Seit dem 12. Dezember 2022 blockiert das Alijew-Regime den Latschin-Korridor Am 15. August 2023 verstarb K. Hovhannisyan, 40 Jahre alt, an Unterernährung. Die mittlerweile achtmonatige Blockade führt zu zunehmender Unterernährung, Fehlgeburten und medizinischen Komplikationen bei den 120.000 Einwohnern Berg-Karabachs.

Bereits am 22. Februar 2023 forderte der Internationale Gerichtshof (IGH) Aserbaidschan auf, alle Maßnahmen zu ergreifen, um einen ungehinderten Personen-, Fahrzeug- und Güterverkehr entlang des Latschin-Korridors in beide Richtungen zu gewährleisten.

Die Blockade Berg-Karabachs hat für alle Einwohner – unter ihnen 30.000 Kinder, 20.000 Senioren, 9.000 Menschen mit Behinderung, 2.000 Schwangere – existentiell bedrohliche Folgen. Die Versorgung mit Säuglingsnahrung ist für die etwa zweitausend Säuglinge unter zwölf Monaten nicht mehr gewährleistet. Darüber hinaus hat sich die Zahl der Früh- und Fehlgeburten verdreifacht.

Seit Mitte Juni hat sich die Situation drastisch verschärft. Infolge von Treibstoffmangel stocken die landwirtschaftliche Produktion und die medizinische Versorgung. Die Wirtschaft ist kollabiert, der Öffentliche Personennahverkehr und Schulunterricht mussten eingestellt werden.

2016 hat der Bundestag in seiner Resolution zur Anerkennung des Genozids an den osmanischen Christen die besondere historische Verantwortung Deutschlands betont. Während des Ersten Weltkriegs war das Deutsche Kaiserreich Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches und daher besonders umfassend über die Vernichtung der Armenier und anderer christlicher Volksgruppen informiert. Dennoch hat die deutsche Staatsführung den Genozid damals stillschweigend hingenommen. Der Bundestag bekannte sich in seinen Resolutionen von 2005 und 2016 ausdrücklich zu seiner historischen Mitverantwortung. 108 Jahre später bleibt die deutsche Staatsführung wiederum untätig angesichts der akuten Bedrohung von Armeniern. Denn inzwischen beziehen die EU und Deutschland Erdöl und Erdgas aus bzw. über Aserbeidschan. Präsident Ilham Alijew macht sich den russischen Angriffskrieg zunutze. Er stillt den Bedarf der EU an fossilen Energieträgern und setzt Erdöl und Erdgas als Druckmittel gegen die europäische Staatengemeinschaft ein.

Die Menschen in Berg-Karabach dürfen nicht zum Spielball von Großmächten und ihrer geostrategischen Machtkämpfe oder energiewirtschaftlichen Eigeninteressen werden. Die Armenier Berg-Karabachs können unter dem Alijew-Regime kein würdevolles und freies Leben führen. Das haben 70 Jahre (sowjet-)aserbaidschanische Herrschaft über Bergkarabach bereits gezeigt. Auch das postsowjetische Aserbaidschan ist kein Rechtsstaat, noch verhält er sich nach den demokratisch-freiheitlichen Prinzipien. Umso dringender ist es, dass Deutschland Rückgrat zeigt und entschlossen handelt. Unsere Verantwortung vor der Geschichte verlangt, dass wir nicht noch einmal tatenlos zuschauen, wie die Menschenrechte der Armenier verletzt werden.

Mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter das Lemkin-Institut für Völkermordprävention, stufen die Blockade als genozidal ein, da die Bevölkerung Berg-Karabachs entweder durch Massenvertreibung oder Massenunterernährung eliminiert werden soll. Auch der ehemalige Chefankläger des internationalen Strafgerichtshofs Luis Moreno Ocampo wertet die Blockade als einen fortlaufenden Genozid.

Wir begrüßen die Aufforderung der deutschen Außenministerin zur Öffnung des Latschin-Korridors. Gleichzeitig ist es uns bewusst, dass das autoritäre Alijew-Regime sich von bloßen Aufforderungen nicht beeindrucken lässt.

Aus diesem Grund rufen wir die Bundesregierung dazu auf,

  • sowohl auf nationaler Ebene als auch in enger Kooperation mit den anderen EU-Mitgliedstaaten entschieden gegen die Latschin-Blockade vorzugehen.
  • Hierfür ist in erster Linie die sofortige Beendigung der Blockade des Latschin-Korridors und die unbehinderte Bewegung von Personen, Fahrzeugen und Gütern erforderlich.
  • Ferner sollte eine internationale Fact Finding Mission in die Region entsandt werden.
  • Falls die Blockade fortgesetzt wird, sollte die Bundesregierung wirksame Sanktionen gegen das autoritäre Alijew-Regime verhängen und sich umgehend für eine internationale Luftbrücke zur Versorgung der Bevölkerung von Bergkarabach einsetzen.
  • Das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung in Berg-Karabach muss eingehalten werden. Die dortige Bevölkerung hat das Recht, in Würde und Freiheit zu leben.

 

Unterzeichnende Verbände und Vereine:

AGIJ – Arbeitsgemeinschaft interkultureller Jugendverbände e.V.

ARI – Jugendverband der Armenier in Deutschland e.V.

Ayande – eine postmigrantische Jugendinitiative der IGD

BDAJ – Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e.V.

BDAS – Bund der Alevitischen Studierenden

JSUD – Jüdische Studierendenunion Deutschland

Pontosgriechische Jugend in Europa

Koordinationsgruppe Armenien der Gesellschaft für bedrohte Völker