Wie die türkische Zeitung „Radikal“ berichtet, werden Christen in einem staatlichen Schulgeschichtsbuch als „Landesverräter“ beschrieben, die aus wirtschaftlichen Gründen aus der Türkei ausgewandert und im Westen „zum Werkzeug der politischen und religiösen Interessen der dortigen Länder“ geworden seien. Dadurch werde die Feindschaft gegen die christliche Minderheit weiter vertieft.

Schon 2003 hatte eine türkische Bürgerinitiative „Baris için Tarih“ („Geschichte für den Frieden“) aus Anlass eines Ministererlasses auf das Problem ethnischer und religiöser Hetze in offiziellen Lehrbüchern aufmerksam gemacht:

„In den Schulbüchern, die das erwähnte Rundschreiben [des Erziehungsministeriums] vorschreibt, werden Armenier, Griechen und Syrer als Feinde dargestellt. Unsere Untersuchungs- und Beobachtungsgruppe weist darauf hin, dass in den neu verfassten Schulbuchabschnitten Armenier, Pontos-Griechen und Syrer wiederholt als ‘Feinde’, ‘Spione’, ‘Verräter’ und ‘Barbaren’ bezeichnet werden. Synagogen, Kirchen sowie Schulen von Minderheiten werden als ‘schädliche Gemeinden’ bezeichnet. Die Institution Kirche wird mit ‘Terror’ gleichgesetzt.“

2004 gelangte der Wissenschaftler Dr. Wolfgang Reiss (Universität Rostock und Nürnberg) in einer vergleichenden Fünf-Länder-Studie hinsichtlich der Türkei zu ähnlichen Ergebnissen:

„Die teils inhaltlich falsche Darstellung folgt dem traditionellen islamischen Standpunkt. Die Geschichte der indigenen Christenheit fehlt und wird missachtet. Weder griechische, armenische noch syrisch-orthodoxe Christen, die für Jahrhunderte die Bevölkerungsmehrheit gebildet haben und in dieser Region seit Beginn des Christentums bis ins 20. Jahrhundert gelebt haben, werden erwähnt. Das Christentum erscheint als ein europäisches bzw. ein archäologisches Phänomen.“ [1]

[1] Reiss, Wolfram: Education for religious tolerance in the Middle East: Main conclusions and findings of a German research project on school textbooks in the Middle East. Oslo, September 2004, S. 4A

Es ist bedenklich, dass auch sieben bis acht Jahre nach diesen begründeten Kritiken keine Besserung erfolgt ist und Jugendliche in der Türkei noch immer im offiziellen Schulunterricht zu religiösen und ethnischen Vorurteilen herangezogen werden. Die Wahrnehmung der indigenen Christen als landesfremd oder als „innere Tumore“, „innere Feinde“ etc. reicht bis zur Machtergreifung durch die Nationalistenpartei „Einheit und Fortschritt“ (Ittihat ve Terakki) zurück und war wesentlich dafür verantwortlich, gegen diese vermeintliche Bedrohung genozidal vorzugehen.