Vor einem Monat wurden Arat Dink und Sargis Seropyan, der Sohn und der Geschäftspartner des am 19. Januar 2007 erschossenen armenischen Chefredakteurs der in Istanbul erscheinenden Zeitung „Agos“ zu einem Jahr Haftstrafe wegen angeblicher „Herabwürdigung des Türkentums“ (§301 StGB/Türkei) verurteilt (siehe auch AGA-News vom 22.10.2007). Die Strafe war für den Abdruck eines Interviews des ermordeten Hrant Dink in der von ihm gegründeten „Agos“ verhängt worden. In dem Interview hatte H. Dink auf die Frage des britischen Interviewers den Völkermord an den Armeniern (1915) erwähnt.

Während sich die türkische Justiz schwer mit einer umfassenden Ermittlung gegen die Hintermänner des nationalistischen Anschlags auf Hrant Dink tut, belegte sie seinen Sohn Arat mit genau dem selben Urteil, das zu der Ermordung seines Vaters geführt hatte. Denn zum Zeitpunkt seines Todes waren insgesamt sechs Verfahren nach §301 gegen Hrant Dink anhängig bzw. abgeschlossen. Die mehrfache Verurteilung als „Erniedriger“ eines nebulösen Türkentums hatte zur gesellschaftlich-juristischen Stigmatisierung und damit letztlich zur Ermordung des armenischen Journalisten geführt. Auch sein Sohn und dessen Familie wurden anhaltend mit Drohungen verfolgt – schließlich wird ja in der Türkei nicht energisch und zielstrebig gegen nationalistisch und religiös motivierte Hassredner und Hasstäter vorgegangen.

Arat Dink zog daraus die Konsequenzen und suchte mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Brüssel Zuflucht. Wie es heißt, zunächst für einige Monate. Die Flucht der Dink-Familie hat die Europäische Kommission nicht gehindert, am 6. November ihren regelmäßigen Türkei-Fortschrittsbericht sowie ein Strategiepapier zu verabschieden, die von dem Optimismus getragen werden, dass sich in der Türkei der Reformkurs weiterhin durchsetzt. Als dessen Garant gilt weiterhin die islamistische AKP-Regierung, die sich bisher weder zur Abschaffung des §301, noch zum Schutz der kleinen christlichen Minderheiten bereit fand.

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