Manchmal muss man Danke sagen! Der AGA-Vorstands bedankt sich bei Heiko Maas, dass die deutsche Botschaft Baku sich nicht an der Propagandafahrt in das aserbaidschanisch besetzte Schuschi beteiligt hat und bittet um einen aktiven deutschen Einsatz für eine dauerhafte Friedenslösung in und um Arzach (Berg-Karabach) auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker.

Berlin, den 19.07.2021

An den
Außenminister der Bundesrepublik Deutschland
Herrn Heiko Maas
Auswärtiges Amt
11013 Berlin

Sehr geehrter Herr Außenminister Maas,

am 9. Und 10. Juli diesen Jahres lud der aserbaidschanische Autokrat Ilham Alijew die in Baku akkreditierten Diplomaten zu einer Propagandatour in die im vorigen Herbst „befreite“ historische Hauptstadt Berg-Karabachs (armenisch: Arzach) ein, um zu demonstrieren, dass Schuschi eine aserbaidschanische (Kultur)Stadt sei und der Konflikt um und in Arzach dauerhaft gelöst. Es sei daran erinnert, dass die armenischen Städte Schuschi und Hadrut inner-halb des einstigen Autonomen Gebiets Berg-Karabach (1923-1990) lagen.

Die Russländische Föderation, Frankreich sowie die USA folgten Alijews Einladung nicht, da sie die Ko-Vorsitzenden der Minsker Gruppe der OSZE bilden. Diese ist zurecht davon überzeugt, dass der Karabach-Konflikt aktuell weniger denn je gelöst ist.

Auch deutsche Politiker und Diplomaten sind Alijews Einladung nicht gefolgt, da Deutschland zu den 13 Mitglieds-staaten der Minsker Gruppe zählt.

Unsere Menschenrechtsorganisation erwartet nun, dass Deutschland mehr Engagement und Initiative zur Konfliktbeilegung zeigt. Wir erinnern daran, dass Deutschland im Ersten Weltkrieg der wichtigste Kriegsverbündete des Osmanischen Reiches war und die deutsche Regierung Mitwisserin und teilweise Nutznießerin der Vernichtung der armenischen Bevölkerung. Es hat über einhundert Jahre gedauert, bis der bundesdeutsche Gesetzgeber 2016 die damaligen Verbrechen als Genozid im Sinne der UN-Genozidkonvention qualifizierte.

Aktuell ist das armenische Volk in dem letzten ihm verbliebenen Siedlungsgebiet, im Südkaukasus, erneut existenziell bedroht, wobei sich neben dem NATO-Partnerland Türkei vor allem Aserbaidschan als Bedrohung zeigt. Türkei und Aserbaidschan verfolgen, wie schon 1918, mit militärischen Mitteln pantürkische Ziele in der Region. Gegen die nur 150.000 Menschen zählende armenische Bevölkerung Arzachs brachten sie 2020 israelische und türkische Angriffs- und Beobachterdrohnen zum Einsatz, völkerrechtswidrig Streu- und Phosphorbomben. Die Türkei verfrachtete an die 4.000 syrische Dschihadisten aus dem Afrin-Gebiet als Söldner nach Aserbaidschan, und auch afghanische und pakistanische Freiwillige kamen auf aserbaidschanischer Seite zum Einsatz. Binnen 44 Tagen starben 5.000 armenische Zivilisten und Soldaten, 10.000 weitere wurden schwer verletzt. Die mühsam aufgebaute Infrastruktur Arzachs , darunter Krankenhäuser, Schule und Kirchen, wurde zerstört, über 80.000 Armenier flüchteten.

Dank der Vermittlung der Russländischen Föderation wurden zwar die Kampfhandlungen gestoppt, aber der aus dem ungeklärten Status von Arzach entspringende Konflikt ist damit keineswegs beigelegt. Obwohl russländische Friedenstruppen in Arzach stationiert sind, terrorisiert das Alijew-Regime weiterhin die armenische Bevölkerung, damit sie die Region verlässt bzw. nicht dorthin zurückkehrt. Mehrere Ortschaften in Grenzgebieten der Republik Armenien wurden von aserbaidschanischen Streitkräften okkupiert. Auch rhetorisch erhebt Alijew Anspruch auf armenisches Staatsgebiet, insbesondere auf die südöstliche Verwaltungseinheit Sjunik, um die einstmals armenische Region Nachitschewan – seit 1923 eine Exklave (Sowjet)Aserbaidschans – bequemer an Aserbaidschan anzuschließen und den auch von der Türkei gewünschten Zugang zu Aserbaidschan zu sichern. Darüber hinaus beansprucht Alijew die armenische Haupt- und Millionenstadt Jerewan sowie den Sewansee, die beide angeblich West-Aserbaidschan darstellen. Auch gegen Aserbaidschans Nachbarländer Georgien und Iran erhebt Aserbaidschan Gebietsansprüche, obwohl ein Staat Aserbaidschan erst 1918 durch Briten und Bolschewiki aus der Taufe gehoben wurde, in Abwehr von schon damals erheblichen pantürkischen Tendenzen.

In offenkundiger Verletzung des Waffenstillstandsabkommens vom 10.11.2020 behandelt Alijew die über 200 armenischen Kriegsgefangenen und Zivilisten als Geiseln, um diese Territorialansprüche zu erpressen. Das trilaterale Waffenstillstandsabkommen sah dagegen die sofortige Freilassung der Kriegsgefangenen „alle gegen alle“ vor. Die noch immer als Geiseln gefangen gehaltenen Armenier wurden und werden systematisch erniedrigt und gefoltert sowie willkürlich zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Es freut uns, dass die Bundestags- und EP-Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktionen, die vom Alijew-Regime bestochen wurden, um dem Regime als Lobbyisten zu dienen, keine wesentliche Rolle mehr spielen können und dass die deutsche Botschaft zu Baku nicht den Okkupanten Alijew unterstützt hat bzw. sich nicht an der Fahrt nach Schuschi im Juli 2021 beteiligte.

Es ist ferner begrüßenswert, dass Sie sich für die Fortsetzung der Tätigkeit der Minsker Gruppe ausgesprochen haben und diese unterstützen wollen. Auch der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, hat unlängst bei einem Besuch in Jerewan die Bemühungen der Minsker Gruppe gewürdigt.

Wir sind fest überzeugt, dass eine gerechte Lösung des Konflikts eine Friedenschance besitzt. Entsprechend der Schlussakte von Helsinki sollte der Karabach-Konflikt bzw. die Statusfrage unter Berücksichtigung des Selbstbestim-mungsrechts der Völker gelöst werden.

Wir hoffen sehr, dass Sie bzw. die Bundesregierung sich in diesem Sinne engagieren werden und danken im Voraus für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

i.a. des Vorstands
Dr. Gerayer Koutcharian

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Arbeitsgruppe Anerkennung – Gegen Genozid, für Völkerverständigung e.V.
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