Täterverehrung: Talat Pascha (Mehmet Talat)

(17. August 1874, Edirne – 15. März 1921, Berlin)

Mehmet Talat Pascha war einer der einflussreichsten Politiker der Partei „Komitee für Einheit und Fortschritt“ (türk.: İttihat ve Terakki Cemiyeti). Während seiner Amtszeit als Innenminister (1911, 1913-1918) hat er den Völkermord an den armenischen Bürgern des Osmanischen Reiches maßgeblich initiiert, geplant und organisiert.

Seine handschriftlich geführten persönlichen Notizen geben einen beachtlichen Einblick in die Dimension dieses Genozids.

Nachdem Talat Pascha unmittelbar nach der osmanischen Niederlage auf einem deutschen Kriegsschiff aus seiner Heimat flüchten konnte und im Dezember 1918 in Berlin eingetroffen war, wurde er am 5. Juli 1919 von einem osmanischen Kriegs-Sondergerichtshof – zusammen mit Ismael Enver, Cemal und Dr. Nazιm – in Abwesenheit zum Tode verurteilt, unter anderem wegen der Planung und Durchführung von Massakern in Trapesunt, Yozgat und Boğazliyan.

Das zweifache Auslieferungsbegehren der osmanischen Regierung wies das deutsche Außenministerium, das die wahre Identität des hochrangigen Flüchtlings “Mehmed Sâi Bey” kannte, ab. Am 15. März 1921 wurde Talat in Berlin-Charlottenburg von einem armenischen Rächer, Soromon Tehlerjan, erschossen und im Keller des Friedhofs der evangelischen Matthäikirche “zwischengelagert”, da sich der Islamische Friedhof Berlins zu diesem Zeitpunkt auf Anordnung des panislamischen, von Talat 1920 gegründeten “Orientclubs” im Umbau befand. Dazu gehörte auch die Errichtung eines kleinen Gebäudes, in dessen Keller Talats Sarg 1922 verlegt wurde.

Am 24. April 1922 wurden dort auch die Särge von Talats politischen Freunden Cemal Azmi und Bahaddin Şakir abgestellt, bis zum 09. Mai 1930. “Die kemalistische Türkei hatte bis dahin keinerlei Interesse gezeigt, die toten Jungtürken in die Heimat überführen zu lassen, so dass ihre Särge, bedeckt mit der türkischen Flagge, aber ohne religiöse Zeremonie und sonstiges Aufsehen an diesem Tag, dem ‘Id al-Fitr, auf dem islamischen Friedhof eingegraben wurden. Die Gräber gerieten offenbar rasch in Vergessenheit, denn am 20. November 1933 notierte der deutsche Außenminister Konstantin von Neurath (1873-1956), der türkische Botschafter habe ihn gebeten, das Grab Talats, das völlig verwahrlost sei, in einen würdigen Zustand mit einem Gedenkstein zu versetzen.’ Das ist wohl geschehen, denn eine Quelle erwähnt 1941 ein dunkles ‘Marmordenkmal’, unter dem der Großwesir jetzt ruhe. Ob die Grabsteine für seine beiden Gefährten ebenfalls damals entstanden, ist unbekannt. Während sie noch heute dort zu sehen sind, ist Talats Grab verschwunden – sein Sarg wurde am 20. Februar 1943, nachdem er ausgegraben und erneut aufgebahrt worden war, in einem Schnellzug nach Istanbul gebracht, wo er fünf Tage später in einem Staatsbegräbnis” (1) auf dem Ehrenfriedhof „Denkmal der Freiheit“ (türk.: Abide-i Hürriyet) am „Hügel der Ewigen Freiheit“ (türk.: Hürriyet-i Ebediyye Tepesi) im Istanbuler Stadtteil Şişli beigesetzt wurde, einem zu Anfang des 20. Jahrhunderts überwiegend von Christen (Armenier und Griechen) sowie Juden bewohnten und geprägten Stadtteil.

Beisetzung Talats auf dem Berliner Matthäi-Kirchhof (19. März 1921)
Beisetzung Talats auf dem Berliner Matthäi-Kirchhof (19. März 1921)

Quelle: Gerhard Höpp: Bestattung von Muslimen in Berlin (1996, S. 36)

aus der Internet-Seite des Gouverneurs von Istanbul-Şişli:
Großwesir Talat Pascha
Datum ist der 15. März 1921. Ort: Berlin. Der Ittihat-Führer Talat Pascha, der nach dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland gehen musste, verließ in den Morgenstunden seine Wohnung, um sich Tabak zu kaufen. Er war gerade 100 Meter auf der Hardenberg-Straße gelaufen, als er von dem 24jährigen, aus dem Iran stammenden armenischen Terroristen Sogomon Tayleryan angeschossen wurde und starb. Man fand einen falschen Ausweis bei ihm, der auf den Namen „Mehmed Sai“ ausgestellt war. Der Leichnam Talat Paschas konnte jahrelang nicht in die Türkei überführt werden. Jahrelang befand er sich herrenlos auf einem kirchlichen Friedhof. Adolf Hitler hat ihn in der Absicht der Stärkung türkisch-deutscher Beziehungen in einer freundlichen Geste am 25. Februar in die Türkei geschickt. Talat Pascha wurde nach militärischem Zeremoniell in 50 Meter Entfernung rechts zum Denkmal der Ewigen Freiheit beigesetzt.“

Grabstätte Talat Paschas auf dem Istanbuler Ehrenfriedhof – 1943 und im heutigen Zustand

Talats Witwe Hayriye, die nach dem Tod ihres Ehemannes in die Türkei zurückkehrte, erhielt dort nach dem 1926 verabschiedeten Sondergesetz eine lebenslange Rente sowie eine Wohung, die aus dem staatlich konfiszierten Besitz des Armeniers Aram Findikliyan stammte.

Talat Pascha wird im Zuge einer generationenübergreifenden Politik der Leugnung und Verfälschung heute als ehrenwerter und verehrungswürdiger Staatsmann dargestellt. Es wird versucht, ihn als Politiker seiner Zeit von seinen Schandtaten zu bereinigen. Die 2005 gegründete nationalistische Organisation „Talat Paşa Komitesi“, die sich die systematische Verbreitung der Leugnung des Völkermords an den Armeniern zum Ziel setzt, hat die Grabehrung Talat Paschas am Tag seiner Ermordung zur Tradition gemacht. Obwohl er seit fast 70 Jahren nicht mehr in Berlin liegt, wird seiner durch das besagte Komitee auch in dieser Stadt alljährlich enthusiastisch gedacht. Der in Berlin um den Hauptverantwortlichen für den Genozid an Armeniern und anderen Christen betriebene gegenwärtige Kult gilt in der Türkei als vorbildlich:

„Wir hatten Angst, seiner in Trabzon zu gedenken, aber in Berlin hat man ihn nicht vergessen.“ „Medya Trabzon“, 23.04.2009

Berlin, „Talat Pascha Offensive“ („Großprojekt“) 2006: Teilnehmer der Aktion „Nimm Deine Fahne und eile nach Berlin!“ haben den Anzeigen in europäischen Ausgaben vieler türkischer Zeitungen folgend, durch Slogans und Transparente ihre eigentliche Absicht gezeigt, den Völkermord zu leugnen.

https://www.hurriyet.com.tr/gundem/bayragini-al-berlin-e-kos-4064963

 „Wir gedenken mit Hochachtung Talat Paschas, der die Voraussetzungen zum Sieg im Befreiungskrieg schuf.“ 90. Jahrestag seiner Ermordung. Komitee Talat Pascha.

Einige Bücher über Talat Pascha:

Orte, die nach Talat Pascha benannt sind

I. Stadtviertel, die nach Talat Pascha benannt sind:

“Talat Paşa Mahallesi / Talatpaşa Mahallesi”

  1. Edirne-Merkez, Balıkpazarı
  2. İstanbul-Esenyurt, Saadetdere
  3. İstanbul-Kağıthane, Gültepe
  4. İstanbul-Okmeydanı
  5. İzmir-Bergama
  6. Kayseri-Kocasinan, Argıncık
  7. Tekirdağ-Çorlu, Şeyh Sinan

II. Straßen, Boulevards, Alleen und Gassen, die nach Talat Pascha benannt sind:

“Talat Paşa Caddesi” / “Talatpaşa Caddesi”

  1. Ankara-Polatlı, Merkez, Fatih Mahallesi
  2. Balıkesir-Ayvalık
  3. Bursa-Orhangazi, Merkez, Hürriyet Mahallesi
  4. Edirne-Merkez, İstasyon Mahallesi
  5. İstanbul-Arnavutköy
  6. İstanbul-Avcılar, Ambarlı Semti / Cihangir Mahallesi
  7. Istanbul-Bahçelievler
  8. İstanbul-Beşiktaş, Levent Mahallesi
  9. İstanbul-Büyükçekmece
  10. İstanbul-Esenyurt, Esenkent, Bahçeşehir Semti
  11. İstanbul-Güngören
  12. İstanbul-Kağıthane, Harmantepe Mahallesi
  13. İstanbul-Maltepe, Cevizli Mahallesi
  14. İstanbul-Sarıyer, Yeniköy Mahallesi
  15. İstanbul-Şişli, Zincirliklikuyu, Esentepe Semti
  16. İstanbul-Ümraniye, Esenevler Mahallesi
  17. İzmir-Alsancak / Konak
  18. Konya-Sarayönü
  19. Sakarya-Pamukova, Cumhuriyet Mahallesi
  20. Tekirdağ-Çorlu, Şeyh Sinan Mahallesi
  21. Yozgat-Yerköy, Merkez

„Talat Paşa Sokağı” / “Talatpaşa Sokağı” / “Talat Paşa Sokak” / “Talatpaşa Sokak”

  1. İstanbul-Güngören, Merkez Mahallesi
  2. İstanbul-Maltepe, Cevizli / Küçükyalı
  3. İstanbul-Üsküdar, Burhaniye
  4. Eskişehir-Tepebaşı, Eskibağlar Mahallesi
  5. Muğla-Marmaris
  6. Tekirdağ-Merkez, Aydoğdu mahallesi
  7. Yalova-Merkez, Bahçelievler Mahallesi

“Talat Paşa Bulvarı”

  1. Ankara-Çankaya / Sıhhiye / Ulus / Altındağ / Gündoğdu /Cebeci-Mamak
  2. Edirne-Merkez (aus Europa kommend, der allererste Boulevard!)
  3. İzmir- Konak / Alsancak

“Talatpaşa Çıkmazı”

  1. İstanbul-Fatih
  2. İstanbul-Maltepe, Küçükyalı
  3. İstanbul-Ümraniye, Hekimbaşı

III. Moscheen, die nach Talat Pascha benannt sind:

“Talatpaşa Camii”

  1. Ankara-Dikmen, Gökkuşağı Mahallesi, 8. Sokak, No. 9
  2. İstanbul-Kağıthane, Talatpaşa Mahallesi, Aslangazi Caddesi, No. 22
  3. İstanbul-Maltepe, Cevizli Mahallesi, Talatpaşa Caddesi, No. 22
Talat Pascha-Moschee, Istanbul-Maltepe

IV. Schulen, die nach Talat Pascha benannt sind

Grundschulen:

“Talatpaşa İlköğretim Okulu”

  1. Ankara-Çankaya
  2. İstanbul-Şişli
  3. İzmir-Karşıyaka, Bayraklı
  4. Konya-Ereği
  5. Tekirdağ-Muratlı

 In İstanbul-Şişli wohnen auch gegenwärtig noch zahlreiche armenische Familien.

aus der Zeitung “Birgün”, 14. Februar 2012:
„..Im zweiten Teil unserer Reportage mit Sayat Tekir haben wir über Nor Zartonk, der Vereinigung freiheitlich denkender Armenier, über das Radio Nor, das in neun Sprachen sendet, über das Bild der Türkei in Armenien sowie über das ’Armeniersein’ in der Türkei gesprochen. Sayat Tekir hat die Lage mit einer ’schlagenden’ Anekdote zusammenfassend dargestellt: ’Ich habe einen armenischen Freund, der wählen gehen will. Seine Adresse lautet: Ergenekon-Straße, Türkbeyi-Gasse … Man ruft ihn auf, zur Wahlurne in der Talat-Pascha-Schule zukommen.’“ AHMET MERİÇ ŞENYÜZ/BİRGÜN

Oberschule:

“Talatpaşa Lisesi”

  1. Konya-Ereğli

V. Gebäude, die nach Talat Pascha benannt wurden:

  1. Talat Paşa Apartmanı, İstanbul-Bahçelievler (Privathaus)
  2. Talat Paşa Cafe, İstanbul-Maltepe, Cevizli Mahallesi (Café)
  3. Talat Paşa Sağlık Ocağı, İstanbul-Kağıthane (Ambulatorium)

VI. Organisationen und Projekte, die nach Talat Pascha benannt wurden:

  1. Talat Paşa Komitesi: İstanbul-Taksim, İstiklal Caddesi, Deva Çıkmazı No: 7/2 (Komitee, s.o.)
  2. Talatpaşa Cami Yaptırma ve Yaşatma Derneği: Ankara-Dikmen (Verein für den Bau und Erhalt der Moschee)
  3. İstanbul-Esenyurt Belediyesi Talatpaşa Camii Projesi (Moschee-Projekt)

VII. Grabstätten Talat Paschas:

  1. 1922-1943 Islamischer Friedhof in Berlin, Columbiadamm
  2. ab 25.02.1943: İstanbul-Çağlayan, Abide-i Hürriyet Tepesi

Der Islamische Friedhof in Berlin trägt heute den Namen „Berlin Türk Şehitliği“ (Berliner Märtyrer- Friedhof der Türken). Hier befindet sich ein Obelisk (errichtet 1837) für osmanische Diplomaten mit liegendem Halbmond, der angeblich die ehemalige Grabstelle von Talat Pascha markieren soll.

“Der Hügel der Ewigen Freiheit” (türk.: Hürriyet-i Ebediyye Tepesi), der wegen des Denkmals auch “Hügel des Denkmals der Freiheit” (türk.: Abide-i Hürriyet Tepesi) genannt wird, befindet sich im Stadtteil Çağlayan in İstanbul-Şişli. Der Ehrenfriedhof wurde zum Andenken der während der “alttürkischen” Revolte am 31. März 1325 (Rumi-Zeitrechnung = 13.04.1909 unserer Zeitrechnung) verstorbenen Staatsmänner und Soldaten angelegt und später den führenden Politikern der Ittihat ve Terakki zur Verfügung gestellt. Die Grabstätten der Paschas Midhat, Talat sowie Enver sind dort die bekanntesten, sie werden rege besucht.

Das Denkmal 1909 und heute

Symbol der Stadtverwaltung Şişli

Die Residenz des Talat Pascha

Die Residenz des Talat Pascha (Talat Paşa Konağı), befindet sich in İstanbul-Sultanahmet. Nach einer langen und umfangreichen Restauration wurde das Gebäude im Mai 2011 durch den Bürgermeister von Istanbul, Kadir Topbaş, dem Internationalen Verbund der Stadtverwaltungen im Mittleren Osten und Westasien (türk.: Birleşmiş Kentler ve Yerel Yönetimler Ortadoğu ve Batı Asya Bölge Teşkilatı UCLG – MEWA) zur Verfügüng gestellt.

Talat Paşa Konağı
İstanbul-Sultanahmet, Yerebatan Caddesi 2

(1) Höpp, Gerhard: Bestattung von Muslimen in Berlin. In: Höpp, Gerhard; Jonker, Gerdien (Hg.): In fremder Erde: Zur Geschichte und Gegenwart der islamischen Bestattung in Deutschland. (Berlin: Das Arabische Buch, 1996), S. 25