Die Familie Karaca/Karazades

Grüß Gott, liebe Anwesende, ich möchte euch für die Einladung und die Möglichkeit danken, heute hier sprechen zu dürfen. Es ist mir eine besondere Ehre, als Nachkomme der kappadokisch-griechischen Familien Galatades (Γαλατάδες) und Karatzas (Καρατζάς) über unsere Geschichte und die Herausforderungen zu sprechen, die uns bis heute prägen.

Der heutige Tag ist von großer Bedeutung. An diesem Tag gedenken wir der unzähligen Opfer und Überlebenden des Genozids im Osmanischen Reich. Dieser Gedenktag dient der Erinnerung und fordert uns auch auf, für Gerechtigkeit einzutreten – beides ist unerlässlich, um die Wunden der Vergangenheit zu heilen.

Mein Name ist Grigorios Faruk Güney. Meine persönliche Geschichte beginnt in einer Familie, die tief in den anatolischen Wurzeln verankert ist, jedoch auch durch Assimilation und Identitätskonflikte geprägt wurde. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, habe aber einen Teil meiner Kindheit in Konstantinopel verbracht. Heute lebe ich in Köln, doch die Geschichte meiner Familie reicht weit zurück in das Dorf Κενισός (heute bekannt als „Genezin“) in Kappadokien, in die Stadt Νεάπολη (heute bekannt als „Nevşehir“), im Bezirk Άβανος („Avanos“), das bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. von Strabon (Στράβων), einem bedeutenden griechischen Historiker und Geografen, als zentraler Ort für das kulturelle und religiöse Leben der Griechen beschrieben wurde.

Die Geschichte der kappadokischen Griechen lässt sich in drei verschiedene Wege unterteilen. Die erste Gruppe bewahrte ihre Sprache, ihre Kultur und ihren Glauben trotz aller Unterdrückungen, wurde jedoch im Zuge des Bevölkerungsaustauschs nach Griechenland vertrieben.

Die zweite Gruppe, die Karamanen, auch bekannt als „Karamanlılar“, verlor ihr Griechisch und sprach stattdessen die türkische Sprache, bewahrte jedoch ihre Kultur, ihren Glauben und das griechische Alphabet. Die Karamanen nahmen das Sprachdekret von Karamanoğlu Mehmet Bey an, was sie zu einer besonderen Gruppe innerhalb der kappadokischen Griechen macht. Dieses Dekret aus dem Jahr 1277 führte zu einer Veränderung ihrer Sprache und markierte den Beginn eines Assimilationsprozesses in Anatolien, der sich über Jahrhunderte erstreckte. Auch diese Gruppe wurde nach Griechenland vertrieben.

Die letzte Gruppe, zu der auch meine Familie gehört, erlebte eine tiefgreifende Assimilation. Diese Menschen verloren größtenteils ihre Sprache, lebten ihre Kultur jedoch im Verborgenen weiter, während sie islamisiert wurden. Nach meinen Recherchen wurde mein Dorf zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert assimiliert, als gezielt Türken dorthin umgesiedelt wurden, während dieser Prozess in der anatolischen Gesellschaft bereits tief verwurzelt war. Deshalb wurden sie vom Bevölkerungsaustausch ausgenommen und blieben in ihrer Heimat Kappadokien, da sie als vollständig „türkisiert“ galten.

So überlebte ihre Identität, wenn auch unter schwierigen Bedingungen. Der schottische Historiker und Kartograf John Pinkerton berichtete bereits 1817: „…die grausamen Verfolgungen durch ihre mohammedanischen Herren sind die Ursache für ihren gegenwärtigen degradierten Zustand der Unwissenheit, selbst in Bezug auf ihre Muttersprache; denn es gab eine Zeit, in der ihre türkischen Herren den Griechen in Kleinasien streng untersagten, die griechische Sprache untereinander zu sprechen, und dass sie einigen die Zungen herausgeschnitten und andere mit dem Tod bestraft haben, die es wagten, diesem barbarischen Befehl nicht zu gehorchen. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die Sprache ihrer Unterdrücker seit langem fast überall vorherrscht und dass in einem großen Teil Anatoliens sogar der öffentliche Gottesdienst der Griechen jetzt in der türkischen Sprache abgehalten wird…“

Die Familie Galatades

Diese tiefe Verbindung zu meinen Wurzeln ermöglichte es mir, die Geschichte meiner Familie zu erforschen und meine Identität wiederzuentdecken. Mein Großvater, der im Jahr 2022 starb, war der Letzte in unserer Familie, der kappadokisches Griechisch sprach. Mit großer Dankbarkeit trage ich dieses Bewusstsein, und nach einem zweijährigen, intensiven Katechumenat wurde ich im gleichen Jahr im Einklang mit dem Erbe meiner Vorfahren griechisch-orthodox getauft. Viele Griechen anatolischer Abstammung teilen ähnliche Lebenswege wie meine Familie. Ihre Identitäten wurden durch systematische Assimilation unterdrückt oder sogar verloren. Während einige heute die vom türkischen Staat aufgezwungene Identität angenommen haben, leben andere mit dem Bewusstsein ihrer wahren Identität. Dieser Konflikt hat auch in meiner Familie tiefe Spuren hinterlassen und verdeutlicht die langanhaltenden Auswirkungen der systematischen Assimilationspolitik, die bereits mit dem Sprachdekret im seldschukischen Reich begann, über Unterdrückung, Exil und Massaker im Osmanischen Reich fortgesetzt und heute vom türkischen Staat übernommen wurde.

Heute gedenken wir der unzähligen Opfer und Überlebenden dieser unvergleichbaren Bestialität. Es ist erforderlich, dass wir uns dieser Realität vergegenwärtigen und sie aufklären. Abschließend möchte ich mich von Herzen bei dir bedanken, liebe Parthena. Dein unermüdliches Engagement und deine Leidenschaft haben diesen Austausch ermöglicht. Die Erinnerung an unsere Vergangenheit sollte uns stets dabei helfen, den Weg in die Zukunft klarer zu sehen. Wir tragen eine Geschichte in uns, die nicht vergessen werden darf – eine von Verlust, Schmerz und Trauer aber auch von Glauben, Liebe und Hoffnung. Lasst uns diese Geschichte bewahren, nicht nur für uns, sondern im Bewusstsein, dass sie ein Erbe ist, das wir aufklären und weitergeben müssen, an die kommenden Generationen. Denn nur ein Baum, der tiefe Wurzeln hat, kann starke Äste tragen und reiche Früchte hervorbringen.