Auf einem Treffen des Ministerkomitees des Europa-Rates am 18. Oktober 2023 wurde die Lage im Südkaukasus erörtert und folgende Sellungnahme zu Armenien und Aserbaidschan verabschiedet:
„Die Europäische Union verfolgt weiterhin mit Besorgnis die äußerst schwierige Lage, die sich aus der Massenflucht der Armenier aus Karabach im Anschluss an die Militäroperation Aserbaidschans vom 19. und 20. September und die neun Monate andauernde Blockade des Latschin-Korridors ergibt. Fast die gesamte Bevölkerung von Berg-Karabach, über 100.600 Personen, hat in Armenien Zuflucht gefunden.
Es muss unbedingt sichergestellt werden, dass die humanitäre Hilfe für diejenigen, die in Karabach noch in Not sind, sowie für diejenigen, die das Land verlassen haben, ungehindert fortgesetzt werden kann. Die Europäische Kommission hat letzte Woche ein zusätzliches Paket humanitärer Hilfe in Höhe von 10,45 Mio. EUR angekündigt, das zu den bereits seit 2020 bereitgestellten 20,8 Mio. EUR hinzukommt.
Aserbaidschan muss die Menschenrechte, die Grundfreiheiten und die Sicherheit der Armenier in Karabach gewährleisten, einschließlich ihres Rechts, in ihren Häusern in Würde und ohne Einschüchterung oder Diskriminierung zu leben, sowie die Voraussetzungen für eine freiwillige, sichere, würdige und dauerhafte Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen nach Berg-Karabach unter Achtung ihrer Geschichte, Kultur und Menschenrechte schaffen. Darüber hinaus müssen das kulturelle Erbe und die Eigentumsrechte der lokalen Bevölkerung wirksam geschützt und garantiert werden.
In diesem Zusammenhang erinnern wir daran, dass Aserbaidschan die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am 22. September empfohlenen einstweiligen Maßnahmen einhalten muss, d.h. es muss alle Maßnahmen unterlassen, die zu einer Verletzung seiner Verpflichtungen aus der Konvention, insbesondere Artikel 2 (Recht auf Leben) und Artikel 3 (Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) führen könnten.
Wir haben die öffentlichen Äußerungen von Präsident Alijew zur Kenntnis genommen, wonach er bereit ist, mit den Armeniern in Karabach in Frieden zu leben und ihre Rechte zu wahren. Aserbaidschan hat eine klare Hauptverantwortung für das Schicksal der Bevölkerung. Es müssen greifbare, konkrete und transparente Garantien gegeben werden. Als wichtige vertrauensbildende Maßnahme erwarten wir eine umfassende Amnestie für alle Karabach-Armenier, einschließlich ihrer Vertreter, und die Zurückhaltung aller Seiten in Bezug auf harte Rhetorik.Der internationale Zugang zu Karabach ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, dringend benötigte Hilfe zu leisten und eine unabhängige Überwachung der Lage vor Ort zu gewährleisten. Die Europäische Union hat die beiden jüngsten UN-Besuche zur Kenntnis genommen. Wir loben die Arbeit des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Migration und Flüchtlinge, der die armenischen Behörden bei der Bewältigung dieses massiven Exodus in seinem Hoheitsgebiet unterstützt und ihnen hilft, und sehen der von der Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatović geleiteten Erkundungsmission des Europarates und ihren anschließenden Empfehlungen mit Interesse entgegen.
Die EU bekräftigt ihre Unterstützung für die Souveränität, die Unverletzlichkeit der Grenzen und die territoriale Integrität sowohl Aserbaidschans als auch Armeniens. Wir fordern Aserbaidschan auf, sein unmissverständliches Bekenntnis zur territorialen Integrität Armeniens im Einklang mit der Erklärung von Almaty von 1991 zu bekräftigen.
Die EU setzt sich weiterhin dafür ein, den Dialog zwischen beiden Seiten zu erleichtern, um einen umfassenden und dauerhaften Frieden zum Nutzen aller Bevölkerungsgruppen in der Region zu gewährleisten.“
Die Gesellschaft für bedrohte Völker wandte sich daraufhin mit gleichlautenden Anschreiben an die Außenminister jener Staaten, die diese Stellungnahme initiiert haben bzw. unterstützen (Albanien, Andorra, Bosnien und Herzegovina, Island, Liechtenstein, Monaco, Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen und San Marino):
Ministry for Foreign Affairs, Island
Mr. Bjarni Benediktsson, Minister
Via E-Mail
Göttingen, Oct. 20th 2023
Dear Mr. Benediktsson,
At the meeting of the Committee of Ministers of the Council of Europe held on October 18, 2023, the situation in the South Caucasus was discussed and a statement was adopted by the EU-delegation regarding Armenia and Azerbaijan. Thank you for announcing generous humanitarian aid for the displaced Armenians from Artsakh/Nagorno-Karabakh.
Your statement, however, leaves the impression that the wanton starvation, bombing of Artsakh/Nagorno-Karabakh, including residential areas, and the forced expulsion of its inhabitants, whose homeland the area has been for 2,500 years, never happened. For our human rights organisation it is incomprehensible that you put Armenia and Azerbaijan on the same level in the talks and in the corresponding declaration. Azerbaijan is the perpetrator here, the population of Artsakh / Nagorno Karabakh the victim of the aggressive and genocidal Azerbaijani policy. This has shown that the EU approach of equidistant dialogue has not led to any success. Several EU governments had called for a sensitive reaction towards Azerbaijan. But your statement is far from any criticism of Azerbaijan’s policies.
For our human rights organisation it is incomprehensible why the EU does not take a consistent stance, condemns the genocide and imposes sanctions that affect Azerbaijan so severely that it is clear that further military aggression, for example against the south of Armenia, will not remain without a response. Azerbaijan has flouted all internationally applicable rules and decisions, including those negotiated between the EU and Azerbaijan. If this remains without consequences, Azerbaijani President Aliyev will interpret this as an invitation for further military aggression, which is why we strongly warn against this.
Sarah Reinke,
Head of the Human Rights Desk, Society for Threatened People