Anlässlich des 10. Jahrestages der Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink am 19. Januar 2007 in Istanbul erinnert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) daran, dass seine Familie und die armenische Gemeinschaft in der Türkei trotz der Verurteilung seines damals noch minderjährigen Mörders noch immer auf Gerechtigkeit warten. „Die Bluttat war ein Resultat von Diffamierung und Verleumdung nationalistischer türkischer Medien. Das muss dringend aufgearbeitet werden“, forderte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido am Dienstag in Göttingen. Gegen Hrant Dink wurde wegen angeblicher „Beleidigung des Türkentums“ gehetzt, weil er sich journalistisch mit dem Völkermord an christlichen Armeniern und Assyrern/Aramäern/Chaldäern 1915 bis 1917 sowie den Pontosgriechen auseinandersetzte und für seine Anerkennung sowie Versöhnung kämpfte. Nach mehreren ungerechten Verurteilungen durch die türkische Justiz hatte er sich im Oktober 2006 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt. Doch noch bevor dieser eine Entscheidung treffen konnte, wurde der Herausgeber der zweisprachigen Zeitschrift Agos auf offener Straße erschossen.
„Die Hintergründe des Mordes an Dink wurden nicht ausdrücklich benannt. Doch wenn das hässliche Gesicht des Nationalismus nicht schonungslos aufgedeckt und verurteilt wird, wird es für die schrumpfende christliche Gemeinschaft in der Türkei keine Sicherheit geben“, kritisierte Sido. Die immer aggressivere Politik von Präsident Recep Tayyip Erdogan begünstige Willkür und Hassausbrüche gegen Armenier. Erst am vergangenen Samstag (14.01.) wurde der armenische Abgeordnete Garo Paylan im Parlament von nationalistischen türkischen Kollegen attackiert, als er die Verbrechen an den Armeniern in seiner Rede erwähnte, und nahezu einstimmig von den nächsten drei Sitzungen ausgeschlossen. Der armenische Autor Sevan Nisanyan sitzt seit Anfang 2014 im Gefängnis, weil er Gerechtigkeit für sein Volk forderte. „Und wahrscheinlich war es auch kein Zufall, dass der armenischstämmige Wehrpflichtige Sevag Balikci 2011 am Gedenktag des Völkermordes an den Armeniern, dem 24. April, in der türkischen Armee erschossen wurde“, sagte Sido. Türkische Gerichte hätten den Vorfall als „Resultat eines Spieles unter Soldaten, das tragisch endete“, bagatellisiert.
„Das Schweigen der deutschen Bundesregierung zur Lage der Armenier, Assyrer/Aramäer, Aleviten, Yeziden und Kurden ermutigt die türkische Regierung zu mehr Menschenrechtverletzungen an Minderheiten und türkischen Demokraten“, kritisierte Sido. Es sei beschämend gewesen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht an der Sitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juni 2016 teilgenommen haben, als der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich und andere Verbrechen an christlichen Gemeinschaften endlich beim Namen genannt wurden.