Frau Baerbock besucht heute und morgen Armenien und Aserbaidschan. Die Menschenrechtsorganisationen GfbV und AGA appellieren aus diesem Anlass an sie:
Sehr geehrte Frau Außenministerin,
kurz vor Ihrer geplanten Reise in den Südkaukasus möchten wir Sie mit diesem Brief darum bitten, Ihre Gespräche in Armenien und Aserbaidschan zu nutzen, um den Aggressor in Aserbaidschan mit deutlichen Worten zu ermahnen und in Armenien verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Die Menschen in Armenien sind bitter enttäuscht darüber, dass Deutschland der Hungerblockade Aserbaidschans gegen Armenien zehn Monate lang zugesehen hat und dann auch nicht eingeschritten ist, als Aserbaidschan Arzach (Bergkarabach) militärisch angriff und so die Vertreibung von 120.000 Arzach-Armeniern auslöste. Bei dieser Vertreibung wurden nach Angaben des armenischen Außenministeriums 14 Personen gefoltert und 64 Menschen starben. Auch seitdem ist eine von vielen Seiten geforderte entschlossene Reaktion auf dieses Verbrechen ausgeblieben. Deutschland muss nun beweisen, dass seine Solidaritätsbekundungen nicht nur leere Worte sind, um Armenien vor weiteren Angriffen Aserbaidschans zu schützen und verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Nicht nur in Armenien ist der Eindruck entstanden, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit zweierlei Maß gemessen werden.
Daher bitten wir Sie für Ihren Besuch in Baku, die Verbrechen Aserbaidschans mit deutlichen Worten zu verurteilen, sich für die internationale strafrechtliche Aufarbeitung einzusetzen und Sanktionen gegen das Land auf den Weg zu bringen. Konkret sollte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz seine anteilige Förderung der Deutsch-Aserbaidschanischen Auslandshandelskammer, die mit 160 Mitgliedsunternehmen die stärkste europäische Wirtschaftsvereinigung in Aserbaidschan ist, mit sofortiger Wirkung beenden.
Bitte machen Sie sich auch stark für die Freilassung der von Aserbaidschan widerrechtlich verhafteten Politiker aus Arzach. Insbesondere geht es um:
Arayik Harutjunjan (Präsident von 2020, Rücktritt am 1.9.2023)
Bako Sahakjan (Präsident 2007-2020)
Arkady Ghukanjan (Präsident 1997-2007)
David Ishkhanjan (Vorsitzender der Nationalversammlung)
Army Levon Mnatsakanja (früherer Kommandeur der Selbstverteidigungskräfte)
Ruben Varvadjan (früherer Staatsminister)
David Manukjan (früherer stellvertretende Kommandeur der Selbstverteidigungskräfte)
David Babajan (früherer Außenminister)
Die letzten Jahre und besonders die kollektive Vertreibung der 120.000 Arzach-Armenier haben gezeigt, dass Aserbaidschan unter dem Präsidenten Ilham Aliev jegliche internationalen Regularien, Abkommen und Absprachen zu brechen bereit ist. Auch daher muss die EU, muss besonders Deutschland entschlossen handeln und zum Beispiel Sanktionen verhängen. Denn eine ausbleibende Reaktion könnte Aserbaidschan zu weiteren militärischen Schritten gegen armenisches Territorium ermutigen.
Bitte stocken Sie die humanitäre Hilfe für die vertriebenen Arzach-Armenier mit Beginn des Winters auf und stärken Sie die demokratischen und liberalen Kräfte in Armenien. Die Zivilgesellschaft, Vereine und Verbände haben in den letzten drei Jahren großes Durchhaltevermögen und ihren festen Willen zur Demokratie immer wieder bewiesen – und das in einer Zeit, die für Armenien von großen Krisen und Problemen gekennzeichnet war. Die demokratische armenische Zivilgesellschaft steht unter dem Schock der kompletten Vertreibung der 120.000 Arzach-Armenier im September dieses Jahres und dem Verlust Arzachs, eines der ältesten Siedlungsgebiete der Armenier überhaupt. Menschen, die sich in Armenien für Demokratie, Menschenrechte, Meinungsfreiheit und die Versorgung der Vertriebenen einsetzen, brauchen langfristige Kooperationen, kontinuierliche Stärkung durch Gespräche, Einladungen und finanzielle Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Tessa Hofmann, Arbeitsgruppe Anerkennung – Gegen Genozid, für Völkerverständigung, Tel.: 030/ 8516409
Sarah Reinke, Leiterin der Menschenrechtsarbeit, Gesellschaft für bedrohte Völker