehrere Male türkische Dörfer ausgeraubt, sich der Ernte bemächtigt und hatten auch gedroht, in die Stadt zu kommen. Eines Tages hatte sich vor unserem Haus, d.h. vor dem Haus der englischen Offiziere eine große menge angesammelt. Es waren hilfesuchende. Bauern aus den umliegenden Dörfern. Männer und Weiber, ein großer Haufe war gekommen die Hilfe der Engländer anzuflehen. Und richtig sahen wir in der Umgebung der Stadt viele Vertriebene Menschen und Herden und ein brennendes Dorf. Die Engländer schickten mehrere Autos mit Indern zur Hilfe. Was diese ausgerichtet haben, wissen wir nicht, aber am nächsten Tag kamen Flugzeuge von Aleppo. Die sollen Bomben auf die Dörfer der angreifenden Araber geworfen haben und das hat ihnen Respekt eingeflößt. Seither ist es ruhig.

19. August 1919. – Seit dem 9. August sind wir in unserem Weingarten und hier habe ich Zeit gefunden, Euch zu erzählen, was bis jetzt in diesem Bericht steht. Vor 4 Wochen waren wir einmal hierher gekommen um zu sehen, wie es unserem Weingartenhaus ergangen sei in den 5 Jahren unserer Abwesenheit. Wir fanden da allerdings nicht sehr erfreuliches. Auf den ersten Blick meint man zwar, das Haus sei unversehrt; bei näherer Betrachtung fanden wir aber, dass alle Türen- und Lädenangeln roh herausgerissen und dabei die Mauern teilweise sehr beschädigt worden waren. Auch sonst waren an verschiedenen Stellen Steine herausgerissen, so dass man für einen längeren Aufenthalt viel reparieren müsste. Als Vater und ich aber so da saßen und von früheren Jahren redeten, von den Sommermonaten, die wir 1912 und 1913 mit Andresli und Keidi hier zubrachten, befiel mich doch der „Glust“, auch dieses Jahr ein paar Tage hierher zu kommen. Trauben gibt es zwar in diesem Jahr allenthalben wenige, aber die schönen Feigenbäume hingen voller fast reifer. Früchte und so beschlossen wir denn, die Gelegenheit zu ergreifen und 8 Tage Ferien zu machen. Es war auch in der Stadt sehr, sehr heiß und ich hoffte, dass Vater sich auch einmal ausruhen könne. So zogen wir denn am 9. August heraus mit möglichst wenig Gepäck, sogar ohne Türen und Läden für die Stube. Vater konnte denn auch in der Ruhe allerhand schreiben, natürlich wurde er auch verschiedene Male in die Stadt gerufen und gegen Ende der Woche wurde er ziemlich ungeduldig und blangte wieder auf die regelmäßige Arbeit. Ich hatte vor, noch bis am Donnerstag, also übermorgen zu bleiben, haben wir doch auf dem Platz vor dem Haus viele Feigen und Trauben zum trocknen ausgebreitet. Gestern ist also Vater früh morgens in die Stadt geritten und abends um 7 Uhr wieder herausgekommen. Das Pferd wurde über Nacht wie schon mehrere Male – an einen Baum gebunden. In der Nacht knallten ein paar Schüsse in der Nähe und ich hörte, wie das Pferd wilde Sprünge machte. Da aber unser Nachtwächter und der Wasserträger in der Nähe waren dachte ich, sie können das Pferd schon beruhigen. Aber plötzlich hörte ich, wie es in wilden Galopp fortrannte, wahrscheinlich der Stadt zu. Wir hofften, es sei in die Stadt zum Stall galoppiert, aber leider kam der Wasserträger, den wir zu Ali schickten mit dem Bericht zurück, das Pferd sei weder vor dem Stall noch beim Spital gesehen worden. Ein Müller will einen Mann auf einem ungesattelten Pferd gesehen haben! Die Hoffnung, das Pferd, das nicht gerade schön, aber sehr angenehm- zu reiten war, wieder zu bekommen, ist nicht groß und Vater musste heute Morgen zu Fuß den Weg in die Stadt zum Spital (eine Stunde) machen, und am Abend, wenn er müde ist, wieder zu Fuß hier herauskommen.. Womöglich . ziehen wir morgen wieder alle in die Stadt. Es ist schade, dass unser Aufenthalt hier einen so fatalen Abschluss hat.

Asnif ist nun 8 Tage bei uns und hat gar kein Heimweh mehr. Leider kann ich gar nicht mit ihr sprechen, aber sie kommt manchmal und erzählt mir lange Geschichten, auf Arabisch, die ich gar nicht verstehe. Gestern hat sie mir auch etwas Arabisches gesungen und dazu getanzt. Als ich aufs Dach des Weingartenhauses stieg, mit einer Leiter, wollte sie mit und war oben zuerst ganz lieb. Plötzlich ging sie aber ganz nahe an den Rand des Daches, so dass ich sie voll Angst zurückzog. Ich schimpfte auf Baseldeutsch mit ihr und machte ihr „strenge Augen“. Da wurde sie ganz still und plötzlich umarmte sie mich und küsste mich. Seit wir Asnif haben denke ich noch viel mehr an Euch. Es ist mir schwer, dass ich ohne Euch hier bin. In Basel wusste ich oft nicht, ob ich recht daran tue, mit Vater fortzugehen, jetzt aber bin ich sicher, dass es das Richtige. war, dass ich hier sein muss, um Vater zu helfen und für ihn zu sorgen. Die Hoffnung, dass die Trennung nicht viel länger als ein Jahr dauern wird, tröstet mich auch, gar oft. Und dann sagen wir uns auch, wie gut es sei, dass ihr nicht bei uns seid, denn dies ist kein Land für europäische Kinder. Auch so viele Kinder von den Eingeborenen werden ja krank im Sommer. Der kleine David, der Bub von unserer früheren Kindsmagd Majram hat schreckliche Malaria Anfälle und oft Diarrhöe, überhaupt fast alle kleinen Kinder, die ich hier kenne, sind krank. Da bin ich dankbar, dass ihr so gut versorgt seid bei Tante Sophieli und Tante Jotti und wir haben eine große Freude„ wenn wir Bericht von Such bekommen.

Gestern war ein besonders schöner Tag mit Briefen von Euch allen drei, von Großmama, von den lieben Tanten. Nun muss ich Euch aber weiter erzählen, da wo ich vor l 1/2 Monaten stehen geblieben bin. Wir zogen also wegen der fatalen Rossgeschichte gleich, d.h. am Mittwoch wieder in die Stadt. Vater war beim Mutisarif (Gouverneur) gewesen und hatte ihn gebeten, ihm zu helfen; auch war das Pferd in der Stadt ausgerufen worden. Aber es erfolgte 2 Tage lang nichts. Da sperrte man 2 Männer, von denen man vermutete, sie hätten das Pferd abgefangen, ins Gefängnis und siehe, am nächsten Abend brachte ein kleiner Knabe das Pferd in den .Spital. Er behauptete, es sei herrenlos beim Kopru baschi gewesen, faktisch hatte ihm aber sicher jemand das Pferd zum bringen übergeben. Nun wurden die beiden Gefangenen, offenbar die Missetäter, auch wieder losgelassen. Wir waren sehr froh, dass die Geschichte einen guten Schluss hatte. Was soll ich sonst von den letzten 6 Wochen erzählen? Es ist wenig zu sagen. – Wir haben unsere Arbeit, aber das ist auch alles. Vater hat sehr viel zu tun und ich auch genug, so dass das Heimweh nicht zu sehr aufkommen kann, aber im Grund fällt mir die Trennung von Euch und Großmama und allen Lieben immer schwerer. Gott sei Dank ist es auch Vater so – denn auch er hat nun die Gewissheit, dass diese Trennung nicht zu lange dauern darf. Wenn wir auch einstweilen mit Sorgen daran denken, wie wohl unser Werk hier fortgesetzt werde, ob wir einen rechten Nachfolger finden werden, wie es mit dem Verkauf der Häuser (von denen ja unseres einstweilen von den Engländern besetzt ist) gehen wird – soviel wissen wir, dass wir unsere Aufgabe hier nach einem Jahr als erledigt halten dürfen. Bis dann hat sich ja hoffentlich auch die politische Zukunft dieses Landes geklärt und die Engländer können dann schöne Spitäler machen, statt dass sie wie jetzt, das große türkische Spital mit ihren indischen Soldaten besetzen. Unser kleiner Spital fasst beim besten Willen nicht mehr als 42 – 45 Kranke (gegen 25 früher, wo man auch schon glaubte, ihn voll zu haben) Zahlende Patienten gibt es leider immer weniger, aber wir sind ja eigentlich auch hauptsächlich für die Armen da, die außer bei uns, nirgends Hilfe finden. Die türkischen Ärzte und Apotheker haben eine große Propaganda für ihre Arbeit gemacht und man hat das an unseren Einnahmen in Apotheke und Praxis sehr gemerkt. Die armen islamischen Kranken kommen aber nach wie vor treulich zu uns, denn für sie ist sonst nirgends Hilfe und die türkische Regierung geniert sich auch nicht, uns ihre ärmsten Kunden zu schicken. So haben wir seit Monaten zwei, arme kranke Knaben, die in einem Moscheehof ohne Pflege gelegen hatten. Die türkische Regierung schickte sie zu uns mit dem Versprechen, für sie zu zahlen – aber nie wird sie dieses Versprechen einlösen – u.s.w. Gegen Mitte Oktober wurden Gerüchte laut, die englische Besetzung werde Urfa, überhaupt ganz Syrien räumen. Wie immer glaubten wir nicht an das Gerücht und beruhigten die Armenier, die sogleich in große Angst gerieten. Aber am 20. -Oktober war es sicher, dass das Gerücht wahr war und die Engländer abziehen werden. Große Panik unter den Armeniern. Die Türken drohten auch ganz öffentlich und triumphierten, dass sie die armenischen Frauen, die sie seit dem Waffenstillstand und später unter dem Druck der Engländer aus ihren Harems entlassen mussten, wieder zurücknehmen werden. Einem armenischen Müller erklärte auch ein Türke, dass er ihm seine Mühle wieder wegnehmen werde u.s.w. Die Angst stieg immer mehr, auch die Aufregung und auch wir hatten die Überzeugung, dass, wenn vielleicht auch keine Massaker sein werden, jedenfalls doch den Armeniern wieder alle ihre Rechte streitig gemacht würden, wohl verhandelten die Engländer mit dem Mutesarif und dieser versprach, es werde nichts geschehen; was aber sein Wort gilt hat man seither erfahren. – Doch am 24. Oktober verbreitete sich die glückliche Nachricht, die Engländer werden von den Franzosen abgelöst. Große Freude der Armenier, Wut der Türken. – Am 27. Oktober trafen Capitaine Lambert und Lieut. Deloire mit wenig kann ein. Am 1. November verließen die letzten Engländer Urfa. Unser Haus haben sie den Franzosen einfach übergeben, ohne es für nötig zu halten, uns gegenüber ein Wort zu verlieren, trotzdem Major Burrows Andreas versprochen hatte, sein Möglichstes zu tun. Ich hatte denn gleich anfangs ein kleines Scharmützel mit dem französischen Offizier auf der Treppe unseres Hauses. Ich war nämlich nach Abzug der Engländer hingegangen, um wenigstens die Möbel herausnehmen zu lassen (es war nur eine französische Schildwache da). Als alles fertig war, ging ich noch durch die alten heimeligen Stuben und auf den Balkon und es wurde mir recht schwer, dass wir nun das Haus doch nicht haben sollten. Da traf ich auf der Treppe Cap. Lambert an, der im Ton des Vorwurfes nach den Möbeln fragte, die doch vorher hier gewesen seien. Ich sagte ihm, wo sie hingekommen seien und klärte ihn auch sonst über meine Meinung in Bezug auf das Haus auf; natürlich vergebens. – Bald darauf kämen mehr Offiziere, es sind jetzt etwa 14 und etwa 500 Mann, etwa 3 Kompagnien, ein Schwadron Spahis und Mitrailleure. Von den 3 Kompagnien sind 1 Komp. Franzosen, 2 Komp. Algerier und außerdem noch etwa 30 Mann Senegalesen und Neger verschiedener Rassen. Nachdem ich mich über den Verlust des Hauses etwas beruhigt hatte, freuten wir uns, dass die Franzosen offenbar im Sinne hatten, freundschaftliche Beziehungen mit uns zu unterhalten. Da sie keinen Arzt hatten, waren sie allerdings auch darauf angewiesen, denn Vater wurde gefragt, ob er die Kranken besorgen wolle. In verschiedenen Malen hatten wir wenigstens einen Teil der Offiziere zum Nachtessen, auch Colonel Gapetrel von Djerablus. Hier ist Major Hauger der Commandant, Captaine Sajon hat sich als Gouverneur gegen die Türken entpuppt, dann kennen wir noch etwas Cap. Lambert und die Lieuto. Soyer, Landucci und Deloire etc. Am meisten sehen wir Cap. Perrault, Vater ist hie und da mit ihm ausgeritten. ES hat sich herausgestellt, dass Perrault als Verwundeter im Herbst 1918 auch in der Armee-San.-Anstalt Fribourg war, als Vater dort 9 Monate lang als Chirurg war. Da Perrault nicht von Vater behandelt wurde, erkannten sie sich erst, als wir etwa 14 Tage nach der Ankunft der Franzosen einmal bei diesen zu Nacht assen. Perrault hat sogar einen Lichtbildervortrag von Vater über Urfa mitangehört in Fribourg. Doch ich muss weiterfahren, wo ich stehen blieb. Ich hatte vergessen zu schreiben, dass im September, 14 Tage nachdem meine damalige Köchin Chanura ihr Kind gefunden hatte, ihr Bruder aus der Gefangenschaft von Ägypten zurückkehrte und wieder etwa 3 oder 4 Wochen darauf wurde Chanum in die Stadt gerufen und kam nicht wieder zurück, denn siehe, ihr Mann, der solange verschollen gewesen war, ist zurückgekehrt. Was er in den Jahren, da er seiner Frau nicht mehr geschrieben hat, getrieben hatte, wissen wir nicht recht. Aber jedenfalls kam er nicht ganz verdorben zurück und wollte eben Frau und Kind gleich zu sich nehmen. In ihrem früheren Hof haben sie nun ein kleines, sonnenloses Kämmerchen. Der Mann ist Messerschmied und hat mit „einem andern am Markt eine Werkstatt eröffnet, aber leider konnte er bis jetzt sehr wenig arbeiten infolge der Unsicherheit und mir ist bange, in diesen Tagen sei die Not bei ihnen eingekehrt. Asnif ist oft am Samstag, wenn sie keine Schule hat, bei uns draußen. An Chanums Stelle nahm ich wieder eine Frau Simrud, mit einem Kind Haiganusch, 11-jährig. Ende November hatte ich hier und da Zahnweh, nicht sehr stark, aber doch so, dass es mir immer mehr unheimlich wurde. Es bot sich eine Gelegenheit, mit Miss Smith und Miss Waller, die auch zahnärztliche Betreuung nötig hatten, nach Aleppo zu reisen. Eines Nachts (l. Dezember) 2 Uhr führen wir im amerikanischen Auto, von Vater begleitet, und von Mr. Weeden geführt, nach Tel Abiad, wo wir um 6 Uhr morgens in den Zug stiegen. Wir hatten eine wunderbare, auch gemütliche Fahrt und kamen verhältnismäßig früh, abends 4 Uhr in Aleppo an. Von Djerablus hatten wir an das amerikanische Relief und an Herrn Schuep telegraphiert, aber die Telegramme kamen zu spät. So nahm ich denn, nach der Ankunft in Aleppo einen Wagen und fuhr zu Schueps, von denen ich, als Frau Schuep von einem Ausgang zurückgekommen war, herzlich aufgenommen wurde. Es war mir lieber so, als wenn ich beim amerikanischen Relief hatte Zuflucht suchen müssen. In Ungewissheit, ob wir eventl. nach Jerusalem weiter reisen würden, verlor ich 2 Tage beim Zahnarzt. Doch die Ladies erhielten die Erlaubnis nicht, jetzt längere Ferien zu machen und so ließ ich mich denn vom Zahnarzt drei Tage lang tüchtig plagen. Daneben machte ich viele Kommissionen und lernte, mich in Aleppo ein wenig zurecht zu finden. Am Samstag, den 6. Dezember, reisten Miss Smith und ich wieder ab. Vergebens waren wir morgens 5 Uhr auf den Zug gegangen, es behagte diesem nicht, vor 9 Uhr abzufahren und so kamen wir denn auch abends spät in Tel Abiad an und brachten die Nacht noch in unseren Feldbetten im Eisenbahnwagen (es war wieder ein Gepäckwagen) zu. Zugleich mit uns war der französische Oberst Thibaud angekommen und er fand denn auch noch in unserem Auto Platz mit seinem Adjutanten. Nämlich um 10 Uhr war das amerikanische Auto angekommen wieder mit Vater, der uns abholte und wir führen denn gleich heim, wo es einem wieder so recht wohl wurde. Aber nein, eigentlich nicht. Immer öfters spukten meine Zähne und ich hatte mehrere fast schlaflose Nächte bis sich Vater meiner erbarmte und mir den Zahn, für den ich die Reise nach Aleppo getan, auszog. Hernach fielen auch noch 1 oder 2 von den in Aleppo gemachten Füllungen heraus.

Im Dezember waren die Hochzeiten zweier unserer langjährigen Krankenpflegerinnen. Zuerst diejenige von Kutsi mit Mirs Avedis, eben dem Bruder von Chanum, der aus Ägypten zurückgekommen war. Dieser hatte während dem Krieg seine Frau und vier Kinder verloren. Chatun heiratete einen Metzger.

Eine stille Weihnacht kam und ging vorüber. Die Krippe haben wir aufgestellt für Haiganusch, Asnif, David und auch für die großen Kinder. An 2 Abenden zwischen Weihnachten und Neujahr luden wir alle unsere Angestellten ein. Am Sonntag assen Dr. Bethlian, seine Frau und Dr. Kiledjian mit seiner Schwester bei uns zu Mittag. Am Neu-Jahr hatten wir sämtliche Amerikaner und die französischen Offiziere zum Tee. Ich vergaß zu schreiben, dass Ich in Aleppo war und an einem Vormittag mit Fräulein Alice Schuep ausgehen wollte; diese sagte, man höre, es renne alles aus der Stadt und es werde wohl wieder eine Demonstration gegen die Franzosen geben. Richtig, nach kurzer Zeit versammelte sich ein großer Volkshaufe gerade vor Schueps Haus, demgegenüber ein Karakoll (Polizeiposten) ist. Ein langer Zug. hauptsächlich, wie es schien, aus Saudi Arabern, bestehend, rückte an und nun wurden vom Karakoll aus flammende Reden gehalten von jungen Leuten, verschiedenen syrischen Offizieren und sogar von einem vielleicht lo-jährigen Mädchen – leider alles in Arabisch, so dass ich nichts verstand. Ein Offizier sagte unter anderm, was geschehen sei in diesen letzten Jahren, das wollen sie vergessen, was aber jetzt geschehen solle, das müssen sie verhüten, sonst seien sie nicht mehr wert, diese Fahne zu tragen. Das kleine Mädchen sprach für die alten Leute und für die Ehre der Frauen. Das Ganze war eine Demonstration gegen die Fremden, d.h. hauptsächlich gegen die Franzosen, die damals aber nur den Bahnhof von Alepp, überhaupt die Bahnen besetzt hatten. In der Stadt war überhaupt unter den Christen eine gewisse Aufregung, denn als eine Festkanone erdröhnte, als ich einmal beim armenischen Zahnarzt war, rannte alles voller Angst zusammen. Die Demonstration verlief ganz ruhig. Zum Schluss führten 2 Araber eine Art Speertanz auf.

Urfa, Montag, den 21.Januar 1920. – war armenische Weihnacht. Am Freitag vorher war wieder einmal eine Panik auf dem Markt in Urfa, so dass alles in ihre Häuser flüchtete. Von da an getrauten sich die Armenier überhaupt nicht mehr auf den Markt in. ihre Werkstätten. Die Türken bedrohten auch wieder ungeniert die Christen und zwar Syrer und Armenier Die nötigen Lebensmittel konnte man meist von Türken am Kopru Baschi kaufen. Auch unter den Türken schien aber Aufregung, teilweise Angst zu herrschen. Im Spital nahmen die muselmanischen Patienten in der Sprechstunde und Spital immer mehr ab, die verschiedenen Kurden und Araber mit Schussverletzungen etc., die wir teils mehrere Monate, hier liegen gehabt (Mohammed 7 Monate, seine Mutter Ghasel 4-Monate) wurden plötzlich alle gesund und wollten in ihre Dörfer zurückkehren. Nach und nach hörte man, dass die Eisenbahnstation Arapunar (franz. besetzt) von den Annes! Arabern angegriffen worden sei, dass- sich aber „die Franzosen erfolgreich verteidigt hatten. Die hiesigen Franzosen hielten alles für unwichtig. Am Dienstag, den 29. Januar hatten wir keine Operationen, so dass ich zu Hause blieb und an Sophie Iseli und Albert Oeri schrieb. Da kam Andreas etwa um l0 Uhr. vom Spital und berichtete, man sage, die Araber seien nur 3 .Stunden von der Stadt, die Armenier hätten sich alle versammelt; es sei große Aufregung. Andreas ritt in die Stadt, um die Leute zu beruhigen. Im äußern Armenierquartier waren alle Leute ausgezogen und hatten sich im Quartier um Masmana und um die amerikanische Mission konzentriert. Frau Dr. Beshlian war noch in ihrem Haus, alle Nachbarn waren ausgezogen und so lud sie Andreas ein, zu uns zu kommen, wofür sie sehr dankbar war, während Dr. Beshlian erklärte, er müsse im Armenierquartier bleiben. Der Tag Verlief ruhig; gegen Abend kam Frau B. mit 2 Kindern und der Magd. Wir quartierten sie in unserer Esstube ein und als man sich vom ersten Schreck erholt hatte, verlebten wir ein paar ganz nette Tage miteinander. Die nächstfolgenden Tage benützten wir nun auch, um noch für Spital und Haus Lebensmittel anzuschaffen und Geld. Letzteres gelang nur noch in beschränktem Masse, denn da die Bahn unterbrochen war, wollten die Leute unsere Checks auf Aleppo nicht mehr.

19.Februar 1920. – Am Montag, den 2. Februar sog Frau Beshlian wieder in die Stadt, worüber wir eigentlich froh waren; denn mit der Zeit war es immer offenbarer, dass die Feindseligkeiten der Türken diesmal hauptsächlich gegen die Franzosen gerichtet seien. Die Armenier wurden wenigstens dessen versichert. Immerhin erhielten die Führer der Armenier verschiedene anonyme Briefe, in denen ihnen angeraten wurde, auf der Hut zu sein. Z.B. einmal waren sie von den Türken in eine Moschee zu einer Besprechung eingeladen, aber durch anonyme Briefe abgehalten worden, daran teilzunehmen. Am Freitag, den 6. Februar auf Samstag war mir während der Nacht in den Sinn gekommen, dass wir in den Spital ziehen sollten, um nicht eventl. davon ganz abgeschnitten zu werden. Andreas war einverstanden. Da wieder keine Operation, blieb ich am Samstag Vormittag zu Hause und machte die Januar-Rechnungen. Um Mittag kam Andreas und berichtete, es sei unruhiger als je. Darauf ging ich sofort nach dem Essen in den Spital um einiges anzuordnen (Wasser zu füllen etc.) und sah mich um, wo wir uns eventl. einrichten könnten. Ich wollte an diesem Tag noch einiges Entbehrliche (Feldbetten etc.) in den Spital schicken. Währenddem ich zu Hause packte, immer mit dar Idee, es sei vielleicht ganz unnötig, sah ich plötzlich einen Soldaten im Laufschritt ins Offiziers-Haus eilen und mit ihm kam sofort der Commandant heraus und eilte ins besetzte Osman Effendi Haus. Bald darauf war alles in Bewegung. Man hatte In der Ferne Kurdenreiter gesehen. Inzwischen war Andreas aus der Stadt gekommen und wir erfuhren, dass die Baderli Kurden den Franzosen ein Ultimatum gestellt hatten in 24 Stunden Urfa zu verlassen, oder sie werden angreifen. Nun zogen wir alle schleunigst in den Spital. Um 5 Uhr hieß es schon, die Wasserleitung sei abgestellt, aber wir konnten vorher alle Behälter füllen. In den Spital waren Dr. Armenags mit 2 Kindern und viele Syrer geflüchtet. Ich bat Dr. A. sofort, auch noch von seinen Vorräten kommen zu lassen, denn natürlich hatte er nur seine Teppiche und sein Pferd geflüchtet. Auch die ungefähr 50 oder 60 Syrer hatten nichts bei sich. Wir konnten sie natürlich nicht wegschicken, sagten aber, dass, wenn Essen und Wasser knapp werden, wir eben in erster Linie für unsere Angestellten sorgen müssten. Andreas und ich richteten uns in den beiden kleinen Untersuchungszimmern vorläufig ein. Am Sonntag Morgen holten wir von Syrern mit Säcken begleitet, noch vielerei aus unserem Haus. Es blieb ruhig den ganzen Sonntag, trotzdem das Ultimatum bis zum Mittag abgelaufen war. Auch nachmittags holte man noch Holzvorräte aus unserm Haus. Von den Syrern waren noch etwa 23 bei uns, andere haben sich in der Nähe in leerstehende Häuser geflüchtet. Das ganze Quartier vor der Stadt hatte sich in den letzten Tagen entleert. Auch Ali ist mit seinen zwei Frauen, unserer Kuh und dem Pferd ausgezogen. – Am Montag, den 9. Februar fiel in der Morgenfrühe ein Schuss, dann erfolgte nichts. Wir gingen deshalb nochmals mit Syrern und allen Schweizersäcken ins Haus, um womöglich alles, was sich dort an Vorräten befand, noch in den Spital zu schaffen, denn die Verpflegung der vielen Leute (wir zählten am Abend des 9. Februar 99) machte uns Sorge und wir hatten noch ziemlich Weizen und Linsen im Haus. Vater ging dann, um Visite bei den französischen Kranken zu machen. Ich ging, als so ziemlich alle Vorräte fort waren, auch in den Spital um anzuordnen, wohin alles gebracht werden soll. Den Syrern, die mich fragten, was sie nun noch holen sollten, sagte ich, sie sollen nun zuerst essen, dann sollten sie noch Holz holen. Ich hörte, wie Simrud, meine Köchin, zu Majram sagte, sie wolle nun auch schnell ins Haus, niemand dachte etwas dabei. Am Tag vorher hatten wir eine Rot-Kreuzfahne auf unserem Spitaldach befestigt (der Syrer Bedros war hinaufgestiegen);nun nagelte ich noch eine Rot-Halbmondfahne an eine Stange und Bedros wollte sie aufs Dach bringen Währenddem ich im Waschhaus ein Seil am Fenster losmachte, fing es plötzlich an zu schießen – schießen von allen Seiten. Alles flüchtete sich in die Küche; ich suchte nach Andreas, da ich nicht sicher war, ob er im Hause sei. Da sehe ich den Syrer Bedros gegen die Haustür rennen. Ich gehe hinter ihm drein, er hat offenbar klopfen gehört, macht die Türe auf, eine Frau flüchtet sich herein; Bedros schlägt die Türe zu und sagt zu mir, er glaube, er habe einen Schuss im Bein. Wir gehen in die Küche und ich suche Andreas und sage ihm von Bedros. Als wir in die Küche kommen ist dort Simrud halb ohnmächtig. Sie war noch oben in unserm Haus als das Schiessen begann und eilte in den Spital, fand die Türe verschlossen und währenddem sie klopfte wurde sie durch Rücken und Arm geschossen. Beide Verwundeten wurden in den Operationssaal gebracht. Simruds Armwunde sah schrecklich aus, der Knochen war zertrümmert und ein großes Loch ging durch den Arm durch. Bedros hatte einen Streifschuss im Knie, von dem wir erst hofften, es sei unbedeutend, aber nach einer Woche bekam er mehr Schmerzen und Fieber und es wurde offenbar, dass doch auch das Gelenk getroffen war. Die arme Simrud litt viel in den nächsten Tagen und Andreas fand es bedenklich. Am Freitag ging aber das Fieber herunter und sie hatte keine Schmerzen. Andreas aber sah, dass sich eine Gasphlegmonie entwickelte. In der Nacht auf den Samstag wurden wir gerufen. Simrud sei sehr schwach. Ich blieb bei ihr bis zum Morgen, versprach ihr, für ihr Kind zu sorgen. Sie bat Andreas, als er wieder kam, zu beten. Sie wurde immer schwächer Währenddem ich beim Frühstück war, hatte sie wieder nach mir gefragt, als ich zu ihr kam, war sie kaum mehr bei Bewusstsein und nach wenigen Minuten starb sie ohne schweren Kampf. In der Nacht begruben wir sie in unserm Spitalhof; man wagte nicht, sie auf den Gottesacker zu bringen, wo bis dahin ein französischer Soldat begraben worden war, da gerade an diesem Samstag große Angst war infolge eines Briefes vom türkischen „Commandanten des forces nationalistes“ in welchem dieser den Vorschlag machte, da sie beschlossen hätten, die franz. Positionen gänzlich zu zerstören, uns mit unserem Personal ins Türkenquartier zu begeben. Von einem Eingehen auf diesen Vorschlag war ja keine Rede. Durch diesen und andere Briefe, die Vater erhielt, war es offenbar geworden, wie gerne die Türken Vater zur Pflege ihrer Verwundeten gehabt hätten. Doch zurück zum Montag, den 9. Februar. Nachdem Simrud und Bedros operiert und in ihre Betten gebracht worden waren, sahen Vater und ich nach allen Kranken. In den oberen Männerstuben hatten sich die Kranken teils unter ihre Betten geflüchtet. Wir machten nun so gut wie möglich für die gefährdetsten Kranken Betten am Boden. Am schlimmsten war natürlich die Stube oberhalb der Haustüre dran; da waren schon verschiedene Kugeln hereingepfiffen. Auch bei den Frauen der Ostseite war große Angst und nicht, ohne Grund, denn in den nächsten Tagen sind dort so und so oft Kugeln hereingeflogen und die Ostwand des Hauses ist voll von Kugelspuren. Auch da betteten wir auf den Boden. Den Lahmen Mardiros rückten wir vom Fenster weg, nachher hatte er Angst, die Kugeln gingen durch den Wandschrank, vor den sein Bett gerückt war und er half sich selber auf den Boden. Da unsere Spitalhaustüre und der Weg, der zu dieser führt, sehr gefährlich waren, beschloss man, einen andern Ausweg zu suchen und die Syrer brachen eine Öffnung in die Mauer des Holzschuppens. Durch diese gelangte man in einen Kurdenhof Dort brach man wieder ein Loch in eine Mauer und GO hatten wir einen schusssichern Weg, von dem aus man zu den Franzosen gelängen konnte. Auch unser großer Hof, durch den man beständig zu den Kranken muss, ist höchst gefährlich, da die eine Hälfte der Ostmauer weniger hoch ist als die andere und der Hof so großenteils frei liegt gegen das Haus des Mutesarif das Minaret, von dem aus geschossen wird. In der ersten Nacht hörte die Schießerei fast auf. Man brachte uns einen leicht verwundeten Franzosen. Ein Franzose war gleich am Anfang getötet werden. Andreas ging um 11 Uhr mit Cap. Perrault und Lt. Soyer, um noch leicht Verwundete im türkischen Spital (von den Franzosen besetzt) zu sehen. Schon am Vormittag hatte es angefangen zu schneien und es schneite weiter die ganze Nacht. Wir hofften, mit Steinen in unserem Hof die Mauer erhöhen lassen zu können durch die Syrer, aber der Versuch misslang, denn die Leute hatten kein Werkzeug und auch ein französischer Soldat, der zur Hilfe kam sagte, der Boden sei zu fest gefroren und die Steine könnten nicht losgemacht werden. Am Dienstag wurde viel geschossen. Nachts brachte man uns einen Franzosen mit einer Schussfraktur des rechten Beines. Während er im Op. Saal operiert wurde, wurde von den Türken tüchtig gegen das große erleuchtete Fenster geschossen. Sonst vermieden wir natürlich überall Licht. Am Mittwoch, den 11. Februar früh wurde Vaters Schürze (er ging durch den Hof zu den Kranken) durch einen Schuss gestreift. Der Schuss schlug nachher in eine Fensterbrüstung des Krankenzimmers No. l ! Es war offenbar, dass man trotz unserer Rot-Kreuzfahne auf Personen in unserm Hof zielte, denn jedesmal, wenn jemand durch den Hof eilte, krachte ein Schuss. Die Syrer rissen nun bei den Kurden ein Haus nieder, um für die Nacht Steine bereit zu haben, um die Mauer zu erhöhen. Nach Einbruch der Nacht geht A. zu den Verwundeten und Offizieren. Während dem werden im Spital alle Patienten, die noch im 1. Stock liegen, heruntergebracht und der Op. Saal ins Verbandszimmer verlegt. Nachher beaufsichtigen A. und ich noch die Syrer, die die Mauer erhöhen. Gott sei Dank, und noch einige Fenster verbarrikadierten. Es lag hoher Schnee. Wir hörten, dass am 1. Tag die Türken viele Tote (6o?) und Verwundete (100?) gehabt hätten, als sie gleich am Anfang den Tylfiter stürmen wollten, den die Franzosen auch besetzt haben. (Amerikanische Mission). Eine glückliche Nachricht an diesem Abend war auch, dass es hieß, man habe in der Ferne Kanonendonner der französischen Colonne gehört. Ach und jetzt ist unsere, oder meine Hoffnung auf diese Hilfe so klein (24. Februar).

Am Donnerstag, den 12. Februar sahen wir nachts ein großes Feuer. Es war Oemr Eff. Haus, das brannte. Der französische Gouverneur hatte dort seinen Sitz gehabt, da es aber weit von den anderen französischen Positionen ablag und vom gegenüber aus Gouverneur Mutesarifs Haus beschossen wurde, hatte sich der französische Gouverneur Sajon am Montag Abend mit seinen Leuten geflüchtet. Warum die Türken das Haus verbrannten, ist uns unerklärlich. An all diesen Tagen brauchten wir viel Schneewasser zum kochen, aufwaschen etc. Am Donnerstag Abend holten die Syrer zum ersten Mal Wasser im Sodbrunnen in Osm. Eff. Garten. Andreas und ich gingen mit und besuchten dann im Anschluss daran die Verwundeten.

Am Samstag, den 15. Februar starb Simrud und wurde nachts begraben und wir erhielten den Brief vom „Commandant des Forces Nationalistes“, von dem ich früher schrieb.

Am Sonntag, den 15. Februar krachten verschiedene Kanonenschüsse, es schien uns aber kaum ärger als die Bomben, die die Franzosen abschmissen. Die ersten Geschosse krachten, während dem wir in den Krankenzimmern eine kurze Andacht hielten, und nachdem Andreas auch in der Küche eine Ansprache an das Personal und die gesunden Flüchtlinge etc. gerichtet hatte. Abends ging Andreas zu den Franzosen. Währenddessen brachte man einen Syrer Flüchtling aus einem Nachbarhaus mit einem Schuss in der Achsel. Dr. A. operierte diesen. Der Commandant Hauger kam, um den Schlüssel unseres Hauses, also des Künzlerhauses zu erbitten, da das Offiziershaus – unseres – stark von den Kanonenschüssen gelitten und sehr ausgesetzt sei. Dann brachte man Cap. Baloche, der von einem Schrapnell verwundet war am Bein. Als auch er von Andreas operiert war, gingen wir in unser Haus, um noch allerhand zu holen. Wir fanden da den Commandanten und andere Offiziere in der rauchigen Küche. Auch ihre Lager waren da aufgeschlagen. Auch dieses Haus hatte 2 Schrapnellschüsse abbekommen, einen durchs Dach, einen durch die Frontmauer. In der Schlafstube lag ein großer behauener Stein, den es hinausgesprengt hatte. Die Wohnstube war voller Holzsplitter, viele Scheiben waren zertrümmert. Das kleine alte Aquarell von Überlingen im Mondschein, das ich bei unserer Rückkehr vermisst hatte, und das Andreas im Zimmer eines englischen Offiziers entdeckt und abgehängt hatte, war von einem Gewehrschuss durchbohrt. So gehts mit den Dingen, an die wir unser Herz hängen – ich hatte das Bildchen so gerne.

Am Montag, den 16. Februar ungefähr um l0 Uhr kamen 2 türkische Parlamentarier mit der weißen Fahne, die für uns einen Brief brachten und mit Angst weiter zu den Franzosen gingen. Nachdem sie fort waren eilten Andreas und ich auf dem gedeckten Weg auch zu den französischen Offizieren. Im türkischen Spital sahen wir die türkischen Parlamentarier (die in Araber verkleidete Gendarmen waren) mit verbundenen Augen am Boden hocken. Die Offiziere waren nicht im türkischen Spital. Wir sprangen über den Kirchhof zu unserem d.d. Offiz. Haus. Da sahen wir auch, was die Kanonen an unserem Eigentum angerichtet haben. Die Offiziere waren im kleinen Weststübchen. In unserem Brief vom türkischen Commandanten wurden wir aufgefordert zu sagen, wie viel Zeit wir zur Räumung des Spitals brauchten. Andreas schrieb sogleich, wir brauchten mindestens zwei Tage. Dann zurück in den Spital, die Parlamentaire werden 5-10 Minuten nach uns losgelassen. Nach dem Mittagessen fängt die Kanone wieder an zu donnern und zwar viel stärker als gestern. Es scheint im Schischohaus einzuschlagen, in unseren Höfen fand man 2 Granatsplitter. Es ist große Angst im Spital, alles

flüchtet sich in die bestgesicherten Räume, .aber welches sind dies? Wohl sind im untern Stockwerk lauter Gewölbe mit dicken Wänden, aber jeder Raum hat viele Fenster. Andreas und ich hielten uns mit einigen Syrern in der Vorratskammer auf. Auf den Schreck hin war abends wieder große Angst, wir fanden einige der Schwestern weinend und mir schien, man dürfe niemanden mehr zurückhalten, der lieber in die Stadt sich flüchten möchte. – Nach Rücksprache mit Schwestern und Syrern schrieb Andreas noch einmal an den Commandanten des Forces Nationalistes in dem Sinne, ob er gestatte, dass wir unser Spital ins Armenier-Quartier evakuieren. Von uns schrieben wir nichts, waren aber entschlossen, die Franzosen nicht zu verlassen. Am Abend kam Dr. Kiledjtan zu Besuch. Die tröstliche Gemütlichkeit des Letzteren ermunterte auch unsere Schwestern wieder etwas. Schwester Ropsome verließ in der Nacht mit ihnen den Spital, um zu ihrer Mutter zu gehen.

Am 17. Februar hörte man keine Kanonenschüsse mehr. Die Nacht war unruhig, tagsüber wurde wenig geschossen. Abends kam Novagin, der in der Imighasian Ruine einen Laden gehabt hatte und fragt, ob er seine Frau, Kinder etc. 10 Personen, die er in der Nähe in einem K. gehabt hat, zu uns bringen dürfe. Die Nacht vorher hatten die Kurden den Observatoriums-Hügel eingenommen (1 Toter, 16 Vermisste; Franzosen). Wir willigten schließlich ein. Vorräte haben sie selbst. Während Andreas bei den Franzosen ist, kommen noch viele Flüchtlinge zu uns. Von uns aber wollten ca. 40 Personen in die Stadt, Dr. A. und Familie, 4 Schwestern, einige geheilte Patienten und Syrer. Es gelang aber nicht, sie kamen alle zurück, denn es hie es, auf der anderen Seite des Flusses Karakojun seien die Kurden in den Gräbern versteckt. In dieser Nacht hatten wir 147 Personen im Haus.

Am 18. Februar. – Andreas schrieb an den Commandanten des Forces Nationalistes und bat, dass man geheilte Patienten und Flüchtlinge ins Armenierquartier ziehen lasse. Krikor geht mutig mit der weißen Fahne zum Serail. Die Antwort des Commandanten lautete, es sei nicht tunlich, den Spital ins Armenier-Quartier zu verlegen, weil es auch dort gefährlich sei, dagegen könne der Spital ins Türken- oder Syrerquartier verlegt werden und die Armenier, nachdem sie mit A. auf der Regierung vorgesprochen haben, in ihr Quartier gehen. Aber niemand hat Lust, sich bei der Regierung zu zeigen. Abends verließen aber etwa 15 Armenier und Syrer den Spital auf dem bek. Weg nach dem Tylfiter mit der französischen Ablösung. Aus einem Haus in der Nähe konnte man ca. 2 Zentner Weizen- holen; der alte Simon der den Weizen für einen Armenier in Alepp verwaltete, war nicht sehr einverstanden, aber er musste ihn hergeben gegen einen Gutschein und wir behalten uns vor, eventl. mehr zu holen.

Am 19. Februar gingen wieder etwa 15 Syrer ab. Vater fühlte sich sehr unwohl.

Am 29. Februar plötzlich wieder ein Kanonenschuss (im Schischohaus geplatzt) nachdem 3 Tage keine erfolgt waren. Es blieb aber bei dem einen und wir hoffen, dass die Kanone nun endgültig erledigt sei. Es hieß hernach, ein Armenier von Severeck habe die Kanone bedient, sei aber von den Türken ermordet worden. Im Hof wieder Granatsplitter. Am Abend ging wieder ein Zug von etwa 15 Syrern ab mit 3 armenischen Frauen. Diese Syrer kamen alle zurück, da die Armenier sie nicht in ihr Quartier einlassen wollten.

Am 21. Februar, Samstag wurde tagsüber wenig geschossen. Am Nachmittag kam ein Soldat um zu melden, Ltd. Soyer sei verwundet im Gesicht. Ich habe nicht gern, dass man A. am Tage ruft, geht doch kein Offizier von einem Haus ins andere bei Tageslicht wohl ist man durch Mauern etc., ziemlich gedeckt, aber eben doch nicht ganz. Ich ging deshalb mit. Wir konnten nur anordnen, dass Soyer nachts gebracht werde, was denn auch geschah. Nach der Operation in Capt. Baloche’s Bett im früheren Operationssaal, Baloche hatte am Abend vorher den Spital verlassen. Auch Soyer blieb nur 1 Nacht und den Tag über, die Herren finden auch den Spital ziemlich ausgesetzt und haben Angst, darin überrumpelt zu werden. Mit dem Armenierquartier ist es nicht mehr möglich, zu verkehren, da die Kurden in den Gräberhöhlen sind.

Am Sonntag, den 22. Februar war es auch soweit ruhig. Abends nach 9 Uhr, nachdem A. von den Franzosen zurückkam, gingen wir noch mit 4 Syrern ins Haus um allerhand zu holen. Erst um 11 Uhr waren wir wieder im Spital.

Am 25. Februar. – Andreas ging es zum Glück besser. Nachts wurde viel geschossen, tagsüber wenig.

Am 24. Februar, Dienstag, wurde nicht sehr viel geschossen, aber aus der Nähe hörten wir denn auch gestern Abend, dass die Kurden oder Türken jetzt vom Chan aus, also ganz aus der Nähe, schießen. Durch einen Brief von Miss Waller, einer Amerikanerin, erfahren wir, dass ihre Besatzung in der vorhergehenden Nacht. 2mal angegriffen worden und dabei einer ihrer Algerier verwundet worden sei. Abends ging ich mit A. zu den Verwundeten ins Osmanhaus, türkisches Spital und unser Haus. Wir hören, dass die Amnesi Araber nun auch in der Stadt seien.

25. Februar. – Von der Hilfskolonne weiß man nichts. Vor 8 Tagen hatte man geglaubt-, Scheinwerfer in der Harangegend zu sehen. Auch ferne Kanonenschüsse habe ich selbst 2 mal gehört, aber seither hat man keine Zeichen, dass Hilfe nahe. In den letzten Tagen sind die Feinde von allen Seiten näher gerückt. Miss Waller schrieb gestern Abend, sie vermuten, die Kurden seien in der Waisenhausküche, die etwa 200 m. von ihrem Haus ist und heute Nacht hörte man wieder schießen von dort. Auch in unserer Nähe wurde viel geschossen. Heute Morgen fand man zwei nicht geplatzte franz. Handgranaten in unserm Hof! Woher diese kommen, ob es von den Türken eroberte sind oder ob es fehlgegangene französische sind? Oft hat man die Idee, die Türken schießen absichtlich auf den Spital, auch heute Nacht. Unsere und der Franzosen Lage wird doch immer bedenklicher und wenn nun die Hilfe nicht bald kommt, so kann es schon in den nächsten Tagen schlimm kommen, aber nicht ohne einen verzweifelten Kampf der Franzosen. Gott, warum haben die Franzosen ihre Kanone nicht mitgebracht, sondern in Djerablus gelassen, warum haben sie keine drahtlose Telegraphie, die sie auch absolut haben sollten. Für vieles müssen wir ja auch dankbar sein. Denkt an den Schuss durch Vaters Doktormantel. Darin haben wir bis jetzt genug Vorräte gehabt für alle die Leute in unserem Spital. Wir haben heute 38 Patienten (3 Moh., 2 Franz., 33 Christen) 26 syr. Männer, 27 armen. Frauen und Kinder, 1 Mann, 16 Angestellte, Frau Dr. A. zwei Kinder und Mägdli 4, A. und ich = 2 = 113 Personen. Und noch sind viele Vorräte da. Und wie haben wir am Anfang gefürchtet, das Wasser werde ausgehen. Nun läuft bei Mahmud Netin und im Osman Haus immer noch die eine Wasserleitung und jeden Abend versorgen uns die Syrer mit Wasser. Solange es viel schneite, haben wir auch immer Schneewasser geschmolzen. In den letzten Tagen haben die Krankenschwestern auch etwas gewaschen für die Patienten, allerdings ist von einer eigentlichen Wäsche nicht die Rede und vieles fängt an auszugehen, die Betten sind schmutzig (sonst hatten wir mindestens 2 mal in der Woche Krankenwäsche, jetzt sind es 2 1/2 Wochen, dass man nicht wirklich waschen konnte!). Auch mit der Wäsche der Geflüchteten steht es schlimm. Sie haben ja alle nur, was sie auf dem Leibe tragen! Cap. Sajou und Comra. Hauger haben mir gestern Abend ihre Teilnahme ausgedrückt. Für sie sei ja die Lage recht fatal und widerwärtig, aber es sei eben schließlich ihr Handwerk, für eine Frau müsse es doch noch viel schlimmer sein. Ja, ich muss es bekennen, ich habe Angst und kann sie oft nur schwer verbergen. Nachts liege ich oft lange zitternd in Bett. Man sollte mehr Gottvertrauen haben. Aber hat nicht Gott schon viel Schreckliches zugelassen und mir ist Angst vor dem Schrecklichen, das Vater und mich und die vielen Männer und Frauen in unserem Haus treffen kann, Vater ist ganz ruhig, oft hört er nachts nichts, wenn es noch so in der Nähe schießt und platzt. Auch Vater sieht die Lage als bedenklich an, aber er ist so gewiss, dass, wenn es Gottes Wille sei uns zu retten, er dies auch jetzt tun könne und wenn es nicht Gottes kille ist auch dem sieht er mit Ruhe entgegen. An Euch liebe Kinder denken wir viel, viel, aber ihr seid in weiter Ferne. Die großen Leute um Euch herum werden schon lange in Sorge um uns sein, besonders die arme Grossmama – Gott sei Dank wisst ihr nichts von Angst. -In der Nacht hat es viel geschossen und denkt, am Morgen fanden wir „bebes“ in unserm Hof. Das sind aber keine herzigen Buschi, sondern schreckliche Handgranaten, die die Kurden auf dem Observatoriumsberg / Külawlitepe von den Franzosen erobert haben und nun uns anschossen. Die französischen Offiziere sagen, es können nicht mehr viele in den Händen der T. sein und offenbar verstehen sie nicht, sie abzuschießen, denn die 2, die zu uns geflogen kamen, waren beide nicht geplatzt. Aber dass man nachts nicht viel schlafen kann (nur Vater schläft den Schlaf des Gerechten) das kann man ja begreifen. Es ist nun die 16. Nacht, dass wir ganz angezogen schlafen. Nur die Schuhe stehen neben dem Bett. Anfangs war mir das sehr unangenehm, aber man gewöhnt sich halt daran. Ein großer Genuss ist es, wenn man alle paar Tage mal aus allen Kleidern schlüpfen kann und erst wenn man wechseln darf! Aber auch wir müssen halt mit der Wäsche sparen und mit dem Wasser. In der Nacht sind Vater und ich wieder ins Künzler-Haus gegangen, um allerhand zu holen, namentlich Bücher, denn, wenn die Amerikaner ihr Haus verlassen müssen, wären wohl unsere Häuser die nächste Etappe für die Kurden. Nachher gingen wir noch zu den Verwundeten. Ich zählte 14 französische Verwundete, 10 mit erfrorenen Füßen (einer sehr schlimm, die anderen meist in Heilung) 4 Kranke in den verschiedenen Häusern. Am schwersten verwundet ist Tasserat, der eine Fraktur hat, von den andern sind verschiedene in Heilung. Soviel wir wissen, haben die Franzosen außerdem 5 Tote und 16 Vermisste gehabt bis jetzt. Verschiedene Verwundete und Fußkranke vom Anfang sind schon wieder dienstfähig.

26. Februar, Donnerstag. – Auch letzte Nacht war es wieder unruhig, trotzdem ich glaubte, es seien wieder Bebes zu uns geflogen, haben wir keine gefunden heute. Im Gegensatz zu den ersten Tagen ist es jetzt nachts immer unruhig und an Tag krachen eigentlich immer nur einzelne Schüsse. Nur als ich nachmittags ablag, fing es wieder an zu krachen. Ich sage immer, die Kurden oder Türken haben es darauf abgesehen, sobald ich abliege, mir die Ruhe zu verjagen. Von unserer Rast .wurden wir aufgestört, indem man uns sagen kam, es seien türkische Parlamentaire und einige Syrer, darunter ein syrischer Priester, aus der Stadt gekommen.

26. Februar. – Von den Syrern verstanden wir,, dass die Regierung bei ihnen Nachforschungen gehalten hat und viele Männer fehlten (da man auch wusste, dass sich die Syrer scharenweise auf unserer Seite vor der Stadt herumgetrieben hatten vor dem Anfang der Belagerung) vermuteten die Türken, die Syrer seien von den Franzosen bewaffnet worden und kämpften auf ihrer Seite. Die in der Stadt zurückgebliebenen Syrer wurden nun bedroht und so beschlossen sie, ihre Leute hier abzuholen. Zuerst wollte niemand mitgehen. Nach und nach entschlossen sich aber 17 Syrer, 4 armenische Frauen, Frau Dr. Abuhajatian mit Kindern und Mägdlein, 8 gesund gewordene Patientinnen (Armenierinnen) im ganzen 39 Personen in die Stadt zu ziehen. Die Armenierinnen hofften vom Syrer- ins Armenierquartier entlassen zu werden. Währenddem die Leute sich bereit machten, fragte ich die 2 türkischen Gendarmen, ob sie auch mithelfen, auf unser Spital zu schießen. Ihre Antwort war natürlich, es seien nicht die Türken, die schießen, sondern die Aschyret (Stämme). Ich zeigte ihnen die vielen Kugelspuren an der Hausmauer und sagte, es sei eine Schande, so auf einen Spital zu schießen. „Das sind nicht wir, das sind die escheks (Esel), die das tun“. „So hat es eben unter Euch viele escheks“ sagte ich … Wir wissen ja ganz genau, dass die Gendarmen vor allem mitmachen. Die Syrer haben erzählt, es seien 300 Amnesi Araber in der Stadt, sonst sei nicht mehr große Begeisterung. Die Türken hätten grosse Verluste gehabt. 200 Männer und die Stämme etwa 70. Wir waren ja schließlich froh, dass die 33 Menschen abgezogen, namentlich als wir abends vernahmen, dass nun die Wasserleitung abgestellt sei. Nun sind alle die vielen Soldaten und wir auf 2 Ziehbrunnen (in Mah.Nebins Garten und in Osmans Garten) angewiesen. Der Schnee ist auch sozusagen weg, zum Glück, denn seit es so taut, hat man wieder mehr Hoffnung auf die Hilfskolonne. Abends ging ich wieder mit Andreas in die verschiedenen französischen Krankenstuben, zum Glück nirgends neue Verwundete.

27. Februar 1920 (Freitag). – Die Nacht war sehr unruhig, doch hörten wir, dass am Tage vorher Miss Waller an der Achsel leicht verwundet worden sei. Der Schuss war durch ein mit cond. Milchkisten verbarrikadiertes Fenster gekommen. Anfangs, auch nachher, konnte ich nicht – schlafen. Nachmittags kam wieder ein Parlamentaire mit einem langen Brief vom Mutesarif an Vater. Andreas solle doch seinen Einfluss auf die Franzosen geltend machen und diese zum Abzug, bestimmen. Es sei eine verlorene Sache für sie (die Franzosen). Sie können ja dann später mit ihren renforts zurückkommen. Für diese sei es noch lange nicht möglich, zu kommen, da die Eisenbahn bis Bagdad zerstört sei. Andreas Antwort: er wolle, „si possible“ den Franzosen abends den Inhalt des Briefes mitteilen. – Abends ging A. allein zu den Franzosen, hörte nichts neues; es war ein leicht verwundeter Soldat während des Tages. Im Brief des Mutesarifs stand auch noch, die Araber hätten eine Kanone mitgebracht. Die Stimmung im Spital war eine gute in den letzten Tagen. Die Besuche der Parlamentaire erwecken eher Heiterkeit und Spottlust unserer Leute.

28. Februar 1920, Samstag. – Heute morgen wurden wir durch Kanonendonner zuerst in der Ferne (wahrscheinlich auf die Amerikaner gerichtet) aufgeschreckt. Bald waren aber auch Explosionen. in der Nähe (etwa beim Schischogil) und wir fanden wieder einen Granatsplitter im kleinen Hof bei der Treppe. Jetzt, 9 1/2 Uhr, ist die Kanone offenbar wieder auf das Amerikanerhaus gerichtet. Seit dem Morgen ist auch besonders lebhaftes Gewehrfeuer, fast wie in den ersten Tagen, wahrscheinlich ist es der Angriff der Annesi-Araber, der uns seit einigen Tagen verheißen war. 11 1/2 Uhr. Ein Flugzeug. Gott sei Dank! wir sind alle in der freudigsten Aufregung. Doch ein Zeichen, dass wir nicht ganz verlassen und vergessen sind, sondern dass man an uns denkt. Verschiedene Male sah man, dass etwas niederfiel, aus dem Flugzeug etwas abgeworfen wurde. Übrigens erschien es nur ganz kurz über der Stadt und verschwand dann wieder. Gegen Abend fing wieder heftiger Kanonendonner an. Wir erfuhren abends, dass die Kanone jetzt beim Observatorium sei und dass das türkische Spital und „la maison carree“ beschossen wurden. Als wir abends zu den Off. kamen, drückten sie ihre Zweifel aus, ob die Botschaft des Fliegers gefunden werden könne. Im türkischen Spital zwei neue Verwundete von der Kanone in der „maison carree“ wie man sagte 4, einer sehr schwer. Diesen und noch einen und die 2 vom türkischen Spital brachte man nachts zu uns. Zwei hatten Löcher in der Schulter, einem Senegalesen war der kleine Finger abgerissen und der schwer verwundete Franzose hatte viele wunden an beiden meinen, eine Oberschenkelfraktur und an einem Fuß waren ihm fast alle Zehen abgerissen. Der Arme, wenn er nur während der Narkose hätte sterben können. Wir waren bis 12 1/2 Uhr im Op. Saal. Währenddem wir noch operierten, kam ein Brief von Miss Smith, in dem sie sagte, dass auch sie 2 Kanonenschüsse abbekommen haben.

Unsere Einladung an alle, zu uns zu kommen, lehnten sie einstweilen noch dankend ab. Wer weiß auch, wo es sicherer ist? Eben haben die Soldaten im Amerikanischen Feld den Brief des Fliegers gefunden] Wir müssen leider bis am anderen Abend warten, um zu erfahren, was drin steht.

Sonntag, den 29. Februar 1920. – Dir Nacht war ruhiger als seit langem. Nur gegen morgen hörte man, wie ich vermutete, bei den Amerikanern in der Stadt schießen. Da hat man immer Angst, es gehe nun auf die Armenier, aber das Schießen dauerte nicht sehr lange. Auch Vormittags wenig Schießerei, keine Kanonen, Gott sei Dank. Nachmittags ein Brief vom Commandanten des forces Nationaliste, worin er schreibt, von den (Reliefs) Amerikanern aus habe man gestern, trotzdem sie eine Rotkreuzfahne (weiße Fahne) auf dem Dach hätten, auf sie (die Türken-Kurden) geschossen und deshalb werden sie nun auch keine Rücksicht auf unsere weiße Fahne mehr nehmen. Wie wenn nicht schon während 3 bis 4 Tagen ein beständiger Kampf bei den Amerikanern draußen wäre. (Ob sie wirklich eine weiße Fahne auf dem Dach haben?) das wäre ja ein Fehler, da sie Soldaten im Hause haben. Aber wie wenn nicht von Anfang an unser Spital beschossen worden wäre, als ob es eine feindliche Position wäre. Und bei uns ist kein Bewaffneter im Hause. – Abends gingen wir zu den Verwundeten – kein neuer -. Beim Commandanten hörten wir, dass im Brief des Fliegers stand: Les mauvais jours touchent à leur fin und etwas wie renforts und ravivements s’approchent, ich weiss das Letztere nicht mehr genau. – Auch zu den Franzosen kam ein Parlamentaire wegen der Fahne der Amerikaner und ein zweiter mit dem Vorschlag vom Comm. des forces nat., einen Waffenstillstand zu machen, damit sie gemeinsam die Botschaft des Fliegers suchen könnten. Natürlich erweckte diese Idee bei allen große Heiterkeit und der franz. Commandant schrieb zurück, sie hätten ihre Botschaft schon und brauchten keinen Waffenstillstand.

Montag, den 1. März 1920. – Die Nacht war unruhig, hauptsächlich in unserer Nähe. Ich kann nicht helfen, mir ist immer Angst, die Araber etc. schlichen sich durch die zerstörten Kurdenhäuser von hinten, d.h. durch die durchgebrochene Mauer zu uns. Dann wären wir verloren. Wir sollten notwendig nachts wenigstens einige Soldaten zu unserm Schutz haben – Am Nachmittag sahen wir uns die Kurdenhäuser an; sie sind von den Franzosen fast alle demoliert. Jeden Abend, sobald es finster wird, kommen die Soldaten und reißen Häuser ein, um Balken, d.h. Holz zu gewinnen. Nur eine windige Mauer ist zwischen der Straße und dem Kurdenhof, von dem aus das Loch in unsern Hof geht. Auch Andreas findet es nötig, dass wir Schutz haben. Abends ersuchen wir den Commandanten darum, aber wir werden versichert, dass keine Gefahr sei, dass die ganze Straße von dem Posten im Mahumed Netin Haus Gestrichen sei. Cap. Sajou geht ins Mah.Net. Haus sich die Sache anzusehen. Ich bin massig beruhigt und sage ihnen auch, warum sie denn ihre verwundeten Offiziere durchaus nicht in unserm Spital wollen liegen haben, Cap. Baloche hatte mir selbst gesagt, er fürchte, die Feinde würden bei uns zuerst eindringen „et ils m’enleveront“ und hatte keine Ruhe, bis er im türkischen Spital war.

Dienstag, den 2. März J920. – Trotzdem habe ich heute recht eine gute Nacht gehabt. Nur einige Male ging das Geschiesse los, einmal in der Liane, aber nur kurz. Die Franzosen haben über Nacht eine zweite Fahne auf dem Mah.Net. Haus aufgezogen, jedenfalls für allfällige Flieger! Aber es kamen den ganzen Tag keine. Die Offiziere meinten am Abend, vielleicht des Windes wegen. Da können allerdings selten Flieger kommen.

Mittwoch, den 3. März 1920. – Eine ruhige Nacht. Nachmittags viel Schießen, namentlich viele Handgranaten vom Mah.Net. Haus. Abends erfuhren wir, dass die Türken einen Schützengraben machen auf der höchsten Stelle der Gräber jenseits des Karakojun (Fluss) 2 Verwundete im Hof der Imichsians Ruine. Die früheren Barrikaden genügen nicht mehr. Die beiden Verwundeten kamen noch am Abend in den Spital, einer ist durch die Brust geschossen, scheint aber nicht sehr gefährlich zu sein. Der andere hat einen scheußlichen Schuss im rechten Arm.

Donnerstag, den 4. März 1920. – Ruhige Nacht. Heute waschen wir für die Kranken! Die Wasserleitung läuft und die Syrer haben gestern Nacht das Wasser durch eine Röhre und durch ein Loch in der Mauer in den großen Hof geleitet, so dass die ganze Nacht und auch jetzt ein dünner Wasserstrahl läuft. – Wir sind früher fertig geworden mit der Wäsche, aber es regnet in Strömen, so dass wir nichts trocknen können.

Sonntag, den 7. März 1920. – Wir haben zwei schreckliche Tage hinter uns. Am Freitag, den 5. März wachten wir vor 7 Uhr auf und konstatierten gerade, dass wir beide recht gut geschlafen hatten. Da! — war das eine Kanone? und noch einmal, es ist näher, dann ein fürchterlicher Krach und Fensterklirren. Dann noch einigemale und dann kracht und kracht es weiter den ganzen Tag, aber nur die ersten Schüsse haben unser Haus getroffen. Nach den ersten Schüssen rannte alles durcheinander an sichere Orte. Die Syrer, die Armenier und diejenigen Kranken, die gehen konnten flüchteten alle in Höhlen und die Kurdenhöfe. Wir gingen in die Vorratskammer und alle Schwestern mit uns. Nach und nach kamen auch die andern wieder zurück, denn die Höhlen seien voller Rauch gewesen und schmutzig. Andreas eilt in einer Pause zu den Kranken in alle Zimmer um zu trösten so gut er kann. Nachher gehen auch wir – etwa um l0 oder 11 Uhr -und bringen ein wenig Essen, denn niemand hatte noch gefrühstückt. In der oberen Frauenstube liegen nur noch Feline und die Kurdenfrau Adula. Sie hat vorher, als Andreas bei ihr war, keine Furcht gezeigt, sich nur über den Hunger beklagt. In der unteren Frauenstube liegt Majram mit dem gebrochenen Bein in großer Angst. Einige Knaben liegen unter den Betten. Von dieser Stube aus sieht man 2 Breschen in unserer Ostwand, die eine -ist ganz durch, in die Stube No. 7 gefahren und auf der andern Seite hat es die Türe zerrissen. Vor unserer Wohnstube bei der kleinen Treppe fand Ovagin eine Schrapnellhülse. Die Südmauer hat ein Loch in der Schwesternstube und ein großer Stein ist zur Tür heraus auf die Terrasse geflogen. Ein 4. Schuß scheint durchs Dach gefahren zu sein. Aus dem Hof konnten wir abends auch sehen, wie sehr das Schischohaus gelitten hatte. Das Haus von Osman Effendi hat viele Breschen. Auch die Mauer gerade gegenüber unserer Krankenstuben. Es sind auch verschiedene Schrapnellsplitter in die Krankenstuben gefallen. Gott sei Dank, ohne jemanden zu verletzen. Mit kleinen Pausen ging es den ganzen Tag weiter, wir hörten nachher, dass es über 400 Kanonenschüsse gewesen seien. Etwa um 6 Uhr hörte es auf, doch ich habe vergessen, das Schrecklichste zu schreiben. Verschiedene Male hörte man die Hurra-Schreie der Araber ganz in der Nähe. In Kanonenpausen stürmten sie gegen die französischen Positionen, wurden jedoch von den „Maschinengewehren“ zurückgeworfen. Endlich abends 6 Uhr konnten wir die nötigsten Verbände im Spital machen. Um 7 Uhr kam Lieut.La Pitte vom Mah.Net. Haus und erzählte, sie hätten über 200 Schüsse erhalten und 300 Feinde seien durch den Laden an der Gartenspitze von Mahmud Netins in den Garten gedrungen, von den Maschinengewehren aber zurückgeschlagen worden. Die Feinde hätten mindestens 20 Tote und viele Verwundete. In der 7-ieme, d.h. eben bei Mah.Net. Haus hätten die Franzosen einen Toten und 3 Verwundete. Dann kam der Coramandant durch und sagte, bei ihnen (im Schischohaus und in Osman Effendis Haus), d.h. bei den Mitrailleuren und im 412 seien etwa 25 Verwundete. Sobald Andreas vom Mah.Net. Haus zurückkam (er brachte einen Schwerverwundeten mit einer Armfraktur und großer Wunde mit) gingen wir zusammen ins Schischohaus und fanden dort in 2 Stuben 25 – 30 Verwundete, darunter 3 schwere Fälle. Alle waren von den kath. Schwestern schon verbunden, so dass Andreas nur die schwersten Fälle ansah und in den Spital beorderte. Zwei wurden am Abend noch operiert. Ein armer Mensch mit zwei schrecklichen Wunden im Gesicht starb eine Stunde nach der Operation. – Ich vergaß zu sagen, dass auch wir einen großen Schrecken hatten. Als etwa um 5 Uhr Schwester Pailazum nach ihren Kranken sah, traf sie offenbar ein Schrapnellsplitter zwischen beide Augen, doch Gott sei Dank, sie hatte nur eine ganz unbedeutende Risswunde. Nach 12 Uhr gingen wir zu Bett mit dem Vorhaben, am nächsten Morgen vor Tag aufzustehen, um den Kranken das Essen zu bringen und das Nötigste zu besorgen.

Am Samstag, den 6. März besorgten wir in aller Frühe das Nötigste. Gott sei Dank es blieb ruhig und wir konnten die Kranken recht besorgen, verbinden etc. Auch Wäsche konnte man aufhängen, es war ein strahlend schöner Tag. Die unterste Frauenstube wurde geleert; einige kranke Frauen flehten uns an, in der Vorratskammer liegen zu dürfen, die anderen, die im Notfall flüchten können, wurden alle in No. 2 untergebracht. Während dem Mittagessen gab es plötzlich Fliegeralarm, wenn auch meine Freude nicht mehr so groß war wie vor 8 Tagen, so hatte man doch wieder eine kleine Hoffnung. Der Flieger kreiste verschiedene Male um die franz. Position, senkte sich dann sehr tief gegen das SchischoHaus und flog dann wieder davon. Natürlich würde von den Türken stark auf ihn geschossen. – Wir machten einen Mittagsschlaf, von dem wir um 3 Uhr wieder von Kanonendonner aufgeschreckt wurden. Das Schischo, Mail.Net. und Osman Haus wurden alle stark beschossen. Dazwischen machten die Türken Angriffe auf 1 a 412 (Osmans Haus), wurden aber immer zurückgeschlagen. . Bis nach 7 Uhr dauerte die Kanonade und als Andreas nach 8 Uhr in der 7-ieme war, fing es plötzlich wieder an. Im ganzen Nachmittag hatten die Franzosen nur einen Leichtverwundeten wie wir hörten und was uns mit Dankbarkeit erfüllte. Wir gingen dann noch zu den- Verwundeten vom Abend vorher und fanden, dass unter ihnen viele nur ganz leicht verletzt seien, und keine schweren Fälle mehr, außer den 4, die wir im Spital haben. – Von den Offizieren erfuhren wir, dass der Flieger keine Botschaft gebracht, aber diejenige der Franzosen in Empfang genommen habe. Durch weiße Tücher, die auf der Erde in verschiedenen Figuren ausgebreitet wurden, haben die Offiziere unsere Lage erkannt Hoffentlich hat der Flieger den Ernst unserer Lage eingesehen, hat auch die zerstörten Häuser gesehen. Wir fürchten, die Franzosen können nicht mehr viele solcher Kanonaden aushalten! Die Häuser brechen über ihnen zusammen und wo sollen sie ihre Mitrailleusen noch aufstellen, wenn es so weiter geht? Um 1/2 1 Uhr kamen wir etwa nach Hause gestern und hatten eine ziemlich ruhige Nacht, nur einmal durch 3 oder 4 Kanonenschüsse unterbrochen.

Heute Morgen, 7. März wieder früh Tagwacht und Besorgung, Verbinden der Kranken etc. Dann hielt Andreas wie jeden Sonntag eine kleine Andacht, heute im Anschluss an das Vorlesen des 22. Psalms. Während dem Mittagessen krachten einige Kanonenschüsse, dann später noch einmal einige aber nur vielleicht 7 oder 9 im ganzen. Es ist ein wundervoller Abend und alles ist in den Höfen an der Sonne. Die Kinder suchen Schrapnellsplitter und Gewehrgeschosse. Zwei Schrapnellhülsen haben wir hier gefunden, ebenso Eisenstücke, Kugeln etc. – Gestern Abend bekamen wir Briefe von den Amerikanern. Sie laden Andreas und mich ein, zu ihnen zu kommen, letzte Woche hatten wir ihnen vorgeschlagen, zu uns zu kommen. Mr. Clement schlägt mir noch vor, er wolle statt meiner Andreas helfen, ich solle in ihr Haus kommen. Aber wie könnte ich fort von Vater, und wie könnten wir beide fort von den Kranken und den vielen andern Leuten. Schrecklich, schrecklich ist es, sobald es auf allen Seiten zu krachen anfängt und noch schrecklicher, wenn die wilden Schreie der Feinde ganz aus der Nähe zu uns tönen, aber wir hoffen ja noch, dass die Franzosen weiter die Kraft haben und die Angriffe zurückschlagen – wenn die Hilfe nicht allzu spät kommt – . Am Abend gingen wir noch zu den Verwundeten ins Schischo-Haus, es sind heute keine neuen. Zu Cap. Baloche und Lieut.S. gehen wir ins türkische Spital. Dort läuft ein metertiefer Schützengraben durch den ganzen langen Gang. Bei den Offizieren hörten wir, dass unsere Häuser stark von der Kanonade mitgenommen seien.

Montag, den 8. März. – Ruhige, gute Nacht und bis jetzt, 10 1/2 Uhr, auch ruhiger Morgen. – Am Nachmittag finde ich den alten Mirs Abraham im Hof an der Sonne, die Läuse von seinen Kleidern ablesend. Und doch ist er keiner der Schmutzigsten. Seit gestern läuft die Wasserleitung nicht mehr im Mah.Net. Haus ist nur eine Cysterne und man befürchtet, sie sei bald leer, deshalb müssen wir das Wasser wieder im Osman-Haus bzw. -Hof im Sodbrunnen holen. Das ist sehr beschwerlich. Schade, dass wir letzte Woche nur die Krankenwäsche machen konnten. Am Freitag sollten die Flüchtlinge und am Samstag womöglich das Personal waschen (unmöglich wegen der Kanonade). Es scheint, dass auch die Türken letzte Woche ein Reinlichkeitsbedürfnis hatten und sie deshalb die Wasserleitung einige Tage fließen liessen und aus den Bädern stieg Rauch auf, dass sie aber nachher, als alle gebadet und gewaschen hatten, die Leitung wieder abfließen ließen. Am Abend bei den Verwundeten und Offizieren nichts besonderes – keine neuen Verwundeten. Wir werden auf einem neuen Weg ins Schischogil geführt, d.h. man hat eine seitliche Türe eingebrochen, um nicht mehr durch die gefährliche Hintertür (es führt ein direkter Weg durchs untere Kurdenquartier auf diese Seite) eintreten zu müssen. Nachts, als bei uns schon alle Türen verrammelt waren und wir im Bett sind, kommt Cap. Perrault und Soldaten, die in die 7-ième gehen. Wir müssen noch lange offen lassen, da sie von unten nach oben, von oben nach unten kommen. Ich schätze das lange offen lassen der Türe nicht, da man weiß, dass z.B. im Chursigil, wahrscheinlich auch im Haus des alten Simon (dieser hat sich vor 3 Tagen mit seiner Frau ins Schischohaus geflüchtet, da die Kurden bei ihm eindrangen) Feinde sind.

Dienstag, den 9. März. – Ruhige Nacht und ruhiger Vormittag. Wenn man nur nicht immer denken müsste, was die Scheusale wieder alles vorbereiten. – Abends bei den Offizieren hören wir, dass beim Sultan Tepo Reiter und ein Zeltlager gesehen worden seien. Sie meinen, es seien wohl ihre „renforts“. Ich sage ihnen, ob es nicht eher die renforts der Annesi seien. Nachdem wir die Verwundeten gesehen (sind keine neuen dabei) gehen Andreas und ich in unser, d.h. Künzlers Haus um Sachen zu holen. Dort große Verwüstung und namentlich im Hausgang und in der Sommerschlafstube. Ein Geschoss scheint beim Dachfenster über der Haustüre eingedrungen zu sein, hat den Boden und die Bühne des Hausganges zerschmettert. In der Sommerschlafstube liegen Steine herum, es hat in die Nordwand eingeschlagen. Die Sommerschlafzimmertür, die jetzige Schlafzimmertür, die Kellertüre sind alle zerschmettert. Wir können nicht alles untersuchen, weil es gefährlich ist, lange im Haus zu bleiben mit Licht. Der Konservenkasten hat auch etwas abbekommen, verschiedene Tomatenkonserven haben ihren Inhalt in den Kasten ergossen. Ich gehe schnell auf den Estrich, um etwas zu suchen, kann aber das Licht nur bei der Treppe stehen lassen. Nachher kommt es mir in den Sinn, wie unvorsichtig das war, ist doch der Boden ganz durchlöchert. Auf dem Rückweg in die Inighsion Ruine werden wir plötzlich von einem Scheinwerfer bestrahlt und hören dann beim Commandanten, dass sie von dem Zeltlager beim Sultan-Tepe Lichtzeichen bekommen und geantwortet hatten. Der Commandant meint, die „renforts“ können morgen bis l0 oder 11 Uhr hier sein. Natürlich überall große Freude, wenn auch mit Hintergedanken.

Mittwoch, den 10. März. – Ich habe schlecht geschlafen, trotzdem es nicht sehr unruhig war. Aber immer mehr hatte ich eben die Überzeugung, dass die Reiter sich als Feinde entpuppen werden. Wollte Gott, es wäre nicht so. Jetzt ist es morgens 11 Uhr und man hat noch nichts gemerkt vom Herannahen weder eines Feindes noch eines Freundes. Die Feinde würden wir auch nicht in die Stadt einziehen sehen, da sie gedeckt im Süden in die Stadt kommen. Freunde müssten wohl einen großen Bogen machen, um die Stadt herum. Die Tage fangen an, mir furchtbar lang zu werden. Nicht nur ich, auch die Schwestern sind heute Abend alle so deprimiert und ich muss mir Mühe geben, es mir nicht anmerken zu lassen – nur Vater gegenüber kann ich das nicht, ihm teile ich natürlich alle meine Aengste und Langeweile mit – ich fürchte, es ist oft schwer für ihn. Es ist wundervolles Frühlingswetter. Nachmittags saßen wir in der Sonne – ach wie leid tut es uns, dass wir nicht einmal ins obere Stockwerk können, wo man einen so schönen Blick auf die Haran-Ebene hat. Abends gingen wir wie üblich zu den Verwundeten. Von den Mitrailleuren hörten wir, dass Miss Smith bei den kath. Schwestern sei. Schnell eilten wir ins 412, um sie auch zu sehen. Sie hatten in letzter Zeit ziemlich Ruhe. Die Kurden sind nicht mehr in der Waisenhausküche, nur heute hat man sie wieder beim Observatorium bemerkt (wohl um die Kanone aufzustellen?). An den 2 Kanonade-Tagen haben sie keine Schüsse erhalten. Auch sonst sind alle wohl. – In der 6-ieme hören wir von Lieut. S., dass die Reiter vom vorigen Abend sich als Herden entpuppt haben. Es beruhigt mich, dass es wenigstens nicht feindliche Reiter gewesen sein sollen. Auf dem Tylfiter haben die Türken wieder beständig an Verschanzungen gearbeitet.

Donnerstag, den 11. März. – Ziemlich ruhige Nacht. Nachdem wir im Spital die Kranken verbunden hatten, gingen A. und ich schon Vormittags ins Schischohaus, um einmal am Tage, die Wunden zu sehen. Der Weg ist doch nicht, wie wir glaubten, ganz gedeckt, sondern hat bei der Türe des Kurdenhauses eine rechte Blöße gegen den Tylfiter. Deshalb erlaubte der Comm. auch nicht, dass unsere Leute bei Tag Wasser holen im Osmanhaus. Nachts ist dies eine lange, lange Arbeit, denn auch die Franzosen sind außer der 7-ieme alle auf den einen Sodbrunnen angewiesen. Gegen Abend sah man viele Leute in die Stadt kommen, jedenfalls Verstärkung für die Türken. Auf den Hügeln vom Mönchsberg zur Aleppostrasse sah man auch den ganzen Tag Leute, wohl Posten, die die Ankunft des „renforts“ melden sollen.

Freitag, den 12.März. – Sehr unruhige Nacht. Nach dem Verbinden und einem Gypsverbandwechsel (an Tasserats Bein) gingen wir ins Schischohaus zu den Verwundeten. Der ganze Tag verlief ruhig. Abends gingen wir noch zu den Verwundeten (Offiziere) im türkischen Spital. Man vernahm, dass Türken auf dem Mönchsberg und allen Hügeln im Westen der Stadt gesehen wurden, dass sie auch auf einem Hügel an einem Schützengraben arbeiten. Man nimmt an, sie bereiten sich vor, um die renforts zu empfangen und hofft daraus schließen zu dürfen, dass diese nicht allzu ferne sind. Sergeant Berger macht Geschichten wegen dem Essen und wird fortkomplementiert.

Samstag, den 13.März. – 5 Wochen belagert. Ruhige Nacht. Am Vormittag nach dem Verbandwechsel und Operation des armen Bedros (Knieschuss) gingen A. und ich zu den Frauen ins Schischohaus in der Hoffnung, dort zu sein, wenn hoffentlich! der Flieger kommt. Aber dort und später im Spital warteten wir vergebens auf die Tiara. Man tröstet sich, indem man hofft, die renforts seien schon so nahe, dass es sich nicht mehr verlohne, einen Flieger zu schicken!! Nachmittags also, am heiterhellen Tag gingen wir in unser Haus um, allerhand zu holen und besonders, um bei Tag die Verheerungen der Kanonengeschosse zu sehen. Das Haus wird, bevor es nicht mehr regnet, kaum bewohnbar sein denn das Dach ist sehr durchlöchert, abgesehen von den ganz großen Breschen. Abends hören wir nichts Neues! – Im Künzlerhaus habe ich 3 Nelken an dem Nägelistock gefunden, der den ganzen Winter über geblüht hat und der seit 5 Wochen nun nicht begossen wurde. Auch die andern Pflanzen sind nicht verdorrt; ich habe alle begossen.

Sonntag, den 14.März. – Um 11 Uhr nachts entstand plötzlich ein großer Lärm, d.h. eine Schießerei, wie wir sie schon lange nicht mehr hörten. Wir kleideten uns an, Andreas allerdings mehr, weil ich ihn darum bat, als aus eigener Angst. Zum Glück dauerte es nicht lange. Heute war ein ruhiger Sonntag. Nachmittags gingen A. und ich wieder ins Haus um Bücher ins Trockene zu bringen. Der Himmel war sehr bewölkt und abends fing es dann auch stark an zu regnen. Unter dem Dach in unserm Haus miaute mich plötzlich Minni, Künzlers Katze an. Wir hatten sie am ersten Abend mit hieher gebracht, sie war aber gleich wieder verschwunden. Seither sah ich sie nie, auch dann nicht, wenn wir ins Haus gingen. Sie sieht gar nicht „unterernährt“ aus; wir fanden denn auch in der Wohnstube Vogelfedern und sahen Minni später mit einer Maus im Maul. Offenbar ist sie imstande, sich selbst zu ernähren, und durch die vielen Löcher in Fenstern, Dach etc. kann sie ein und aus gehen. Bei den Offizieren hörten wir, dass man gestern vom Armenierquartier signalisiert habe, ein Armenier sei von Surndj gekommen, habe berichtet, Biredjik sei wieder in den Händen der Franzosen und die Kolonne marschiere auf Tel Abiad zu ??? Nach dem Nachtessen ging A. allein noch in den türkischen Spital. Kaum war er um 9 Uhr zurück, machten die Türken wieder eine Attacke. Von allen Seiten schoss es und die Franzosen antworteten mit Maschinengewehren und Bebes von all ihren Positionen. Es dauerte etwa 1/2 Stunde, dann hatten wir eine ruhige Nacht.

Montag, den 15. März. – Der ganze Tag verlief sehr ruhig. Nachmittags gingen A. und ich ins Schischohaus. Gegen Abend sah man Rauchsäulen aus mehreren Türkenhäusern im äußern Quartier aufsteigen. Man hörte fernen Kanonendonner. – Acht Tage lang gab es keine neuen Verwundeten und von den früheren konnten verschiedene den Dienst wieder aufnehmen. Heute Abend brachte man einen Franzosen, der durch den Helm eine schwere Kopfwunde hatte. Obwohl er fast hoffnungslos aussah, operierte A. noch, aber kurz nach der Operation starb der arme Mensch. Er hatte gleich bei der Verwundung das Bewusstsein verloren und kam nicht wieder zu sich. – Im Spital liegt Giquel, ein anderer Franzose mit einer schweren Lungenentzündung. Ach, wenn dieser am Leben bleiben dürfte. Es tut einem so unendlich leid, um die jungen Leute und um ihre Lieben daheim. In der 7-ième ist letzte Nacht ein Algerier an Lungentuberkulose gestorben. Im ganzen haben die Franzosen seit Anfang der Belagerung nur 12 Tote gehabt.

Dienstag, den 16. März. – Die Nacht verlief ruhig und auch der ganze Tag. Segen Abend sahen unsere Syrer türkische Parlamentäre zu den Franzosen gehen. Große Spannung, ob die Türken wohl zurückkrebsen. Hoffnung, die Kolonne sei in der Nähe! Nachdem Andreas in der 7-ième war, gingen wir zusammen zum Kommandanten. Der Brief der Parlamentäre war vom Commandanten des forces. Nationalistes und wie der Commandant sagte, sehr höflich. Er ersucht die Franzosen abzuziehen. Die renfords seien bis Tel Abiad gekommen, seien dort von den Annesi angegriffen worden und hätten kehrt machen müssen! Ist das wahr? Es wäre ja schrecklich für uns – einstweilen glaubt man es krampfhaft nicht. Dass die franz. Kolonne viele Widerstände beseitigen musste bis sie soweit kam ist ja sicher, sonst wären wir nicht in der 6. Woche seit der Belagerung; aber so nah; am Ziele wird sie doch nicht ganz zurückgeschlagen worden sein. Man brachte uns aus der 7-ième einen Senegalesen, dem vor einigen Wochen die Füße abgefroren sind. Es ging ihm ganz ordentlich – jetzt hat er plötzlich Tetanus.

Sonst sehr unruhig. Giquel der Franzose mit Lungenentzündung hat Delirium tremens und kann kaum im Bett festgehalten werden. Die halbe Nacht hat er gesungen, geschrien. Von 4 Uhr an war A. bei ihm, fast bis am Morgen. Vormittags, nachdem die Spitalpatienten verbunden waren, gingen wir zum Schischohaus zu den Verwundeten und nachher in unser Haus. Man ist froh über diesen kleinen Spaziergang bei dem wundervollen Wetter, wenn man auch stellenweise sich bücken und springen muss. Wir sahen uns den Stall an. Es ist alles leer, – keine Sommerbetten, keine Futterkisten, kein Sattel, nichts ist mehr da. Seine Habseligkeiten hat Ali wohl mitgenommen. Auch einige Mäuerchen sind heruntergerissen – es sieht wenig besser aus als in den Kurden-Ruinen in unserer Nachbarschaft. Morgen hoffen wir, eine Wäsche machen zu können für uns, die Schwestern und Flüchtlinge und übermorgen für den Spital, wenn wir das Wasser bekommen! Der Kommandant hat seine Erlaubnis gegeben, dass wir am Tag Wasser holen, aber nun will Cap. Perrault die Soldaten am Tage das große Bassin füllen lassen und unsere Leute sollen nachts holen. Auch ist die ganze Zeit etwas kaputt an der Winde des Sodbrunnens. Ich habe heute mein letztes Waschseil geopfert, hoffe aber nun, auch Wasser dafür zu bekommen – denn ach, die Läuse nehmen überhand bei den Leuten.

Donnerstag, den 18. März. – Ich habe diese Nacht bei Giquel gewacht. Er war viel ruhiger als die Nacht vorher, schlief einige Male mehr als eine Stunde. Heute hat er mir gesagt, wenn ich ihm die Hand auf die Stirne lege, das sei „comme si on etait à la maison“. Und dann erzählte er mir von seiner Familie. Er müsse immer an seine Mutter denken, wie sie Angst habe, da sie so lange keine Nachricht von ihm habe. Im Fieber in der Nacht suchte er immer nach den Geräten, um Kartoffeln auszumachen. Gegen Abend brach ein starker Schweiß bei ihm aus und das Fieber ging herunter. Ob es die Krise ist oder nur eine Pseudo-Krise, wie es scheinbar oft gibt ? Heute Nacht will Soeur Alice bei ihm wachen, was mir recht ist und was wir mit Dank angenommen haben. Wir haben Wäsche gemacht für das Personal, die Flüchtlinge, uns und ich habe von Cap. Perrault erreicht, dass wir heute von 6-8 Uhr abends Wasser holen durften. Es ist aber noch nicht genug, die Leute müssen vor Tagesanbruch mehr holen für die Spitalwäsche. Aber wie froh ist alles, über die sauberen Kleider. So schwer es ist, die Leute an etwas, was Mühe kostet, heranzukriegen, so sind sie einem nachher doch dankbar.

Freitag, den 19. März. – Kaum waren wir im Bett gestern, so ging eine heftige Schießerei, von Kurdengeheul begleitet, los. Man hatte nachmittags beobachtet, dass in einem Haus, keine 2 Minuten vom Spital, gegen alle Seiten Schieß-Scharten gemacht wurden. Das Schießen dauerte nicht sehr lange, aber diese Nacht schlief ich im Mantel. Gegen Morgen war noch einmal heftiges Schießen, aber ich war zu müde, um mich stark zu ängstigen. Giquel hatte eine unruhige Nacht. Soeur Alice wachte bei ihm. Das Fieber war etwas über 38° heute morgen, wohl niederer als alle diese Tage, aber das Herz ist schwach. Er sagte mir, er fühle sich viel wohler als gestern, aber die Nacht sei arg gewesen. Er ist ganz klar heute Morgen. Der Tag verlief ruhig. Am Abend kam Soeur Antonie, um bei Giquel zu wachen und erzählte, man habe die Türken auf dem obersten Punkt der Aleppostrasse die Kanone aufstellen sehen, jedenfalls sei sie nicht gegen hier, sondern gegen die Kolonne nach Surudj gerichtet. Mit einem gewissen Unbehagen schlief man darauf ein.

Samstag, den 20. März. – Und richtig, heute Morgen wurden wir durch die Syrer alarmiert, die erzählten, man lasse sie kein Wasser ziehen, da man erwarte, die Kanone werde demnächst anfangen uns zu bombardieren. – Darauf machte man in großer Eile das Nötige, dann gingen A. und ich zu den Verwundeten, auch ins Türkische Spital, und zuletzt zu Cap. Perrault. Von dort sahen wir die, soit disant Kanone, von der schon angezweifelt wurde, ob es eine sei. Der Tag verlief ganz ruhig. Giquel ging es eher besser, aber abends hatte er wieder mehr Fieber. Nachmittags hieß es plötzlich, der Ziehbrunnen in Osmans Garten sei am Versiegen. Große Angst, dass nun doch das Wasser ausgehe. Sicher ist, dass das Wasser weniger tief ist als vorher, doch hofft man, wenn man den Brunnen ausputze, sei er wieder ausgiebiger. Die Syrer behaupten, er könne nicht versiegen. – Bei den Schieß-Scharten in der Kurdenmauer direkt neben uns sind jetzt immer französische Posten. Zweimal sagten sie heute, sie hätten eben einen Feind erschossen. Die 2 Armenier, die vorgestern gekommen waren, gingen letzte Nacht zurück. Halbwegs kam ihnen Dr. Ketenjian entgegen mit Briefen, die die begleitenden Soldaten zurückbrachten. In einem Brief Nareereaus an den Kommandanten stand, dass der Türkische Commandant Naurig Dr. Beschlian zu sich lassen kommen wollte, worauf Dr. Beschlian Naurig sagen ließ, er solle zu ihm kommen. Das tat er und er erkundigte sich zuerst, ob wohl die Armenier wenig Nahrungsmittel hätten, er wolle ihnen gerne welche schicken. Dr. B. lehnte für die Armenier ab, wenn er aber dem Waisenhaus etwas zukommen lassen wolle, so sei es recht. Darauf sagte Naurig, die Armenier sollten doch mit den Türken gegen die Franzosen kämpfen, oder wenigstens die Türken durchs Quartier lassen, nachdem die Franzosen fort seien, können sich dann die Armenier an der Gendarmerie betätigen etc. Die Armenier wissen natürlich, was sie von solchen Versprechungen zu halten haben. Nach dem Nachtessen gingen wir zum Wasser, um darüber zu wachen, dass unsere Leute ungestört ziehen konnten. Während ich noch dort war, kamen Miss Smith und Mr.Clemens. Zuerst sahen wir mit ihnen die Schäden im Osmanshaus und Garten an. Es sieht wirklich schauerlich aus. Dann nach einem kurzen Besuch bei den kath. Schwestern kamen Mr. Cl. und Miss Smith zu uns, sich auszusprechen Und die Freude, einander zu sehen, war groß.

Sonntag, den 21. März. – Der 7. Sonntag seit der Belagerung! Wenn wir am Anfang gewusst hatten, dass wir nach 6 Wochen noch warten und warten auf die Kolonne. Aber nie hätte ich auch gedacht, dass wir 6 Wochen aushalten und alle die Leute ernähren könnten. Oft muss man an die Speisung der 5000 denken und wie dankbar sind wir! Die Vorräte der Familie Ovagins, 15 Leute im ganzen, die bis jetzt eigene Lebensmittel hatten, sind erschöpft. Aber es wird ja auch für diese noch reichen. Gestern hörten wir noch, der Friede mit der Türkei sei geschlossen in Paris. Scheints hat man es in Urfa vernommen am Tage, ehe der letzte höfl. Brief des Comm. des forces nationalistes kam. Aber es wird doch weiter geschossen. Über die Bedingungen wissen wir nichts. Der Sonntagvormittag verlief mit Verbinden im Spital (großer Toilette mit dem möglichst winzigen Quantum Wasser) Besuch bei den Verwundeten im Schischogil und Andacht hier im Hof. Nach dem Schläfchen gingen wir ins Haus um Salzwasser, das vom eingemachten Käse zurückblieb, zu holen. Man verwendet es hier nur zum Brotbacken, gebricht es doch am meisten an Salz und Wasser. Anfangs der Nacht war eine große Schießerei mit Kurdengebrüll. Die Franzosen haben eine Art Scheinwerfer improvisiert, die scheints gut funktioniert haben.

Montag, den 22. März. – Ein ruhiger Tag. Giquel hatte morgens und abends ganz wenig Fieber. – Nachmittags kamen der Comm. und Lieut. Sojer, um die Kranken zu besuchen, nachher nahmen sie eine Tasse Tee mit uns. Nachts gab es ein starkes Gewitter.

Dienstag, den 23. März. – Ruhiger Tag, viel Regen.

Mittweh, den 24. März. – Am Vormittag operierten wir einen Franzosen und einen Algerier mit abgefrorenen Zehen. Dem Franzosen müssen sämtliche Zehen an beiden Füßen und noch ein Stück des rechten Fußes abgenommen werden. Dem Algerier wird ein großes Stück des rechten Fußes abgenommen. Die armen Kerle, aber A. sagt, sie können doch gehen auf diesen Füßen. Den Armenierknaben Manuel, dessen Beinwunden nie heilen wollen, operiert man auch. Sonst ruhiger Tag. Nachmittags gingen wir ins Schischohaus zu den Schwestern (A. zu Cap. Perrault) und ins Türkische Spital. Wenn doch die Colonne käme. Nachmittags rief Lieut. Lafite durch das Dachfenster im Mah.Net Haus, er möchte gerne eine Öffnung in unserer Mauer gegen die kl. Straße zwischen uns und ihnen machen, damit sie auch tagsüber Wasser holen können. Wir alle sind wenig begeistert noch eine Öffnung mehr zu haben, auch der Comm. meinte zuerst, Lafitte könne sein Wasser nachts holen lassen, aber jetzt hat man doch angefangen zu hacken. Man wird aber draußen eine Mauer machen, damit das Loch vom Tulfiter aus nicht gesehen werden kann.

Samstag, den 27. – März Der Donnerstag und Freitag verliefen ruhig; die Vormittage mit Verbinden überall, mit Besuchen im Haus, wo wir jetzt fast jeden Tag irgend etwas zu holen oder nachzusehen haben. Bei dem schönen Wetter ist das wenigstens ein kleiner Spaziergang. Vorgestern brachte ich ein Büschel Veilchen aus der Vase vor Künzlers Haus. Eine der Schrapnelle ist auch zur Vase geworden für Mandelblust aus Osmans Garten. Die Franzosen brauchen Holz und schneiden blühende Bäume ab. Es ist jammerschade, aber eben nötig. In unserem Garten wurde noch nicht gefrevelt, dagegen sind unsere und Alis sämtliche Sommerbetten verbrannt worden. Ich bin in den letzten Tagen, d.h. seitdem das neue Loch ist, auch in Mah.Net.Haus gegangen mit Andreas. Dort liegen noch 4 Verwundete in einem Gewölbe. Wir haben auch gesehen, was das Bombardement vom 5./6. März dort angerichtet hat. Im Garten liegt noch ein toter Türke, oder wenigstens dessen Kleider. Es waren am 5. März nach Lieut. Lafitte 200 Türken in den Garten gedrungen und durch die Franzosen zurückgedrängt worden mit Hinterlassung von etwa 20 Toten. Durch Schrapnelle wurden im Stall etwa 6 Maultiere getötet, die auch in den Garten geschafft wurden und jetzt schrecklichen stinken, oft bis zu uns, ich fürchte auch, nachdem man sie mit Chlorated Lime bestäubt hat. Am Donnerstagabend brachte ein Kurde aus der Surudjgegend Bericht. Sein Stamm ist den Franzosen freundlich gestimmt. Er offerierte den Franzosen, 2000 Mann zur Verfügung zu stellen, wenn diese ihnen Munition gäben. Darauf verzichteten die Franzosen allerdings aus verschiedenen Gründen mit Dank. Doch glaubt man sicher, auch nach den Aussagen der Kurden in Tel Abiad, Arapunar und Djerablus seien viele Franzosen, die auf Verstärkung warten um weiter vorzudringen. Die Eisenbahn sei hergestellt und werde eben von Kurden bewacht. Immer mehr hat man doch die Idee, die Colonne hatte und habe eben bis jetzt noch riesigen Widerstand zu überwinden. Hier wird immer wieder beobachtet, wie die Türken in der Umgebung auf den Hügeln und in der Ebene Schützengräben machen. Durch das armenische Quartier haben wir vernommen, dass zu diesen Arbeiten die Syrer auch gezwungen werden und dass 12 in der Umgebung von Urfa getötet worden seien durch die französischen Kugeln. Vorgestern wurde vom Armenierquartier signalisiert von Lieut. Marcereau, dass für gestern ein Bombardement in Aussicht genommen war von türkischer Seite. Wir erfuhren dies erst gestern, als zum Glück nichts geschehen war, aber heute Nacht blieb ich deshalb doch ziemlich schlaflos. Ist es ein Gerücht? Hat man sie die Kanone aufstellen sehen? Es ist scheußlich, wenn sie wieder spukt. – Ich denke mir, dass die Türken ihre Schrapnells und Kanone, wenn eine solche noch existiert, aufheben auf das Eintreffen der Kolonne. – Am Freitagabend wurden wir durch den Besuch von Mrs. Mansfield, Miss Smith und Mr. Goodward erfreut. Wie sehr würde es uns gelüsten, einen Gegenbesuch zu machen, aber wir finden beide, dass zu viele Leute von uns abhängig sind, als dass wir uns nur zum Vergnügen einer Gefahr aussetzen dürfen.

Am Samstagnachmittag feuerten die Maschinengewehre der Franzosen plötzlich kolossal. Wir vernahmen, dass eine große Kamel-Karawane (ca. 60 Kamele) sich der Stadt nähere und die Franzosen suchten wenigstens einige der Tiere zu töten, was ihnen offenbar gelang. Aber was nützt das viel, die Lasten werden doch in die Stadt gebracht. Wenn sie nur keine Munition für die Kanone gebracht haben. Als wir beim Nachtessen waren, wurde der einzige Gefangene der Franzosen, ein Kurde, der am ersten Tag in die Hände der Franzosen fiel, uns schwer verwundet gebracht. Der Kurde war gut Freund mit den französischen Soldaten, saß immer mit denselben herum. Gestern wollte der Senegalese sein Gewehr putzen, hatte es nicht entladen und der Schuss ging dem Kurden durch die Nasenspitze, Oberlippe, schlug ein paar Zähne des Oberkiefers aus, zerschmetterte den rechten Unterkiefer und ging durch die Schulter. Wir operierten den Unglücklichen sofort. Den französischen Offizieren ist es fatal, dass dieser Unfall passiert ist.

Sonntag, den 28. März. – Achter Sonntag und wundervolles Frühlingswetter. Während der Nacht war es verschiedene Male unruhig. Die Kurden vergnügten sich, mit Viehgeheul die Franzosen zu erschrecken, aber sie kommen nicht sehr nahe. Man glaubt auch, es seien nicht mehr sehr viele. Durch das Armenierquartier haben wir vernommen, dass viele Türken aus der Stadt geflohen seien, darunter auch Mah.Netin und der Mutesarif. Nach der Andacht machte ich heute wieder einmal Volkszählung. Wir haben dato: 38 Kranke (11 Franzosen), 26 geflüchtete Armenier, 17 Syrer, 18 Angestellte, 2 Buschi = 101 Personen. Von diesen verpflegen sich selbst 5 Syrer und für die Franzosen erhalten wir alle Tage oder jeden 2. Tag Kaffee, Zucker, Bohnen, Reis, Fleisch etc. Immerhin geben wir ihnen auch viel von unseren Vorräten, besonders von unseren eigenen Vischersachen, um ihnen etwas mehr Abwechslung geben zu können. Für den Spital bekommen wir alle paar Tage große Quantitäten Fleisch – Maultier- oder Pferdefleisch. – Alle essen es mit Vergnügen, auch ich habe mich überwunden und finde es nicht schlecht, die Suppe sogar sehr gut. Außerdem haben wir zu verschiedenen Malen Bohnen, Reis, Erbsen für den Spital erhalten, so z.B., heute wieder, da unsere Leute sonst sehr wenig Abwechslung mehr hatten. Weizen haben wir noch viel, also auch Burgul etc. Soviel wir wissen, haben auch die Franzosen noch Vorräte für Wochen, allerdings wird ihnen vielerlei fehlen, aber Gemüse, d.h. Bohnen, Erbsen, Reis etc. scheinen sie noch große Vorräte zu. haben. Viehfutter haben sie noch für drei Wochen; sie schlachten eben immerfort von ihren Maultieren und Pferden. Die Wasserangst vom letzten Sonntag ist auch ziemlich behoben. Es wird schon manchmal etwas knapp, aber dann steigen Benjamin und sein Bruder in den Sodbrunnen wie gestern wieder und schaffen die Wasserbleche heraus, die herunterfallen und natürlich Platz versperren. Außerdem haben sie schon viele Steine herausgebracht. Der Sodbrunnen, der jetzt mindestens 450 Personen und etwa 30 Pferde und Maulesel tränkt, ist in Osman Effendis Garten. Er war zugeschüttet und zugedeckt und erst gestern haben wir erfahren, weshalb Osman Effendi, Mah.Netin, Oemr Effendi sind Brüder und hatten eine Schwester, die mit Sewerkli Ali Effendi, auch einem Hauptbösewicht, verheiratet war. Vor 4 Jahren stürzte sich diese Frau in den Brunnen, weil Sewerekli Ali noch eine Frau nahm. Darauf war der Brunnen verflucht und es ist Sünde, für einen Mohammedaner, daraus zu trinken. Ich bin froh, dass ich die Geschichte erst gehört habe, nachdem wir wochenlang von dem Wasser getrunken haben. – Der Brunnen ist kolossal tief – 40 m bis zum Wasser – es ist mühsam zu schöpfen. Unsere Syrer haben den Franzosen am Brunnen riesige Dienste geleistet, denn diese verstehen sich nicht darauf und wir säßen vielleicht schon längst im Trockenen. – Es ist ein großes Glück, dass man mit dem Armenierquartier jetzt wieder verkehren kann. Die Verbindung war mehr als 4 Wochen unterbrochen. Jetzt erwarten wir ungeduldig Ovagin, einen Armenier, der vor 4 Nächten mit der Patrouille ins Armenierquartier ging, um Tabak für die Franzosen zu holen. Jede Nacht wurde er zurückerwartet. Seine Frau und Kinder sind hier. Heute haben wir gehört, dass man letzte Nacht wieder einige Zelte bei den Amerikanern gestohlen hat. Die Diebe, scheinen unbewaffnet zu sein, wurden von den Franzosen beschossen, aber nicht erwischt.

Heute ist Palmsonntag – ob wir auch an Ostern noch belagert sind? – Als wir am Nachtessen sassen, brachte man einen Spahi, dessen Pferd ihm ein Stück der Unterlippe weggebissen hatte.

Mittwoch, den 31. März 1920. – Aa Montag regnete es, leider nicht lange genug, dass wir genügend Wasser für eine Wäsche hätten sammeln können. Der Sodbrunnen liefert all diese Tage höchst spärlich Wasser. Am Montagabend kamen Mr. Weeden und Clements. Am Dienstagabend Miss Smith und Miss Waller. Am Dienstag früh starb der verwundete Gefangene, der Kurde. Heute Morgen wurde dem Armen Bedros das Kniegelenk reseciert, außerdem wurde der Algerier mit dem Jammergesicht, Kadour, operiert. Andreas fand einen großen Granatsplitter in der Pleura. Es war eine aufregende Operation und der Patient ist sehr schwach. Während dem Mittagessen kam ein leicht Verwundeter und etwa um 1/2 10 Uhr abends brachte man einen Franzosen Tabournel, der eine schwere Beinfraktur und schreckliche Wunden hatte. Auf einer Patrouille und Suche nach Weizen in Kurdenhäusern war man auf eine türkische Patrouille gestoßen. Vier Türken sollen getötet oder verwundet worden sein.

Freitag, den 2. April. – Karfreitag, Papas Todestag. Der gestrige Tag verlief ruhig, aber mit Wassersorgen. Da wir nicht genügend für den Spital im Osman-Sodbrunnen ziehen konnten, mussten fünf Männer bei einbrechender Dunkelheit im Sodbrunnen der „Maison carree“ holen, was sehr beschwerlich, ist. Heute Morgen hatten wir zwei Operationen von Geschossplittern, bei einem Franzosen und bei dem Syrer Abdul. Nur (ein großes Stück). Dann wechselten wir Verbände im Spital und nachher begaben A. und ich uns ins Schischohaus zu den Verwundeten. Kaum waren wir dort fertig, als 12 1/4 Uhr ein Kanonenschuss und gleich noch einer erdröhnten. Die Geschosse scheinen etwa bei der Maison carree zu explodieren. Wir eilten heim, fanden dort auch schon alle an die einigermaßen sicheren Plätze geeilt. Es war eine Pause, so dass wir noch den Kranken das Essen geben konnten oder wenigstens schienen die Explosionen nicht sehr nahe. Andreas und ich halfen Giquel und S. In die Kleider führten sie ins Gewölbe des Moh.Net. Hauses. Im ganzen waren es 55 Schüsse, bald in der Nähe, bald ferner explodierend, etwa um 3 Uhr die letzten. Jetzt, 5 Uhr, sind Soldaten vom Schischohaus gekommen und erzählten, dass aufs Türkische Spital und Offiziershaus (unseres) viel geschossen wurde. Nach einer Aussage sind in diesen Häusern keine, nach anderer 2 leicht Verwundete. Ob bei den Amerikanern und in der Maison carree Verwundete sind, kann erst am Abend konstatiert werden. Kanonen seien auf jeder Seite des Häuschens auf dem Külakli Tepe gestanden, die eine sei zerplatzt (Gott sei Dank!) hoffentlich folgt die andere bald dem guten Beispiel. Jetzt befürchtet man, dass morgen das Armenische Quartier beschossen werde. Es sind heute 4 Wochen seit dem großen Bombardement vom 5. März!

Abends 1/2 9 Uhr. – Wir waren abends im Türkischen Spital und haben dort einen ganz leicht Verwundeten gefunden. Er hatte einen oberflächlichen Granatsplitter im Rücken, den ihm der infirmier Reverchon schon ausgezogen hatte. Schon da sahen wir, wie übel zugerichtet unser Haus ist. Nach dem Nachtessen gingen wir noch ins Künzlerhaus, da wir gehört hatten, dass auch dieses wieder viele Aubus abbekommen habe und ein Küchenfenster weggerissen sei. Als wir die Küchentüre aufmachten, und ich eintrat, kam mir ein Algerier entgegen, triumphierend einen großen Confitüre-Hafen mir entgegenstreckend. De la Confiture! Er hatte gemeint, ich sei einer seiner Spiessgesellen und war sehr verdutzt, als er uns und seinen Sergeanten, der mit uns kam, erkannte. Wir hatten schon verschiedene Male gemerkt, dass Mauser in unserm Haus waren, ohne dass wir das Fehlen von Sachen hatten konstatieren können. Damals hatten sie die große Haustüre offenbar durch eingebrochene Fenster geöffnet, jetzt können sie bequem durch das ganz zerschossene Vorratskammerfenster einsteigen. Aber man hofft, dass ihnen die Lust vergangen sei. Wir sagten zwar, man solle den Schuldigen nicht strafen, hoffentlich genügt die Drohung. Das Haus hat wohl sicher acht Schüsse abbekommen (nach einer Version 16 oder 17) Unser, das Offiziershaus, ist auch scheußlich durchlöchert, aber Gott, wie froh ist man, dass von den 55 Schüssen niemand ernstlich verwundet ist. Wir brachten noch 2 Koffer hieher, schafften mit Hilfe von Soldaten vieles in den Keller. Vor einer halben Stunde war der Soldat, der jeden Abend von den Amerikanern kommt, um die Soldatensuppe zu holen, hier. Er sagte, die Türken seien im Casino, 80 m von ihrem Haus. Ich sagte gleich, gewiss schießen sie von dort morgen auf die 412 und auf den Brunnen. Nun ist eben 1 Kanonenschuss erdröhnt, von wo, wohin? Es ist scheußlich, bringen sie uns wohl im Mondschein ein Kanonen-Ständchen? – Die Offiziere spielten auch heute wieder die Optimisten – aber es ist sicher nur gemacht – sie müssen ja ihren Soldaten gegenüber so tun und müssen sagen, gewiss sei die Kolonne in der Nähe und die Türken schießen noch vor dem Ausreißen. Wenn die Kolonne wirklich nahe wäre, würde man Kanonen in der Ferne hören. Es scheint wahr zu sein, d.h. es wird von verschiedenen Seiten bestätigt, dass eine dieser Kanonen geplatzt sei oder mindestens stark beschädigt. Miss Smith fragte mich letzthin, ob sie vom Samstag auf den Sonntagabend bei uns sein dürfe. Sie möchte gerne am Ostersonntag mit den Katholiken die Messe feiern. Natürlich sagten wir ihr mit Freude zu, nun fürchtete ich, ich habe mich vergebens die ganze Woche auf den Besuch gefreut.

Dienstag, den 6. April. – Am Samstag waren wir früh auf, um im Falle eines Bombardements doch vorher das Frühstück gegeben und das Wichtigste verrichtet zu haben. – Aber es blieb zum Glück alles still. Wir mussten dem Schwerverwundeten vom Mittwoch das Bein abnehmen. Nachmittags kamen Parlamentäre zum Kommandanten mit einem Brief von Mahmud Bey Sohn von Ibrahim Pascha, der schon früher den Franzosen freundlich gesinnt schien. Er machte den Vorschlag, die Franzosen sollen unter seinem sichern Schutz mit so viel Menschen als sie wollten, und wohin sie gerne möchten, abziehen, er garantierte. Man glaubt, der Brief sei gefälscht. Für uns brachte der Parlamentär einen Brief bzw. ein Telegramm von Frl. Stucky aus Sivas mit der Anfrage, ob wir nach Sivas kommen werden und der Bitte, irgendeine Person von Aleppo mitzubringen. Wir versuchten, dem Parlamentär eine Antwort an Frl. Stucky und ein Telegramm an Mama „Nous allons bien“ mit einem Begleitschreiben an Namik mitzugeben. Am Samstag wie fast jeden Abend seither gingen wir ins Haus, um Sachen in den Keller zu flüchten, andere hieher zu bringen. Am Samstag fanden wir im Schlafzimmer eine nicht geplatzte Granate, am Sonntag eine solche auf Kellereingang. Sie wurden von Soldaten herausgebracht. Am Samstagabend kam Miss Smith und mit ihr verbrachten wir den Ostersonntag. Nach dem Verbinden ging ich mit ihr in die Messe. Die Schwestern und Père Gabriel haben in ihrem Zimmer einen Altar errichtet und da wurde denn auch die Messe abgehalten, der verschiedene Offiziere und etwa 20 Soldaten beiwohnten. Mich hat eine kurze Predigt von Père Gabriel sehr erbaut. Zum Thee kamen die Soeurs und ihre Begleiter zu uns. Ich hatte mich erkühnt, auf Ostern ein Küchlein zu backen. Mit Miss S. gingen wir nachher ins Türkische Spital und in unsere Häuser. Abends verließ sie uns, um noch mit den Schwestern das Nachtessen einzunehmen und dann zurückzukehren. Der Montag verlief mit verschiedenen Aufregungen. (Abul hatte den Franzosen angegeben, Ali habe wahrscheinlich Lebensmittel versteckt. Es wurde uns hinterbracht, die Wolle, die einige Flüchtige (Armenierinnen) gesponnen hatten, sei aus unserem Krankenhaus aus den Kopfkissen gestohlen, es blieb unbewiesen.) In der Nacht hörte ich im Hof lautes kurzes Lachen. Ich ging, um die Leute zur Ruhe zu mahnen, da fand ich in der Frauenstube ein neugeborenes Buschi am Boden liegen und die Mutter stand daneben. Die Frau hatte niemandem gesagt, dass sie Wehen habe, das sei doch eine Schande, es dem Doktor zu sagen. Sie hatte aber auch den Frauen nichts gesagt, niemand im Zimmer hatte etwas gemerkt. Wir haben die Frau im Verdacht, dass sie das Kind beseitigen wollte. Sie ist Armenierin und kam erst vor kurzem ins Krankenhaus aus einem Kurdendorf, wohin sie bei der Deportation verschleppt worden war. Heute war nichts besonderes.

Freitag, 9. April. – (9. Februar Belagerungsanfang)! Am Dienstag Abend war Père Gabriel bei uns – von ihm hörten wir, dass die Franzosen nur noch Lebensmittel für 10 Tage hätten, doch hofften wir, es sei ein Gerücht, waren aber doch recht beunruhigt.

Am Mittwoch, 7. April kamen Dr. Beshlian und noch ein Abgesandter von den Armeniern mit einem Gendarme zum Commandanten. Die Armenier hatten die Türken um Nahrungsmittel gebeten, die ihnen die Türken nur unter der Bedingung zugestanden, dass der „poste Marcereau“ das Armenierquartier verlasse. Nun kam Dr. B. um mit dem Commandanten die Lage zu besprechen. Der poste Marcereau ist für die Franzosen äußerst wichtig, nicht nur zum Schutz der. Armenier, sondern weil die Türken, die den lulfiter besetzt haben, so die Franzosen im Rücken haben und die Kanone z.B. nicht dorthin bringen können. Dr. B. konnte uns sonst nicht viel Neues berichten. Viele, viele Leute bekommen täglich nur einmal Suppe, sonst nichts. Diese Nachricht und diejenige vom Abend vorher drückten sehr auf uns und das Schwerste hörten wir gestern. Wir hatten vor, dem Comm. von unseren Weizenvorräten 2-3 Centner anzubieten, doch hätten wir gerne etwas genaues über die Lage erfahren. Nun kam gestern nach dem Thee Comm. Hauger und Cap. Sajou zu uns und sagten uns, es sei ihnen unmöglich, länger auszuhalten, ihre Nahrungsmittel reichten nur noch bis zum Dienstag, also 5 Tage. Sie brachten einen Brief an den Comm. des Millis und an den Mutesarif mit, in welchem sie diesem erklärten, angesichts der Hungersnot der Armenier dürften sie es nicht mehr länger verantworten, hier zu bleiben, falls ihnen die Türken für einen sichern Rückzug Gewähr leisten, ihnen 60 Kamele zur Verfügung stellten und versprachen, die zurückbleibenden Christen nicht schlecht zu behandeln etc. etc. Andreas schrieb ein Begleitschreiben, in dem er sagte, er habe auch seinen Einfluss auf die Franzosen geltend gemacht, den Platz zu verlassen angesichts der Hungersnot der Armenier. Ach, wie gerne hätten wir länger ausgehalten mit den Franzosen, aber uns ist es eben unmöglich geworden. Wir im Spital hätten wohl noch einen Monat oder mehr aushalten können, nur Salz haben wir ganz, ganz wenig. Hätte ich nicht letzthin im Haus zu meiner großen Freude in einem Sack, statt wie ich vermutete Kaffee Salz gefunden, etwa 2 Kilo, so wären wir ganz am Ende. Krikor trug die Briefe auf den Serail mit der weißen Fahne. Nach 2-3 Stunden kam er und brachte nur ein kurzes Dankschreiben an den Camm., in dem sie sagten, sie werden sich die Sache überlegen. Gestern Morgen hatten wir eine Amputation eines Oberarmes an einem Franzosen Perrau, dem wir 4 Wochen lang hofften, den Arm erhalten zu können. Nun mussten wir dem armen Bedros das Bein amputieren. Andreas sagte auch, das sei eine schwere Capitulation. Nun ist es 1/2 2 Uhr nachts und ich schreibe im Bett, weil ich vor Aufregung nicht schlafen kann. Abends 5 Uhr etwa kamen Parlamentaire mit Briefen vom Mutesarif und dem Comm. des forces Nationaliste zu den Franzosen. Die Türken nehmen alle Bedingungen der Franzosen an, versprechen alles, alles, auch Sicherheit der Christen. Auch Dr. B. kam und der Mutesarif kam auf die Brücke über den Karakojun, wohin auch Cemm. Hauger und Cap. Sajou zu einer Besprechung gingen. Auf einmal zeigten sich die Türken und Christen auf allen Dächern und Straßen. War das ein Anblick nach 2 Monaten! Bei unseren Eingeborenen rief die Nachricht, dass die Franzosen abziehen werden(schon in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag!) wohl einige Bestürzung hervor, doch gab es keine Panik. Die syrischen Männer wollen fast alle, d.h. diejenigen, die etwas Geld haben, mit den Franzosen fort; da sie beim Brunnen u.s.w. halfen, glauben sie, es werde ihnen sonst schlimm ergehen. – Gott, auch uns liegt es ja schwer auf dem Herzen, wie es den Christen und vielleicht auch uns ergehen wird und die Franzosen tun einem Leid, dass sie so jämmerlich abziehen müssen und doch ist es mir, seit die Sache besiegelt ist, als ob mir eine Last abgenommen sei. Ist es einem nicht fast unfassbar, dass seit 5 Uhr abends hier kein Schuss fiel, besonders jetzt in der Nacht. Seit 2 Monaten bin ich zum ersten Mal ganz ausgekleidet, nur mit dem Nachthemd, im Bett. Nach dem Nachtessen gingen Andreas und ich noch zu den Amerikanern. Auch sie sind betrübt über dieses Ende. Wir sahen alle Verbarrikadierungen und hörten ein französisches und ein englisches Gedicht von Mrs. Mansfield, sie trug beide höchst theatralisch vor; jedenfalls war nicht nur ihr verstorbener Gatte (one of our greatest Shakespeare actors) Schauspieler, sondern auch sie. – Cap. Perrault kam auch. Plötzlich knatterten die französischen Maschinengewehre, denn wie fast jede Nacht, hatten sich wieder Zeltdiebe eingestellt. Diese scheinen unbewaffnete Strolche zu sein, denen es nach und nach gelungen ist, trotzdem sie jedesmal beschossen werden, etwa 12 der schönen großen amerikanischen Zelte, deren jedes etwa 115 Türkische Pfund wert sei, zu stehlen. Auch heute scheinen sie wieder mindestens zwei mitfort getragen zu haben und um den Waffenstillstand haben sie sich nicht gekümmert. Die Franzosen müssen etwa 7 Verwundete bei uns im Spital lassen, es wird schwer, unendlich schwer für diese sein, wenn ihre Truppen abziehen.

Samstag, den 17. April. – Es wird mir schrecklich schwer, wieder zu schreiben, Trauriges, Schreckliches haben wir erlebt. Am Samstag, den 10. waren die Franzosen mit Packen, Räumen etc. sehr beschäftigt. Uns brachte man am Vormittag noch einen Schwerverwundeten, der sich aus Unvorsichtigkeit selbst in den Bauch geschossen hatte. Der Arme hatte, etwa 8 Löcher im Darm. Andreas hatte sehr wenig Hoffnung für ihn. Nachmittags kamen verschiedene Offiziere, um sich von uns zu verabschieden und sich zu bedanken und wir gingen auch abends noch zum Commandanten. Dann wachte ich bei Carot; er war schrecklich unruhig; nannte mich immer petite mère chérie und wollte mich keinen Moment von seinem Bett lassen. Andreas grüßte noch einmal einige der Offiziere als sie nachts 2 Uhr abzogen. Schon in der Nacht und am frühen Morgen kamen eine Menge Leute aus der Stadt um, was von den Franzosen zurückgeblieben, und womöglich sonst noch vieles zu nehmen, stehlen, rauben. Wir hatten uns vom Mutesarif Gendarmes zur Bewachung des Spitals erbeten, die schon am Abend kamen, aber nur außerhalb unseres Tores wachten. Sonntag früh verbanden wir, d.h. ich konnte nicht von Carots Bett weg. Auch er wünschte, verbunden zu werden, dann könne er gewiss einschlafen. Und richtig, kaum hatten wir ihn ein wenig bequem gebettet, so schlief er ein – für immer – . Er hat eine Mutter, von deren vier Söhne er der jüngste war, 2 sind im Krieg umgekommen, einer hat ein oder mehrere amputierte Glieder – dieser war der letzte – ein großer, starker Mensch „le meilleur soldat“ wie verschiedene Offiziere versicherten. Er war Chauffeur von Colonel Capritrel und blieb mit dem Auto hier, als der Colonel nach Neujahr nach Djerablus zurückging. Nachdem Carot tot war, ging ich mich ein wenig ablegen. Ich schlief noch nicht lange, als ich Andreas laut Chanum Effendi rufen hörte und ein großer Lärm war. In Angst sprang ich zum Bett heraus, machte die Tür auf und sah zu meinem entsetzlichen Schrecken bewaffnete Männer durch das wieder zugemauerte Loch gegen den Kurdenhof eindringen. Sie hatten ein Loch durchgebrochen und einer war schon im Hof. Andreas Ruf war nicht Chanum Effendi, sondern Commandant Effendi. Diesen hatte er vorher ins Türkische Spital gehen sehen und richtig rannten auf sein Rufen verschiedene türkische Gendarmen herbei, die die Eindringlinge zurückdrängten. Wir kamen Gott sei Dank mit dem Schrecken davon, wussten aber auch, wie sehr wir auf der Hut sein müssen. Seither sind 4 Gendarmen im Spital, um ihn zu bewachen. Vielleicht um 11 Uhr am Sonntagvormittag wurden uns der Millies Commandant, der Mutesarif, der Commandant der regulären Truppen und andere Herren, etwa 10, gemeldet. Sie machten uns einen höflichen Besuch, hofften, wir hätten während der Belagerung nicht zu sehr gelitten, bedauerten, dass wir nicht in die Stadt gezogen etc. Fremde seien ihnen sehr willkommen in ihrem Land, aber nicht bewaffnete, sagte der Mutesarif. Gegen Mittag sahen wir viele Bewaffnete auf der Aleppostraße, den Franzosen nacheilen, wie wir mit Schrecken vermuteten. Bald darauf hieß es, viele der Kamele, die die Franzosen mitgenommen hatten, kommen zurück. – Nach der Essenszeit ging ich mit Schwestern und Mädchen über den Tylfiter ins Armenierquartier. Es war Armenische Ostern und sie wollten so gerne nach 9 Wochen ihre Verwandten sehen. Aber fast wäre ich umgekehrt, denn auf der Aleppostraße hatten wir einen traurigen Anblick. Kamele, Pferde kamen mit Beutestücken von den Franzosen beladen zurück. Ihre Besitzer wurden mit Freudetrillern von der Menge begrüßt. Auch einzelne Verwundete sahen wir ankommen. Kaum waren wir über den Tylfiter (Schützengräben zu überspringen) bei den Amerik. Mission angelangt, als wir hörten, man habe den Kopf des französischen Kommandanten durch die Stadt getragen! Ob dies wahr war oder nicht konnten wir bis heute nicht erfahren. Bis zum Abend wussten wir, dass schon in der Nacht große Haufen Bewaffneter den Franzosen nachgezogen waren, dass die Franzosen morgens 8 Uhr in einem Tale von allen Seiten angegriffen worden seien. Lange wehrten sie sich (vier Stunden nach einer Version), andere ergaben sich, wenige konnten fliehen. Viele Verwundete und Gefangene wurden aufs Schrecklichste getötet (c’etaient des massacres haben die Gefangenen erzählt). 130 Gefangene und Verwundete wurden am Sonntag und Montag (?) nach Urfa gebracht, etwa 21 noch heute; letztere hatten sich geflüchtet und waren dann in Dörfern gefangen und über Surudj gebracht worden. Lieut. Deloire, der einzige Offizier, ist zwei Tage in den Bergen herumgeirrt. Er ging dann in ein Dorf, wo er gefangen wurde. Er war von Reitern eingefangen worden und absolut ausgeplündert, so dass er nackt in Surudj ankam. Die Leichen auf dem Kampfplatz waren alle ganz nackt. Wir haben kaum Hoffnung, dass sich noch die einen oder anderen flüchten konnten. So ist also etwa 1/3 der Besatzung von Urfa hier als Gefangene und Verwundete, 2/3 sind umgekommen. – Unseren Verwundeten wagten wir nicht gleich all das Schreckliche zu sagen. – Jetzt, da noch von ihren Kameraden zu ihnen gekommen sind, wissen sie es. Vom Gouverneur (Cap. Sajou) haben wir gehört, er habe sich das Leben genommen. Es ist alles so traurig. – Cap. Perrault, der Commandant Hauger (Sojer und Baloche, die wir gepflegt hatten), Giquel, der sich eben von einer Lungenentzündung erholt hatte, Tasserat, der in den ersten Tagen verwundet und das Bein gebrochen hatte und der jetzt eben wieder angefangen hatte, auf Stelzen zu gehen, und so viele andere, die wir gepflegt hatten, die Krankenpfleger alle tot. Am Sonntagmorgen war die gleiche Gesellschaft von Stadt- und Militärhäuptern von uns zu Miss Holmes gegangen und hatte dort erklärt, sie wollten nun einen Staat nach amerikanischem Muster machen, Mrs. H. solle ihnen helfen, sie wollten sich, auch mit dem amerikanischen Commandanten in Aleppo in Verbindung setzen und diese Menschen liessen unterdessen die Franzosen, denen sie sicheren Abzug garantierten, meuchlings ermorden.

Montag, den 19. April. – Am Sonntagabend kam Mr. Woodward, der mit den Franzosen nach Aleppo ziehen wollte, (es war ihm vom Mutesarif abgeraten worden mit diesen zu gehen), erschöpft zu uns. Den Gendarmen, die ihn begleiteten, war mit dem Leben gedroht worden, wenn sie Mr. W. nicht lebend zurückbrachten. Er hat Schreckliches erlebt. Am 12. April konstatierten wir, dass in unserm Haus, trotz Gendarmen, gestohlen war. Die Diebe hatten das verbarrikadierte Loch in der Küchenmauer wieder aufgemacht. In unserem Haus ließen sich türkische Offiziere nieder (warum auch nicht, nachdem Deutsche, Engländer und Franzosen darin gewohnt hatten?).

Am 13. April kamen wieder ziemlich viele Patienten aus der Stadt. Der Sachire Undire macht uns einen netten Besuch. Araber Emine kommt und bezeugt ihre Teilnahme. Ich zeige ihr das Haus. – Abends gingen Andreas und ich zum Mutesarif mit Mr. Weeden und fragen, ob wir den Türkischen Spital besuchen dürfen. Wir bekommen Erlaubnis und finden in einer Schule ein wirklich – für hier – wohleingerichtetes Spital. Wir finden darin ziemlich viele algerische und etwa 5. oder 6 französische Verwundete (Groß mit dem Finger hat einen Schuss in dem Arm). Auf dem Heimweg sahen wir 200 Reiter (Reg. Truppen) in Urfa einreiten.

Am 14. April, während wir Sprechstunde abhielten, kam ein. franz. Flieger und‘ kreiste über den frühern französischen Positionen. Zu spät, doch hörten wir nachher, dass er auch über das Schlachtfeld zog, ganz tief und wahrscheinlich genau? Aufnahmen machte. Andreas setzte sich mit den türkischen Ärzten in Verbindung und erlangte, dass schwer verwundete Türken und Franzosen in unser Spital gebracht werden sollten. – Es sollen viele Bewaffnete und auch reguläre Truppen gegen Arapunar gezogen sein. – Am Abend konnten aus dem Türkischen Spital 9 in der Stadt Verwundete, alles Algerier und Franzosen (17) aufgenommen werden. Das Personal hat Angst; wenn wir Türken in Pflege hätten, fühlten sie sich sicherer. Auch ich hatte Angst. Der Kadi besuchte uns abends, auch er ist ein guter Freund! Ali wurde A.’s Pferd weggenommen, es muss auch gegen die Franzosen ziehen. Er bekam 28 L. dafür. Man muss froh sein, dass es wenigstens bezahlt wurde. Die Wasserleitung funktioniert immer noch nicht, aber wir holen das Wasser aus dem Karakojun und waschen für den Spital.

Am 15. April. – Ich ging morgens etwa um 11 Uhr in unser Künzlerhaus. Schon von draußen hörte ich Lärm und drin fand ich außer Alis Familie, die seit dem 14. im Haus wohnt, etwa 20 türkische Frauen, Kinder und Mägde. Der Zorn übermannte mich. Ich befahl ihnen, herauszugehen, ich komme auch nicht in ihre Häuser, ohne mich bei der Dame zu melden etc. Nun hieß es, die Frau des Mutesarif sei unter ihnen, aber ich bestand auf meinem Recht. Der wachthabende Gendarm sagte nachher, er wollte sie nicht hereinlassen, aber sie haben auch ihm gesagt, des Mutesarifs Frau sei unter ihnen. Ich schrieb nun dem Mutesarif, dass ich die vielen Leute im Haus gefunden habe und sie fortgeschickt hätte, dass ich nachher erfahren habe, seine Frau sei dabei gewesen, was ich aber nicht glauben könne, da gewiss seine Frau sich mir vorgestellt hätte, ehe sie in mein Haus gekommen wäre. Er antwortete nicht, abends sahen wir ihn bei den Amerikanern, auch da ging er nicht darauf ein, als Andreas eine Art Entschuldigung machte. Daraus schlossen wir, dass es seine Frau war und nun werde ich eben auf ihrer schwarzen Liste stehen. Ich vergaß zu schreiben, dass wir also am 14. Mittwoch, bei den katholischen Schwestern waren, um mit ihnen die letzten Ereignisse zu betrauern. Die französischen Schwestern und Patres in der Stadt haben nicht sehr gelitten während der zwei Monate. Père Gabriel und die Schwestern hatten am Samstagmittag die Franzosen verlassen. Am 16. April hörte man, es sei eine amerikanische Kommission von Beredjik abgefahren und werde am selben Abend noch in Urfa sein. Doch traf diese erst am Samstag Morgen ein. Am Freitag waren Maueranschläge in der Stadt, man solle nicht auf Flieger schießen, nur Soldaten dürfen dies, und man solle im Markt keine Waffen tragen. Diejenige Person, die mit den Franzosen gezogen war, wird vom Mutesarif zu uns geschickt. Sie war seit dem Montag gefangen. Wir schickten sie noch am selben Abend zu ihren Verwandten in die Stadt. Sie hatte wohl zu Cap. Lambert gehört. Nachher nähte sie im Haus des Commandanten und sah nach der Küche. Auf dem Schlachtfeld war sie eine Zeit lang bei Verwundeten, verband, konnte kein Wasser geben. Lt. Sojer, der schwer verwundet war, habe so sehr danach geseufzt, da wurde sie von Arabern weg und nach Urfa gebracht. Es werden 5 schwer verwundete Türken und Kurden aus dem Türkischen Spital zu uns gebracht die schwersten Fälle teilweise hoffnungslos. Am 17. April gingen wir abends ins New House und fanden dort die Am. Kommission. Dr. Lambert und 4 Herren schlechte Berichte von Marasch (Arm.Mass., Franzosen evakuiert, Anitab im Kampf). In Beredjik Djerablus seien Franzosen, aber ungenügend. Die meisten Amerikaner sollen mit der Commission Urfa verlassen. Miss Law, Mrs. Mansfield sowie Mr. Clements, Mr. Woodward sicher, Miss Smith und Miss Waller noch fraglich. Miss Holmes und Mr. Weeden werden sicher bleiben und vielleicht zwei der angekommenen Herren. – Abends besprechen wir uns, wie gerne möchten auch wir fort, aber was soll bei einer so schnellen Abreise aus unsern Leuten, Verwundeten etc. werden. Wir erwachen am Sonntag beide mit der Überzeugung, dass wir jetzt nicht abreisen können – aber schwer wird es mir.

Am Sonntag, den 18. April kam Dr. L. zu einer Besprechung zu uns. Wir bitten ihn, auf der Regierung unsern Spital, und uns als ganz unter amerikanischem Schutz stehend darzustellen. Für die Zukunft Ablösung, weiß er wenig Rat. Nachmittags geht A. mit ihm auf die Regierung, ich mache unterdessen Miss Holmes einen Besuch. Am Vormittag eine Post! Alles Briefe vom Dezember. Mama ist krank – Gott – hat sie vielleicht die Angst um uns nicht mehr durchmachen müssen – aber wie schrecklich traurig das für uns wäre. Von den Kindern guten Bericht. Ein lieber Neujahrswunsch von Heidi.

Montag, den 19. April. – Wir haben, jetzt wieder eine riesige Sprechstunde. Türken und Christen kommen. Man erzählt in der Stadt, die Franzosen seien in der Surudjebene, Surudj sei eingenommen, es seien 500 verwundete Türken dort Was ist wohl wahr?

Dienstag, den 20. April. – In der Frühe sind Dr. Lambert mit zwei seiner Begleiter, Miss Law, Mrs. Mansfield, Mr. Clements und Mr. Woodward im Auto abgereist. Tags darauf erhielten die Amerikaner ein Telegramm, dass das Auto glücklich in Biridjik angelangt sei. Diese ganze Zeit hört man jeden Tag neue Gerüchte, einmal heißt es, die Bewohner von Surudj seien alle nach Urfa und weiter geflohen, ein anderesmal heißt es, die Franzosen haben Arapunar räumen müssen etc. etc., man erfährt nie was wahr ist.

Am 25. April abends, nach Einbruch der Dunkelheit ertönten wieder Freudentriller. Wie wir nachher vernahmen, waren 25 Gefangene (meist Senegalesen) von der Station Charabuass gebracht worden. Auch der Stationschef – ein Syrer – mit Frau und Kindern wurde gebracht. Oh, wie mir das Herz schwer wird, sobald ich das schreckliche Trill höre.

Am 28. April machte ich Besuch bei der Frau des Kadi. Miss Waller und Miss Smith kamen mit mir.

Am 1. Mai kam Miss Holmes bei uns vorbei und erzählte, es heiße, die Engländer seien von Bagdad hergekommen. Die Araber Ermine, meine Putzfrau fragt mich, ob sie nicht mit ihren Kindern in unserm Holzhaus oder bei Ali wohnen dürfe, es heiße, die Franzosen kämen. Gerne, aber ob sie bei uns sicherer ist? Habe ich doch selbst den Eindruck, dass uns alles feindlich gesinnt sei. Doch ich habe vergessen zu schreiben, dass wir am 30. April in unser, d.h. in Künzlers Haus, gezogen sind, nachdem man die schlimmsten Kanonenschusslöcher geflickt, Türen repariert und geputzt hatte. Die Glasscheiben fehlen an einigen Fenstern fast alle und wir haben keinen Ersatz. Aber es ist ja Sommer.

Am 2. Mai machten wir mit drei Amerikanern einen Spaziergang zu unserm Weingarten. – Am 3. Mai war ein Maueranschlag in der Stadt, dass die armenischen Frauen, die seit dem Abzug der Franzosen von Türken in ihre Harems zurückgeholt worden seien, von den Türken wieder freizulassen seien. Der Mutesarif, der mit 2 Muftis in Surudj war, ist zurückgekehrt und es heißt, er habe geraten, Urfa solle sich ergeben, man habe ihm aber gesagt, er habe bis jetzt die Sache soweit getrieben, nun könne man nicht zurück.

Am 4. Mai ist viel Militär, auch die türkischen Offiziere, in unserm Haus gegen Surudj gezogen. Es hieß, bis spätestens Sonntag seien die Franzosen hier. Ja, wenn sie diesmal wirklich kommen. – Wann werden wir wieder in den Spital flüchten müssen? Diesmal wäre es wohl der Ruin unserer Häuser samt Inhalt. Nachmittags machen die Gefangenen Lt. Deloire und der Adjutant Joyeuse einen Besuch bei uns, beim Spital und bei den Amerikanern.

Am 6. Mai. – Nun haben wir einen langen Zug von Civilisten, Wagen, Reitern und franz. Gefangenen auf der Dearbekirstraße fortziehen gesehen. Also ist eingetroffen, was Deloire befürchtet hat. Ohne dass wir noch irgendetwas für sie tun. konnten, mussten die Armen fort. Der Mutesarif sagte Dr. Besulian, die Franzosen seien von Surudj vorgerückt, deshalb habe man die Gefangenen der Reg. Armee übergeben.

Am 7. Mai morgens hörte man 2-3 stundenlang starken Kanonendonner. Es heißt, die Franzosen seien 3 Stunden hieher von Surudj. In der Stadt wurde ausgerufen, dass, wer Ehre habe, in den Krieg ziehe. Einzeln und in Truppen sieht man Kurden die Aleppostraße heraufziehen. Auch beladene Kamele und Wagen. Doch scheint es, dass die Regierung keine Waffen mehr hat. Man hat gehört, dass Kurden zueinander sagten, ohne Waffen könnten sie doch nicht gehen, man habe ihnen versprochen, in Sari Mahara werden sie Waffen bekommen, wohl von den Toten oder Verwundeten. Abends kommen viele zurück, einzelne verwundet. Wir hören wenig sicheres.

Am 8. Mai bleibt alles ruhig. Andreas hört, dass die türkischen Positionen etwa 4 Stunden von hier seien, dass aber die Franzosen seit gestern zurückgegangen seien, so dass ein großer Zwischenraum zwischen den Feinden sei. Gekämpft wurde heute nicht. Am Margen ist auch der Mutesarif bewaffnet ausgezogen. Gegen Abend, während die Kadi-Damen bei mir sind, hört man das Freudenhilülü der Weiber. Ist es wohl wahr, dass man einige Gefangene gebracht hat oder galt der Empfang heimkehrenden Kriegern? Wir wissen noch nichts. Heute Nachmittag kamen drei Soldaten vom Bat. Kommandanten beordert, uns zu beschützen. Die Armenier wurden heute aufgefordert, Wachen zwischen ihrem und dem türkischen Quartier aufzustellen. Wills Gott macht sich der Fanatismus nicht gegen die Christen Luft. Die Regierung scheint diese schützen zu wollen.

Den 10. Mai. – Es sind heute 11 Jahre seit meiner Blinddarmoperation. Damals war auch eine schwere Zeit, kurz vorher waren die Massaker von Adana. – Jetzt bin ich schlaff und unlustig zur Arbeit, wie ich mich kaum im Hochsommer erinnere, gewesen zu sein. Es hat 24 Grad R in der Stube – das ist für den Mai ja recht warm, aber die „Schlappitüde“ wie Baron Oppenheim dies hieß, kommt wohl mehr von der Unsicherheit und Angst. Gestern Sonntag gingen wir mit Miss Smith und einem unserer Soldaten auf dem Mönchsberg spazieren. Von oben sahen wir auf der Diarbekirstrasse beim Tschrittmedan und weiter große Volksmengen. Dann bewegten sich von Karaköpru herkommend zwei dichte Knäuel gegen die Stadt, die mit Jubel – und Freudenschüssen von der Menge empfangen wurden. Es waren zwei Kanonen. Sie stehen nun beim Türkischen Spital. Es heißt, sie sollen bald weitertransportiert werden. Heute kam Dr. Beshlian spät in den Spital. Er entschuldigte sich mit der Unruhe, die er habe. Es gehe das Gerücht, von den Franzosen sei ein Brief (jedenfalls ein gefälschter) an die Armenier gekommen, er sei von den Türken abgefangen worden und nun werden die A. bedroht. Dr. B. war beim Kadi heute morgen. Außer ihm hat kein Armenier Angst gezeigt, heute aber, Dr. B. war bis jetzt immer zuversichtlich. Eben sagte mir Mowses, es heiße, in Beirut, Alexandrette und Mersina seien viele französische Truppen gelandet. – Nach dem Essen machte der türkische Militärarzt, der oft bei den Operationen assistiert, einen Besuch. Er war am Freitag und Samstag auch bei den türkischen Positionen. Es habe einige Verwundete und einen Toten gegeben. „J’ai peur“ sagte er ganz heimelig, er habe noch keinen Krieg mitgemacht.

Dienstag, den 10. Mai wurden die Kanonen fortgeführt gen Surudj; am Sonntag und alle diese Tage sah man auch viele Truppen und Stämme abziehen. Nun erwartete man auf Mittwoch oder Donnerstag einen Kampf, – aber nichts erfolgte, nicht am Donnerstag, nicht am Freitag. Langsam glaubte man immer mehr dem Gerücht, die Franzosen hätten sich aus der Surudjebene zurückgezogen und hätten nur noch die Bahn besetzt. Es hieß auch, sie hätten Befehl bekommen, ganz von Nordsyrien zurückzugehen. Was ist wahr? Wir wissen nichts, aber am 7. Mai sind die Franzosen keine vier Stunden von Urfa und es wäre ihnen ein leichtes gewesen, Urfa zu nehmen und dann sind sie verduftet. – Gott sei Dank mussten wir sagen, denn hätten sie zuerst Urfa mit Gewalt genommen und wären nachher „wieder fort oder hätten Urfa ungenügend besetzt gelassen, wie sie es in Aintab gemacht hatten, so wäre es schrecklich gewesen für die Christen. – Die Christen haben Angst, doch sind Gott sei Dank seit Samstag, den 15. Mai wieder Gerüchte von einer amerikanischen (!) Armee, die sich nähere, im Umlauf. Auch soll eine amerikanische, italienische, britische Kommission unterwegs sein, um die Franzosen-Massaker in Ferri-Faschä zu untersuchen. – Miss Holmes, die vor vier Wochen Dr. Lambert einen Bericht für die Franzosen mitgegeben hat, erhielt einen Brief von General Gourod mit Dank für alles, was die Amerikaner den Franzosen getan haben (auch für die blessés). Am Mittwoch war ich mit den Kadi-Damen bei den Amerikanern – es war höchst vergnüglich. – Namentlich war es nett, wie die Schwiegermutter des Kadi mit einem jungen Mädchen zu den massigen Klängen des Grammophons tanzte.

Am Sonntag, den 16. Mai waren wir zum Thee bei den Amerikanern eingeladen. Es geht das Gerücht, ein großes französisches Heer nahe sich. – Von den türkischen Soldaten, die unser Haus, den Schischogil und das türkische Spital füllen, seien letzte Nacht 35 ausgerissen. Es hieß, die türkischen Truppen sollten nächster Tage hier fort gen Mosul ziehen, das schätzen sie nicht – Mehmed Tschausch, ein Korp., der während etwa drei Wochen in unserem Spital Wache hielt und der vor 8 Tagen gegen die Franzosen ziehen musste, ist zurückgekehrt. Er hat eine Kontusion am Finger von einem Stein.

Mittwoch, den 19. Mai ist eines der beiden türkischen Bataillone abgezogen – gen Mosul oder Mardin, oder Mahmud Bey, dem Sohn Ibrahim-Faschas, der mit den Franzosen hält, entgegen? Andreas spricht mit den türkischen Offizieren unseres Hauses; diese sagen, in einigen Tagen werde das Haus leer und uns übergeben, aber schon nachmittags ziehen neue Leute ein. Andreas geht und findet den Milli-Commandanten, der wiederum verspricht, in kurzer Zeit das Haus uns zu übergeben, es zu reparieren etc. Alles Lügen! –

Gerüchte! – Es heißt, die Franzosen seien wieder in Surudj. Surudj und jene Gegend ist vorher von den Türken gänzlich ausgeplündert worden, die Kurden seien jetzt auf Seite der Franzosen. Schon vor einigen Tagen hörte man, die Eisenbahnlinie werde durch Kurden repariert, denen die Franzosen riesige Löhne bezahlen. Jedenfalls ist alles drunter und drüber und wenn nicht eine Macht die Oberhand gewinnt, so werden sich Kurden, Türken und Araber und wieder die einzelnen Stämme gegenseitig auffressen. – Hier wird es eine Teuerung geben. Die Butterzeit verstreicht und es ist fast keine Butter in die Stadt gekommen, in den Dörfern gebe es Butter wie Wasser, aber man kann sie nicht in die Stadt bringen. Ebenso mit dem frischen Käse, den man im Frühjahr für das ganze Jahr einmacht. Wie wird es mit der Ernte gehen? Die Armenier werden von den Türken boykottiert, sie lassen keine Arbeiten durch sie ausführen. Oft erhalten die Armenier die nötigen Lebensmittel nur mit Mühe auf dem Markt. Gestern ist Andreas und mir gleichzeitig in den Sinn gekommen, ob unsere drei Soldaten uns eigentlich beschützen oder bewachen sollen? Aber sie sind anständig.

Freitag, 21. Mai machte der Kommandant, der jetzt in unserm Haus wohnt, einen Besuch mit seinem Adjutanten und dem Sohn von Severekli Ali-Effendi. – Letzterer war im März verwundet worden am Fuß, nach der Belagerung wurde A. einmal zu einer Konsultation beigezogen. Die Wunde ist geheilt, aber er hinkt. Sein Vater ist einer der schlimmsten.

Gerüchte: Die Eisenbahnlinie sei bis Tel Abiad hergestellt, die Linie ganz in den Händen der Franzosen.

Samstag, 22. Mai. – Seit Mittwoch ist Ramasan. Die Mohammedaner fasten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, halten sich während der Nacht schadlos. Der Anfang und das Ende des Fastens, d.h. Sonnenauf- und Untergang wird jeweilen durch einen Raketen- und einen Kanonenschuss mitgeteilt. Die Tage sind sehr lange jetzt. Aber ausgenommen von dem Fasten sind alle Kranken, Leute die arbeiten, die reisen etc.; es wird ihnen möglichst leicht gemacht. Nicht zu trinken, nicht zu rauchen ist ja schwerer, namentlich im Sommer, als nicht zu essen. Heute haben wir Jesaja 1. l0-20 gelesen. Oh, wenn man in Flammenschrift einen Riesenanschlag auf dem Serailplatz machen könnte. – Höret das Wort Jahwes, ihr Sodomsgebieter! Vernimm die Lehre unseres Gottes, du Gomorrhavolk!

Nachtrag: Vor etwa 10 Tagen gingen A. und ich spazieren. Beim Casino sah man in der Sonne aufgehängte Teppiche. Ich ging hin, um zu sehen. Es waren viele türkische Frauen da. Ein Teppich war gerade in der Wasserleitung, um ihn zu waschen und eine Frau stand darauf, um ihn unten zu halten. Ich sagte zu einer der Frauen: „Ihr solltet die Teppiche auf die Steinplatten legen und mit Wasser übergießen, das ist das Trinkwasser für uns und die Stadt.“ „Oh, unsere Teppiche sind nicht schmutzig, das macht nichts, wir waschen sie für den Ramasan.“ Da schimpfte ich und sagte, es sei grausig, man sollte es auf der Regierung anzeigen. „Oh, zeig es nur an, das ist gerade der rechte Ort“ lachte die eine, „sieh wie diese Frauen lachen.“ Da sah ich erst die zwei Frauen in grauen Tscharschaffs, die sich von mir abwandten. Es waren die Serail-Frauen und seine Teppiche, aber ich tat, als ob ich sie nicht erkannte. Nachher fragte ich in der Nähe arbeitende Frauen (Armenierfrauen). Die Amerikaner bauen eine Mauer um ihr Grundstück und viele Frauen und Kinder sammeln Steine, großes Glück, weil sonst Unterstützung, Maschinenarbeit fast eingestellt wird.

Am Samstag, den 22. Mai. – Nachmittags wurden zwei Kurden in den Spital gebracht. Baderli Kurden, also Said Begs Leute. Die, Baderli waren von den Dügürlin überfallen und getötet worden. Der eine der beiden, der einen Lungenschuss hatte, starb zwei Tage später.

Sonntag, den 23. Mai. – Am Sonntag in der Frühe konstatierten wir, dass wir in einer Falle seien. Andreas und ich gingen in die Stadt, um Beshlians und das Armenierquartier von ihrem Dach aus zu photographieren. Unterwegs trafen wir einen von zwei Gendarmen geführten, offenbar verhafteten Armenier. Zu Hause hatte ich in der Küche zu tun, als Majram mich in die Esstube rief. Zu meinem Entsetzen musste ich sehen, dass in unserer oberen Halle ein Mann von Soldaten geschlagen wurde mit Stöcken. Er schrie entsetzlich. Ich eilte davon, um es Andreas, der im Spital war, zu sagen. So etwas in unserm Haus! Nachher erfuhren wir, dass schon am vorhergehenden Tag ein Syrer verhaftet worden war. Er kam von auswärts (von Aintab) wollte nach Mardin und war verdächtig, Briefe von den Franzosen an die Armenier gebracht zu haben. In der Nacht hörte und sah die Araber Emine, wie man ihn schlug; auch in unserm Haus, und dass er aussagte, ja er habe einen Brief gebracht und ihn dem Schmied Melkon gegeben, in dessen Laden er verhaftet worden war und die Franzosen hätten ihm dafür 10 Lira gegeben. Am Sonntagmorgen wurde dann eben dieser Melkon verhaftet und geschlagen, aber er blieb dabei, dass er keinen Brief gesehen habe. Dr. Beshlian sah Melkon und den Syrer am nächsten Tag. Ersterer hatte so zerschlagene Beine, dass er nicht gehen konnte. Er war auch nicht verbunden. Der Syrer sagte dann aus, er habe keinen Brief und nichts mit den Franzosen zu tun gehabt, nur weil er die Schläge nicht mehr aushalten konnte, habe er diese Aussagen gemacht. – Am Sonntag nach dem Mittagessen, das fast unberührt in die Küche zurückging, war es mir, als ob ich nicht mehr in diesem Hause, wo man so schreckliche Dinge mitansehen musste, wohnen könnte. Ich sprach Andreas davon, dass wir vielleicht zu den Amerikanern ziehen könnten. Er wollte nicht gerne unsere eigene Häuslichkeit aufgeben, aber nach und nach entwarfen wir einen Plan, dass wir nun doch langsam unsere Reisevorbereitungen treffen wollten, entbehrliche Gegenstände in Kisten packen, im Spital Vorbereitungen treffen etc., um Ende Juni alles aufzulösen, wenn nicht, wie wir ja etwas hofften, Künzlers vorher kämen, um den Spital weiterzuführen. Zum Thee kamen die Amerikaner und wir fragten Miss Holmes, ob, wenn unser Haushalt aufgelöst sei, wir eventl. noch einige Zeit bei ihnen wohnen dürften, was sie sehr gerne gestattete. Auch wollte sie die Vertretung für den Spital und unsere Häuser übernehmen so lange Künzlers nicht da seien.

Am Montag. 24. Mai sahen wir den türkischen Kommandanten Nuri Bey gen Surudj fahren. Der Mutesarif ging mit und wie wir hörten, gingen sie hin, um den Kaimakan von S. zu versöhnen, der vorwurfsvolle Briefe über die Plünderung der Tschettes von Surudj geschrieben hatte. Vorher seien die Franzosen dagewesen und hätten jedes Ei bezahlt. Jetzt seien ihre „Freunde“ von Urfa gekommen und hätten alles ausgeraubt und ihre Frauen misshandelt. Schon da fing ich an, nachmittags Sachen zu verlesen und 2 Koffer zu packen.

Am Dienstag, 25. Mai hatte ich den Besuch einer Syrerin, die mir schon einige male schöne Nelken geschickt hatte. Abends gingen wir noch zu Miss Holmes um allerhand mit ihr zu besprechen. Andreas hatte die Vekaletname, das heißt die Bevollmächtigung für sie schon vorbereitet. – Miss Smith kam nach Hause mit dem Bericht, sie habe eben den verhafteten Syrer auf seinem Todesgang angetroffen – wegen falscher Aussage wurde der Ärmste gehängt, der Armenier Melkon wurde entlassen, aber wie wir später hörten, wieder verhaftet?

Am Mittwoch, 26. Mai waren die ersten Kisten bereit. Die schönen Schweizerkisten hatten nämlich bei der Belagerung fast alle Schrapnelllöcher erhalten und mussten zuerst repariert werden. Ich konnte 2 Kisten packen.

Donnerstag, den 27. Mai kam Miss Holmes, um uns zu erzählen, die amerikanischen Autos von Aleppo seien unterwegs nach Urfa. Nachmittags Besuch bei der syrischen Blumenfreundin. Ich höre, dass das Auto ankommt. Abends gingen A. und ich zu den Amerikanern zu hören, was die Neuangekommenen berichtet haben. Unterwegs wurde uns ein Brief vom 1. Mai von Künzlers abgegeben, in welchem er berichtet, für ihn und seine Familie seien die Pässe bereit, er habe Schiffsplätze bestellt und hoffe trotz der Bedenken des Schweizerkomitees um den l0. Juni abzureisen. – Es wäre sehr wünschbar, dass ich daheim wäre, da meine Mama sehr krank sei. – Zuerst meinen wir, es sei unmöglich, dass wir mit den Amerikanern abreisen – aber doch fragten wir noch an diesem Abend, ob die Möglichkeit vorhanden sei, dass außer Miss Smith, Miss Waller und Mr. Weeden auch wir mit nach Aleppo fahren könnten. Dies sei möglich, wenn der Wagen der Amerikaner in Urfa auch noch repariert werden könne. Eine Nacht voll Ungewissheit, ob wir unser Werk so verlassen dürfen. Aber es ist merkwürdig, dass wir gerade in den letzten Tagen die Abreise so vorbereitet hatten, die Vekaletname war in Ordnung und es war teilweise gepackt. Mir zuliebe hat sich Andreas entschließen können zu reisen – es war ihm ein großes Opfer, aber auch er hatte ja in letzter Zeit oft gesagt, auf keinen Fall werden wir länger als bis Ende Juni bleiben. Aber der Bericht über Mama, die Reisegelegenheit, die vielleicht monatelang nicht wiederkehrt und Künzler im Anzug, all das bewog uns zum Entschluss. Auch das amerikanische Auto wurde in Stand gesetzt.

Freitag und Samstag, 28. und 29. Mai verliefen mit Packen, packen, packen, unzählige Besuche, die wir empfangen mussten, es war den Leuten arg, dass wir fort gingen, aber niemand machte uns einen Vorwurf. Alle schienen zu begreifen, dass wir heim zu Mutter und den Kindern gingen und dass wir die Reisegelegenheit benützen. Es gingen in letzter Zeit wohl manchmal Karawanen nach Aleppo in 10 Tagen, der Vertreter der Standard Oil Company war mit einer solchen gereist. Sonst konnten keine Christen reisen. Auch dieser Raffi, der einen Zaptie zu seinem Schutz mithatte, erzählte uns nachher in Aleppo, es sei ihm ein Tschette nachgeschickt worden, der offenbar den Befehl hatte, ihn auf die Seite zu räumen. Er wollte den Zaptie bewegen, umzukehren und als ihm dies nicht gelang, sei er vorausgeritten nach Bab bis wohin er Befehl hatte mitzugehen. Raffi bewog die Karawane(Bab nicht zu berühren, sondern in einem Umweg es zu umgehen).

Am Sonntag, 30. Mai, morgens 1/2 6 Uhr fuhren wir ab in 2 Autos. Das erste wurde von Mr. Wallace geführt und Andreas, ich und ein Dragoman, führen darin nebst vielen Koffern etc. Im 2., von Mr. Weeden geführten waren Miss Smith, Miss Waller, ein Dragoman und 1 Zaptie. Meine Angst, dass unser Gepäck noch nach Papieren (Tagebuch!) untersucht werde, oder dass sonst uns Nichtamerikanern vom Mutesarif noch etwas angetan werde, verschwand bald. – Wir kamen am Schlachtfeld vom 11. April vorbei. Kaum erkennt man, dass da etwas vorgefallen ist. Nur einzelne aufgegrabene Stellen zeigen, wo die Massengräber sind. – In Surudj wurde Halt gemacht und die Herren besuchten den Kaimakan. Vor Beredjik wurden wir von einem Senegalesen, der in bedrohlicher Weise auf uns zielte, gestoppt. Nachher fuhren wir in eine Art Lagerhaus am Euphratufer, wo wir von einem französischen Offizier freundlich begrüßt wurden. Von Urfa-Surudj waren es ca. 31, von Surudj-Beredjik 29 Meilen. Es war eine wunderbare Fahrt. Die Überfahrt über den Euphrat im Kelleks geschah rasch und bald nach 2 Uhr kamen wir in Djerablus an, das etwa 19 Meilen von Beredjik entfernt ist. Dort sahen wir Colonel Andreae, der gerne über die Ereignisse in Urfa hörte. Wir waren sehr erstaunt, die französischen Positionen in Dj. intakt zu finden.- Sie waren dort nie angegriffen worden, ein Kampf hatte zwischen Beredjik und Djerablus stattgefunden. Leider war Colonel Capitril am selben Morgen nach Kilis geflogen in einem Flugzeug. Ich hätte ihm, der Urfa gut kannte, gerne vieles erzählt, auch von seinem Chauffeur Carot, dem „besten Soldaten“ von seinem Auto, das, weil defekt, in Urfa geblieben und mir von den Off., bei ihrem Abzug geschenkt, aber von den Türken aus unserem Hof fortgeführt wurde. – Eine halbe Stunde konnten wir bei den französischen Offizieren bleiben, dann mussten wir weiter. Mr. Wallace hatte sich in den Kopf gesetzt, in einem Tag nach Aleppo zu fahren, was auch angenehm war. Einige Schwierigkeit bot die Durchquerung des Flusses Sajour etwa von der Breite der Birs bei St. Jakob. Mitten im Fluss blieb das Auto stecken und wollte weder vor- noch rückwärts. Nach und nach ließen sich am Ufer befindliche Araber herbei und kamen zu uns heran. Nachdem sie uns genügend betrachtet und das Auto und seine Ladung betastet und besprochen hatten, zogen alle an einem Kabel, das Mr. Wallace inzwischen befestigt hatte und zogen unter Allali, Allali-Rufen und unter dem Geschnaube und Gepuste das Ungetüm ans Land. Was hätten wir gemacht, wenn sie uns alles geraubt hätten, in der Mitte des Flusses in dieser Zeit, wo man so vieles von Räubern und Überfällen hörte. – Aber den Amerikani passiert so etwas nicht! Auf der ganzen spätern Reise haben wir konstatieren können, dass die Welt ihnen zu Füßen liegt. Ohne weitere Abenteuer kamen wir bei Einbruch der Dunkelheit in Aleppo an. – Wir wurden freundlich von den Amerikanern, Dr. Lambert etc. empfangen und einquartiert. Auch Mrs. Mansfield und Mr. Woodward fanden wir wieder. Montag und Dienstag hatten wir viel zu tun mit Besuche empfangen, hauptsächlich von verschiedenen Urfalis, Melikian, Schwester und Mutter von Frau Dr. Armenag, Dajhlian – Bevers etc. Andreas musste einen Bericht machen für Col. Andreae, ich musste meine Rechnungen für Urfa abschließen. Einen netten Abend verbrachten wir bei Schueps. Eine Einladung zu Dr. Altourian konnten wir nicht annehmen, sahen ihn aber doch. Peinlich hat es uns berührt in Aleppo zu vernehmen, dass die französischen Zeitungen das Unglück der Franzosen in Urfa einem Verrat von Seiten der Armenier zuschreiben und unter anderem auch behaupten, die Wasserleitung sei von A. abgeschnitten worden.

Am Mittwoch, den 2. Juni reisten wir in der Frühe von Aleppo ab. Im selben Zug mit uns waren 15 Wagen mit armenischen Waisen des A.L.R.N.E, von Aintab, die unter der Obhut von zwei amerikanischen Damen nach Beirut gebracht werden sollten. Schon einige Tage früher war die 1. Hälfte der Waisen von Aintab spediert worden. – Sie waren etwa 10 Tage früher als abgemacht mit den Franzosen gezogen als ein Proviantzug von Aintab nach Kilis zurückging. Etwa nach 4 Stunden nach Aleppo plötzlicher Halt des Zuges. Die Lokomotive war defekt. Es musste eine solche von Hamma kommen, was eine Verspätung von etwa 4 Stunden verursachte. Sonst kamen wir ohne weiteres Ungemach, nur nach einer furchtbar unkommoden Nacht in Beirut an am frühen Morgen des 5.Juni. Bei Cook erfuhren wir, dass am Samstag ein Schiff (5 Tage Aufenthalt) Konst.-Pyräus-Brindisi nach Venedig fahre. Reise Jaffa-Jerusalem-Ägypten für uns nicht möglich – wegen „protégés allemandes“ eine Ungeschicktheit des holländischen Konsuls in Aleppo. – In B. viele Franzosen, nach Herr Meyer, höchst ungeschickt. Besuch bei Général Gouraud. Er ist einarmig und hinkt. Kriegsinvalider. Empfang eher steif. Er fragte nicht viel nach den Ereignissen in Urfa, als ich nur beiläufig bemerke, auch unser Haus sei ganz zerschossen, que’est-ce-que vous voulez, es sei vielen Franzosen während des Krieges so gegangen in Nordfrankreich. Aber, wenn unser Haus nicht von den Franzosen besetzt gewesen wäre, wenn es nicht einfach von den Engländern an die Franzosen weitergegeben worden wäre, so wäre es nicht so gegangen. Allerdings kann man sich gar nicht vorstellen, wie es dann gewesen wäre. Auch in Beirut wohnten wir bei den A.L.R.N.E, waren aber froh, als wir am Samstag, den 5. Juni, nach einem am 4. im Hotel-Royal mit Herren Meyer. Im Hof und Rüssi verbrachten Abend uns morgens früh in der „Milane“ einschiffen konnten. Sehr nettes Schiff. Am Mittag oder 1 Uhr kamen wir in Tripolis an und ließen uns zu Miss Law, die dort in einem Waisenhaus tätig ist, führen. Heimelige Stunden mit ihr zusammen, dann eine Autofahrt auf einen Hügel über der Stadt mit schöner Aussicht.

Sonntag, 6. Juni. – Alexandretta.

Montag, den 7. Juni. – Mersina, Besuch bei Mr. und Mrs. Wilson. Missionare. Auf einem Kriegsschiff ist der Wali v. Adana als Gefangener der Franzosen.

Dienstag Adalia, italienisch reizende Lage.
Mittwoch Rhodos italienisch.

Wir gehen an Land, sehen die mittelalterlichen Befestigungen, die Rittergasse der Kreuzritter, ein Museum – alles scheint von den Italienern in den letzten Jahren aufs Schönste eingerichtet.

Donnerstag Samos, Freitag – Samstag Smyrna, Markt, Besuch bei Herrn Stussi, der uns hilft, Herrn Avdis ausfindig zu machen. Thee bei Herrn und Frau Avdis. Schöne Fahrt durch die Dardanellen. Ankunft in Konstantinopel am Montag, den 14. Juni.

Nachmittags bei Dr. Pelt im Bible House und dann Fahrt nach Bebek a/Bosporus, von wo wir zum Roberts College und zu Mr. Anderson pilgerten. Da weder er noch seine Frau zu Hause waren, machten wir zuerst einen Spaziergang auf die Hügel mit wunderbarer Aussicht auf Rumeli Hissar und Anatoli Hissar und auf den Bosporus. Dann sehr freundlicher Empfang bei Andersons, die ein herziges Buschi haben und uns zum Nachtessen einladen. Auch sollen wir am Mittwoch zum Commencement des Robert College vorher zum Thee zu ihnen kommen und Miss Smith mitbringen. Um 10 Uhr kamen wir aufs Schiff zurück, wo uns Miss Smith ungeduldig erwartete. In der Aghia Sofia sei ein besonderer islam. Gottesdienst, zu dem Leute mit Karten zugelassen seien, die Amerikaner gehen alle. Wir hatten zwar keine Karten, schmuggelten uns aber zuerst in die Moschee und nachher mit einem Trupp Amerikaner auf die Emporen. Als Andreas angehalten wurde und nach seiner Eintrittskarte gefragt, sagte er, er habe keine, aber die Damen seien schon voraus. Jasik – schade, sagte der Mollah und ließ ihn durch. Es war die Leilei i kadr (nicht of the power), von einer Empore sang oder betet ein Mollah vor, ein anderer antwortete an einer Art Altar. Wunderbar war es, wenn die Betenden in einem Moment sich hinwarfen, sich erhoben, ihre Hände emporhoben. Es ging jeweilen wie Wogen und Rauschen durch den großen Raum. Lange sahen wir zu. Es schien sich immer dasselbe zu wiederholen, nur die Vorbeter wechselten. Einmal war ein Marine-Offizier Führer. Als die Riesenmoschee noch durch die vielen Tausenden von Oellämpchen beleuchtet war, muss es noch wunderbarer gewesen sein, jetzt spärliche elektrische Lampen. Als wir hörten, der Gottesdienst dauere bis am Morgen, entschlossen wir uns, heim, d.h. aufs Schiff zu gehen. Dort können wir 5 Tage wohnen, bekommen aber keine Mahlzeiten.

15. Juni. – Fahrt auf dem Bosporus (Miss Smith, Mr. Weeden). Zuerst bis Büjükdere. Dort Mittagessen und dann Chaisenfahrt nach Gingersuju, einem typischen türkischen Kefort. Dann von Büjükdere mit dem Dampfer weiter, wo wir auf das Genueserschloss steigen. Wunderbare Aussicht auf Bosporus und schwarzes Meer.

16. Juni. – Besuch der Aya Sophia, At Medan, Sulirnanie. Nachmittags nach Robert College. Kurzer Thee und Abschied von Andersons, dann das ziemlich langweilige Commencement der Schule mit Reden in Englisch, Französisch, Armenisch, griechisch, türkisch von Schülern und mit deutscher Musik, gespielt von einer englischen Regimentskapelle.

Donnerstag, den 17.Juni. – Basar, nachmittags ausruhen. Freitag. Reiskräme im Basar. Nachmittags fuhren Andreas und ich mit der Eisenbahn nach „Jedi Kule“ 7 Türme der Stadtmauer am Meer. Dann mit einem Wagen der Stadtmauer entlang bis ans Goldene Hörn. Unterwegs sahen wir in der Vorhalle einer kleinen Moschee, früher eine griechische Kirche, prächtig erhaltene Mosaiken an. Vom Goldenen Horn nahmen wir noch ein Ruderschiffchen und fuhren bis Eyoub. Der Ramasan ist beendigt. Es ist Bairam, das große Fest. Alles ist beflaggt und eine große festliche Menge beim Grab des Heiligen Eyoub. Durch 2 Gucklöcher in einer Mauer sehen auch wir das Grab. Andächtige Moslems verrichten hier ein Gebet. Dann steigen wir hinauf zum Gottesacker von Eyoub und machten ein kurzes Piknik mit Gurken, Brot und einer Büchse amerikanischer Birnen und fuhren dann im Dampfer nach Istambul zurück.

Am Samstag, morgens (19. Juni) mussten wir uns auf dem griechischen Konsulat (weil Nicht-Amerikaner) chicanieren lassen, bis wir wie unsere amerikanischen Reisegenossen endlich das Visum zum Besuch Athens bekamen. Nachher Checkpech. Nachmittags 4 Uhr sollte die Milano abfahren, es wurde über 5 Uhr und fast Nacht bis wir von weiter draußen, wo noch irgend eine Kontrolle war, abfahren durften. Am Sonntag machten wir die Bekanntschaft von Mr. und Mrs. Kelsey. Andreas machte für ersteren einen Bericht über die Ereignisse in Urfa und eine Planskizze. Ich verweigere die Auslieferung der Erklärung des Mutesarifs von Urfa (Szene Montag Morgen).

21. Juni kamen wir statt in aller Frühe erst nach 8 Uhr in Pyräus an. – Schließlich nach Absolvierung der Quarantäne und Passformalitäten blieben uns 1 l/2 Stunden bis die Milano weiterfahren sollte. In einem Auto rasten wir mit Mr. Waller und Miss Smith zur Akropolis, wo uns kaum 1/2 Stunde zur Besichtigung gegönnt war. Aber doch war es die große Ausgabe wert. Am Nachmittag fuhren wir durch den Kanal von Korinth, d.h, wir wurden von einem Schleppdampfer durchgezogen. Kaum 2 Meter breiter war der Kanal auf jeder Seite als das Schiff, manchmal stieß dieses am Bord an. – Da die Milano überbesetzt war, landeten wir weder in ? noch in Corfu und trafen schon Dienstagabend, 22. Juni in Brindisi ein.

Mittwoch, 23. Juni. – Heute Morgen früh verließen Miss Smith und Mr. Weeden das Schiff, um über Neapel – Rom – Venedig – Paris nach Amerika zu reisen. Auch Mr. und Mrs. Samelson mit ihrem 3-jährigen Kindchen mit Keuchhusten nehmen Abschied. Sie sind Juden von Amerika und besuchten die alte Mutter von Mr. S., die in einer jüdischen Kolonie in Haifa wohnt. Seit 2 Stunden sind wir nun unterwegs und hoffen, morgen Abend in Venedig zu sein. Von da möglichst baldige Abreise nach Basel. Wie werden wir Mama treffen und die Kinder? Sind Künzlers wohl auf dem Weg nach Urfa? Schon die Fahrt durch die liebe Schweiz war herrlich. Mama trafen wir allerdings schwer herzleidend, durften sie aber noch bis im Herbst haben, bis sie von ihrem Leiden erlöst wurde. Künzlers waren aus unserm Haus an der Schönbeinstraße fort, und wahrscheinlich schon in Urfa. Andres Sohn, ca. 8-jährig und die 3 Töchterchen waren alle in den Sommerferien, Andresli in Schöntal und die Maileli auf dem St. Romey mit den lieben Onkeln und Tanten, die sie so lieb betreut hatten in unserer Abwesenheit. Für Vater Andreas war ich so froh, dass er sich mit seiner zarten Gesundheit erholen konnte und nach der Überanstrengung des letzten Jahres. Schon vor dem l. Weltkrieg hatte mir ein amerikanischer Arzt gesagt, die große Arbeit in Urfa sollte er nicht machen. Doch Vater wollte nichts hören, er liebte diese Arbeit so sehr und wollte den Armeniern helfen und eben auch Türken, Arabern und Kurden, so viele zu ihm kamen. Nun war aber für eine Wiederaufnahme der Arbeit in der Türkei keine Rede mehr, denn wenige Wochen nach unserer Rückreise wurden alle Christen von Urfa ausgewiesen und wanderten nach Beirut aus oder nach Sowjet-Armenien.