Zum vierten Mal kassierte das Berufungsgericht den Freispruch einer Vorinstanz. Das jüngste Opfer dieser Gesinnungs- und Rachejustiz ist der international bekannte Kölner Schriftsteller und Menschenrechtler Doğan Akhanlı, den das Berufungsgericht in Ankara jetzt zu lebenslanger Haft verurteilt hat. Zu den vorherigen Opfern dieser Justiz gehörte D. Akhanlıs Kollegin, die Autorin und Menschenrechtlerin Pinar Selek.

Für D. Akhanlı, der buchstäblich im türkisch-armenisch-deutschen Spannungsfeld menschenrechtlich unterwegs ist, kommt dieses Urteil einem Einreiseverbot gleich.

Wer gedacht hat, dass nationalistisch getriebene Juristen in der „postnationalistischen“ Türkei unter der Regierung des Neo-Osmanisten Erdoğan nichts mehr zu bestellen hätten, sieht sich erneut getäuscht.


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Presseerklärung  | 17. April 2013

Ein Un-Rechtsspruch, süßer als Baklava Revisionsgericht will Dogan Akhanli lebenslang verurteilt wissen

Im 12. Oktober 2011 wurde der türkischstämmige Schriftsteller und deutsche Staatsbürger Dogan Akhanli von einem Istanbuler Gericht vom Vorwurf eines Raubüberfalls und eines Raubmordes freigesprochen, den er im Oktober 1989 begangen haben sollte. Der Protest der demokratischen Öffentlichkeit in Deutschland, der Türkei und in anderen Ländern hatte diesem Spruch ins Leben verholfen - die absurde Konstruktion des Staatsanwaltes, der ohne jeden Beweis einen kritischen Intellektuellen hinter Gittern bringen wollte, war damit wie ein Kartenhaus zusammengefallen.

Doch ein echter Gesinnungsrächer gibt nicht auf. Und tatsächlich erreichte der im damaligen Strafverfahren unterlegene Staatsanwalt eine Aufhebung des Freispruchs. Vor wenigen Tagen wurde das entsprechende Urteil des Kassationsgericht in Ankara veröffentlicht. Parallelen zur mittlerweile vierten Aufhebung dieses Revisionsgerichts von vier vorangegangenen Freisprüchen, die die türkische Menschenrechtlerin und Autorin Pinar Selek erreicht hatte, drängen sich auf.

Die an Rechtsbeugung nicht arme türkische Justiz ist damit um einen Skandal reicher. Das Revisionsgericht erklärte nämlich - kurz gesagt - die beachtlichen Bemühungen des Istanbuler Gerichts um konkrete Wahrheitsfindung für uninteressant, unbedeutend und am eigentlichen Ziel vorbei. Und dieses Ziel heißt: der Gesinnungsjustiz, für die schon der Staatsanwalt im Istanbuler Verfahren seine Lanze brach, einen Erfolg verschaffen.

Das Istanbuler Strafgericht hatte jedoch in seiner ersten Verhandlung am 8. Dezember 2010 die von der Staatsanwaltschaft ins Feld geführten Belastungszeugen mündlich vernommen und sich nicht auf die polizeilichen Vernehmungsprotokolle von 1989 verlassen. Ein Grundsatz jeder demokratischen Rechtsfindung, für die die mündliche Zeugenaussage vor Gericht ausschlaggebend ist. In dieser Gerichtsverhandlung wurden zahlreiche Widersprüche und Unstimmigkeiten in den damaligen Vernehmungsprotokollen aufgedeckt. Das Gericht akzeptierte schließlich die Aussagen sämtlicher Zeugen, ihnen seien frühere Beschuldigungen gegen Dogan Akhanli in den Mund gelegt, untergeschoben oder durch Folter abgepresst worden.

Das Revisionsgericht verkündet nun, für seine "Rechtsfindung" seien allein die polizeilichen Vernehmungsprotokolle von Belang. Die entlastenden mündlichen Zeugenaussagen vor dem Istanbuler Strafgericht wischten die Revisionsrichter vom Tisch: Sie hätten "kein Gewicht" und würden "im Kern nicht greifen". Warum, das bleibt ihr Geheimnis. Denn zu einer konkreten Begründung für ihre Missachtung der Akhanli entlastenden Zeugenaussagen vom 8.12. 2010 ließen sie sich in ihrem nur sechsseitigen Urteilsspruch nicht herab.

Es sei denn, man würde als hinreichend erachten, was sie über Dogan Akhanli selbst schreiben. Weil er dem Untergrund-Widerstand während der türkischen Militärdiktatur angehört habe, sei ihm auch die Tat am 20. Oktober 1989 zuzutrauen. Diesen Umstand habe das Istanbuler Strafgericht nicht genügend "gewürdigt". Deshalb sei der Freispruch "rechtswidrig". Das ist blanke Gesinnungsjustiz und schmeckt überdies nach dem bitteren Prinzip der Verlierer, dass ihnen, wenn schon nicht der Sieg, so doch die Rache süß sei.

(Albrecht Kieser)
Für den Vereinsvorstand
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