Der Regierende Bürgermeister von Berlin
Herrn Klaus Wowereit
der-regierende-buergermeister@senatskanzlei.berlin.de

Der Bürgermeister von Berlin-Neukölln
Herrn Heinz Buschkowsky
Bzbm@bezirksamt-neukoelln.de

O F F E N E R B R I E F

KEIN TÄTERKULT IN BERLIN!

Am 17. April 1922 erschossen armenische Rächer in Berlin-Charlottenburg den einstigen Provinzgouverneur Cemal Azmi sowie Dr. med. Bahaddin Şakir, Gründungsmitglied und Mitglied des Zentralkomitees der nationalistischen Partei „Einheit und Fortschritt“ (alias Jungtürken). Beide wurden 1919 in absentia von osmanischen Kriegssondergerichten wegen Massakern und Plünderungen (Art. 170 und 171 des osmanischen Kriegs-Strafgesetzbuches) zum Tode verurteilt. Sie hatten sich zu Kriegsende, ebenso wie andere hochrangige Staatsmänner und Beamte des jungtürkischen Nationalistenregimes, mit deutscher Hilfe ins Ausland absetzen können, viele davon nach Berlin, wo die osmanische Botschaft vergeblich vom deutschen Auswärtigen Amt die Auslieferung der landesflüchtigen Verbrecher forderte. Unter ihnen befand sich auch Mehmet Talat Pascha, der 1915 und 1916 als damaliger Innenminister politisch hauptverantwortlich für die Deportation und Massaker an der armenisch-osmanischen Bevölkerung war.

Bereits am 15. März 1921 von dem Attentäter Soghomon Tehlerjan erschossen, wurde Talat zunächst wie Cemal Azmi und B. Şakir auf dem Islamisch-Türkischen Friedhof am Neuköllner Columbiadamm beigesetzt, im Februar 1943 jedoch zur Wiederbelebung der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft und Freundschaft exhumiert und nach Istanbul überführt.

In der Republik Türkei wurden die osmanischen Kriegsgerichtsurteile gegen Mitglieder des jungtürkischen Kriegskabinetts und andere hochrangige Mitglieder der Partei Einheit und Fortschritt bereits in den 1920er Jahren aufgehoben und die 1919 und 1920 Verurteilten rehabilitiert. Ihre Familienangehörigen erhielten Renten und nach dem Sondergesetz Nr. 882 vom 31.05.1926 Immobilien aus dem beschlagnahmten Besitz zwangsausgebürgerter Armenier. Die 1921 und 1922 erschossenen jungtürkischen Genozidtäter gelten auch offiziell als „nationale Märtyrer“ der Türkei, deren Grabstätten als Kultorte gepflegt werden und deren Namen öffentliche Plätze, Boulevards, Stadtviertel, Schulen und sogar Moscheen in zahlreichen Städten der Türkei tragen.

Dieser bizarre Täterkult erstreckt sich über das Staatsgebiet der Türkei hinaus auf die türkeistämmige Diaspora. Dafür fanden wir sowohl in türkischen Wohnvierteln in ganz Zypern, als auch in Berlin Belege. In Berlin fokussiert der Täterkult auf den besagten Friedhof am Columbiadamm mit den erst 2011 prunkvoll in Marmor restaurierten Gräbern von Cemal Azmi und B. Şakir, wo am Todestag nicht nur dieser beiden, sondern auch des 1943 entfernten Talat Gedenkfeiern stattfinden, zuletzt am 15. März sowie 17. April 2012. Nicht zufällig heißt die mit Mitteln der türkeistämmigen Arbeitnehmerschaft Berlins errichtete Moschee „Şehitlik Camii“ („Märtyrer-Moschee“), zu Ehren der 1921 und 1922 in Berlin erschossenen Völkermordtäter. Eine Webseite in der türkischen Stadt Trabzon betont den Vorbildcharakter des in Berlin gepflegten Täterkults um Talat Pascha: „Wir hatten Angst, seiner in Trabzon zu gedenken, aber in Berlin hat man ihn nicht vergessen.“ („MedyaTrabzon“, 23.04.2009)

Dazu gehört auch, dass öffentlich-rechtliche Körperschaften wie die Humboldt-Universität (am 19. April 2012) oder der Deutsche Gewerkschaftsbund (am 24.04.2011) türkisch-nationalistischen Organisationen wie dem Verein zur Förderung der Ideen Atatürks Berlin-Brandenburg e.V. (ADD) Räume für Veranstaltungen überlassen, auf denen öffentlich der Genozid an den Armeniern geleugnet und die Opfer als Landesverräter verhöhnt werden.

Dem Berliner Senat sowie der Landesregierung ist der Kult um die „Märtyrermoschee“ und auf dem Islamisch-Türkischen Friedhof seit Jahren bekannt. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 04. Mai 2005 erwiderte die Berliner Landesregierung unter anderem: „Der Senat unterstützt Initiativen und Maßnahmen, auch unbequeme Kapitel der Geschichte umfassend aufzuarbeiten und das Wissen darüber zu verbreiten.“

Leider ist es aber dazu bis heute nicht gekommen. Eine Förderung zur Aufarbeitung unbequemer Geschichtsabschnitte des quantitativ wichtigsten Herkunftslandes der Berliner Migrant/Innen oder gar die Verbreitung des Wissens darüber konnten wir bisher nicht feststellen. Im Geschichts-Curriculum Berlins fehlt – im Unterschied zu Brandenburg – die komparative Aufarbeitung und Aufbereitung der Genozide des 20. Jhs. einschließlich der Vernichtung von über drei Millionen Christen im Osmanischen Reich 1912-22. Initiativen aus der Bürgerschaft, die auf die Aufarbeitung und Informationsverbreitung abzielen, fanden bisher nicht die gebotene Unterstützung.

Es kann darum auch nicht verwundern, wenn in diesem Klima wild wuchernder Verehrung von Massenmördern eine zu- statt abnehmende Tendenz zu verzeichnen ist, selbst 90 Jahre nach der Beisetzung von Cemal Azmi, dem „Schlächter“ von Armeniern und Griechen in seinem Amtsbezirk, und von B. Şakir, dem Koordinator des Genozids an den Armeniern.

Wir appellieren darum an Sie, Herr Wowereit, als Regierender Bürgermeister die 2005 in Aussicht gestellte Unterstützung auch de facto vorzunehmen. Darüber hinaus appellieren wir an Sie, Herr Wowereit: Verhindern Sie, dass die Bundeshauptstadt zum straffreien Raum für Genozidleugner wird. Den Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky bitten wir: Verschließen Sie sich nicht länger unserer Bitte um eine konstruktive Lösung zur Beendigung des Kults um Völkermörder! Schweigen ist im Fall von Genozid stets das falsche Signal.

Dieser Aufruf wird unterstützt von:

Armenische Kirchen- und Kulturgemeinde Berlin e.V.
Armenische Gemeinde zu Berlin e.V.

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