Nach der klassischen Transrapid-Rede des damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber sorgt nun eine andere Politikerin aus Bayern für eine Lachnummer. Oder sollten wir eher weinen?

Claudia Roth gefällt laut eigenem öffentlichen Bekenntnis an ihrer „zweiten Heimat“, der Türkei, einfach alles: die Menschen, Sonne, Mond und Sterne, Wind und Wasser, Hinz und Kunz, Meze, Börek und Kichererbsen, aber auch die Konflikte der Türkei. Davon ist vermutlich noch lange und oft etwas zu haben. Nur Claudias Wunsch, mit den „Freunden“ ihres „Freundes Hirant“ (gemeint ist Hrant Dink) für die Demokratisierung ihrer „Freundin Türkei“ zu kämpfen, kommt zu spät: Hrant Dink ist seit dem 19. Januar 2007 tot, sein Sohn und dessen Familie mussten aus ihrer Heimat flüchten, um nicht ebenfalls ermordet zu werden. Denn Armeniern und anderen Christen ist es nicht ohne weiteres vergönnt, die Freuden der Türkei zu genießen. Nicht-türkische Identitäten erträgt die Bevölkerungsmehrheit nun mal nicht. Das bestätigte eine so eben veröffentlichte Umfrage der Istanbuler Bosporus-Universität und des „Open Society Institute“. Sie erbrachte, dass 42 Prozent der Respondenten von nicht-türkischen Staatsangehörigen der Türkei fordern, die türkische Identität anzunehmen. Nur 29 Prozent sind bereit zu akzeptieren, dass Nicht-Türken ihre eigene Sprache sprechen und ihre Kultur pflegen dürfen – alles Rechte, die die türkische Diplomatie für Auslandstürken als selbstverständlich einfordert.

Der Bremer Publizist Dr. Jochen Mangelsen hat Frau Roth aus Anlass ihres Begeisterungsausbruchs einen Offenen Brief geschrieben:

Verehrte Claudia Roth,

das Schöne an des Menschen Liebe ist, dass sie uns manchmal blind macht und uns so davor bewahrt, uns mit lästigen Nebensächlichkeiten herum quälen müssen. Ihre wunderbar wundersame – und über die Medien verbreitete – Liebeserklärung an die Türken und an die Türkei hat mich gerührt, weil wir es ja sonst nicht gewöhnt sind, dass unsere Politiker ihre Gefühlswelt so freimütig offen legen. Besonders schön, dass Sie neben dem Kichererbsenpüree auch Ihren „Freund Hrant“ (i. e. Hrant Dink) in Ihr blumiges Bekenntnis aufgenommen haben: Er kann sich Ihrer Liebesbezeugung nun schier gar nicht mehr erwehren, weil er ja leider vor in paar Monaten Opfer eines Ehrenmords türkischer Nationalisten geworden ist. Sie lieben die „Konflikte“ in der Türkei, da schließen sie sicher die Polizei mit ein, die den Mörder als Helden gefeiert hat? Ihr „Freund Hrant“ musste sterben, weil er Armenier war und weil er darauf hoffte, dass es nach Jahrzehnten tiefer Dunkelheit eine Versöhnung beider Völker auf der Grundlage von Respekt und Anerkennung geben könnte, weil er die – auch von Ihnen in aller Liebe bevorzugte – Politik des Verdrängens und Verschweigens nicht länger mitmachen wollte. Ihre wunderbare Liebe ist in 20 Jahren fröhlicher Türkeipolitik gewachsen und hat sich tief in Ihrem Herzen verwurzelt. So tief, dass Sie, strahlend wie immer, über ein paar Lappalien gern hinweg sehen: Anderthalb Millionen ermordeter Armenier? Egal. Griechen vertrieben? Egal. 92 Jahre Völkermordlüge? Egal. Verfolgung und Erniedrigung der Kurden? Egal. Aramäer auf der Flucht? Egal. Folter? Egal. Schikanierte Christen? Egal. Dominanz des Militärs? Egal. Zypern? Egal. Eine sexistische Tanzperformance in der Heilig Kreuz Kirche von Achtamar?* Egal. Börek? Nicht egal – das Börek knuspert in Ihrem Backofen vor sich hin, und wenn Sie uns irgendwann einmal Ihr Lieblingsrezept schicken, wird es auch unsere Mägen wärmen und unsere Herzen lodern lassen.

Guten Appetit
wünscht Jochen Mangelsen
(Publizist, Bremen)

*Was meinen Sie, wie würden die Muslime in aller Welt reagieren, wenn Sie einen wollüstigen Paarungstanz in der – sagen wir mal – Bremer Fatih-Moschee vollführten und ein solches feinsinniges Dokument ins Netz stellten?