Täterverehrung: Cemal Pascha (Ahmet Cemal)
(6. Mai 1872, Midilli/Insel Lesbos, heute Griechenland – 21. Juli 1922, Tbilissi, Georgien)
Ahmet Cemal Pascha gehörte dem aus den “drei Paschas” gebildeten Triumvirat an, das den Führungskader der Partei Ittihat ve Terakki Cemiyeti bildete. Während seiner Amtszeit als Flottenminister und Befehlshaber der 4. Osmanischen Armee (stationiert in der Provinz Syrien, zu der damals auch der Irak, Libanon und Palästina zählten) hat er veranlasst, dass Kinder, Frauen und junge Mädchen, die den physischen Genozid überlebten, in Waisenhäusern gesammelt und an muslimische Familien weitergereicht wurden. Die Kindeswegnahme bildet einen von fünf Straftatbeständen, die die Genozid-Konvention der Vereinten Nationen als Völkermord wertet. Darüberhinaus ist Cemal als Planer und Ausführer von kulturellem Genozid an Armeniern und anderen im weitesten Sinne anzusehen, namentlich aber durch Entfremdung von Religion, Sprache und kultureller Zugegehörigkeit.
Ahmet Cemal war als Befehlshaber in der osmanischen Provinz Syrien unmittelbar für die Massenhinrichtung von Arabern und die Ermordung von Zionisten verantwortlich, des weiteren für die künstlich herbeigeführte Hungersnot, der im Nahen Osten an die 400.000 Menschen, vor allem im Libanon und Irak, zum Opfer fielen. Seine Untaten brachten ihm unter der arabischen Bevölkerung den Beinamen “es-seffah” (der Blutvergießer) ein. Adolf Böhm, der Historiker der zionistischen Bewegung, schrieb: „Djemal Pascha erhielt (…) die absolute Kommandogewalt im Lande. Sein Ziel war die Ottomanisierung aller Provinzen und die Ausrottung der fremden Untertanen. Djemal war ein Mann der absoluten Willkür, der nach Laune über Tod und Leben urteilte, Verordnungen erließ und wieder umstieß und meist alles ohne sachkundige Berater allein entschied. Er erließ zunächst ein Verbot aller Bodenverkäufe und Übertragungen von Boden durch Ottomanen an nichtottomanische Juden. Er verfolgte die arabischen Führer als verdächtig und die Zionisten als revolutionär. (…) Wäre Palästina nicht Ende 1917 durch die Engländer befreit worden, der jüdische Jischub wäre durch Djemal ausgerottet worden. Er war nach Kriegsende auf die Hälfte des Standes von 1914, auf 55.000 Seelen gesunken. (…)“ (1)
Der deutsche Turkologe Hilmar Kaiser gelangte 2010 zu einer positiveren Beurteilung sowohl Cemals, als auch der Provinzgouverneure von Aleppo, Celal und Bekir Sami. (2)
Noch vor Kaiser stellte dagegen der französisch-armenische Historiker R. Kévorkian fest, dass keine Hinweise vorlägen, wonach Cemal sich der jungtürkischen Politik der ethnischen Homogenisierung oder der Armeniervernichtung aus grundsätzlichen Erwägungen entgegengestellt habe. Allerdings scheint er einen Staatsstreich gegen das jungtürkische Regime und seine Mit-Triumvire Enver sowie Talaat geplant zu haben, mit dem Ziel, unter Zustimmung der Entente zum Sultan über Syrien, Palästina, Mesopotamien, Arabien, Armenien nebst Kilikien und Kurdistan ernannt zu werden. Laut französischen Archivquellen versprach er dafür Maßnahmen zur Rettung der Deportierten in seinem Amtsbereich. Dem armenischen Patriarchen Sawen Ter Jeriajan zufolge verrichtete Cemal quasi nur „Dienst nach Vorschrift“, d.h., er führte den Befehl des osmanischen Ministerrats zur Entfernung der Armenier aus den Frontgebieten zwar aus, nicht aber den vom jungtürkischen Komitee gefassten sowie vom Innenministerium ausgeführten Befehl zur Vernichtung der Deportierten. Es gelang Cemal des Weiteren, die Tötung der armenischen Arbeiter an der Amanusbahn (Herbst 1915-Frühjahr 1916) zu verhindern bzw. zu verzögern, nicht etwa aus Gewissensgründen, sondern aus reinem Eigennutz, den vor allem der russische Armenier und Mitglied der Partei Daschnakzutjun, Dr. Ivan Zavriev, zur Rettung der nach Mesopotamien Deportierten zu verwenden hoffte. Zavriev vermochte zwar die politische Führung des Zarenreiches zu überzeugen, in diesen Handel um Macht und Menschenleben einzusteigen, doch scheiterte der Plan an der mangelnden Unterstützung der Alliierten Frankreich und Großbritannien, die eigene, untereinander bereits abgesprochene Pläne über die Zukunft des Nahen Ostens verfolgten – siehe das geheime „Sykes-Picot-Abkommen“ – und vor allem keine russische Präsenz in Konstantinopel wünschten. (3) Ab Frühjahr 1916 begann die gezielte „Liquidierung“ der in Cemals Amtsbereich befindlichen Konzentrationslager, deren armenische Insassen bis Oktober 1916 Massakern zum Opfer fielen.
Wie auch die beiden übrigen Paschas, floh Cemal nach der osmanischen Kriegsniederlage ins Ausland und wurde am 5. Juli 1919 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Am 21. Juli 1922 wurde er in Tbilissi von armenischen Rächern erschossen. Sein Leichnam wurde seinem Vermächtnis entsprechend in Erzurum auf dem “Märtyrerfriedhof Karskapi” beigesetzt.
In Tbilissi erinnerte in postsowjetischer Zeit zeitweilig eine zweisprachige Gedenktafel (Georgisch und Türkisch) an die Erschießung Cemals. Sie wurde aber auf Verlangen der armenischen Rergierung entfernt, mit der Begründung, dass sie nicht von den georgischen Behörden genehmigt wurde.
Obwohl Cemal Paschas Hände genauso blutbefleckt waren wie die der übrigen Führer der Partei Ittihat ve Terakki, wurde er durch eine gezielte Verfälschungspolitik “rehabilitiert”. Die kulturelle Entwurzelung, die eine der zentralen Merkmale jeden Genozid darstellt, bescherte ihm ungerechter Weise den Titel des „Retters“ (türk.: Kurtarıcı). Es wird aber am Beispiel Cemals auch deutlich, dass es beim Völkermord an den Armeniern osmanischer Staatsangehörigkeit eine Aufgaben- und Rollenverteilung gab.
Orte, die nach Cemal Pascha benannt wurden:
I. Stadtviertel, das nach Cemal Pascha benannt wurde:
„Cemal Paşa Mahallesi“
- Adana-Seyhan, Gazipaşa
II. Straßen und Gassen, die nach Cemal Pascha benannt wurden:
„Cemal Paşa Caddesi“
- İsparta-Gönen, Kasap Mahallesi
- İstanbul-Esenyurt, Esenkent Mahallesi, Bahçeşehir Semti
- Mersin-Merkez, Cami Şerif Mahallesi / Üçocak Mahallesi
“Cemal Paşa Sokağı”
- İstanbul-Ataşehir, Esatpaşa Mahallesi
Moschee, die nach Cemal Pascha benannt wurde:
“Cemal Paşa Camii”
- Adana-Pozantı, Merkez
Oberschule, die nach Cemal Pascha benannt wurde:
“Cemalpaşa Lisesi”
- Adana
Grabstätte Cemal Paschas
- Erzurum, Karskapı Şehitliği
Einige Bücher zu Cemal Pascha:
(1) | Adolf Böhm: Die zionistische Bewegung. Bd. 1: Die zionistische Bewegung bis zum Ende des Weltkrieges. 2., erw. Aufl. Tel Aviv: Hozaah Ivrith Co. Ltd., 1935, S. 643 ff. |
(2) | Kaiser, Hilmar: Regional resistance to central government policies: Ahmed Djemal Pasha, the governors of Aleppo, and Armenian deportees in the spring and summer of 1915. „Journal of Genocide Research“, 2010, 3/4, S. 173 -218 |
(3) | Kévorkian, Raymond: The Armenian Genocide: A Complete History. London, New York: I.B. Tauris, (2011), S. 683-685 |