Am 26. Februar 2012 kam es in Istanbul, aber auch in zahlreichen anderen Städten der Türkei sowie im Ausland (London, Brüssel, Paris, München) zu Aufmärschen aus Anlass der Einnahme der Kleinstadt Xocali (Berg-Karabach) vor 20 Jahren. Auf der Istanbuler Xocali-Kundgebung sprach unter anderem der türkische Innenminister Idris Naim Şahin. Gegen ihn sowie das Veranstaltungskomitee erstatteten nun zwei Menschenrechtsorganisationen – der Istanbuler Zweig des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) sowie die „Initiative Stopp dem Rassismus und Nationalismus – DurDe“ – Strafanzeige wegen Volksverhetzung und Diskriminierung nach §216 StGB (Türkei) sowie § 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

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Die Menschenrechtskolleg/Innen begründeten ihre Anzeige wie folgt:

  1. Die auf der Protestkundgebung vom 26.02.12 in Taksim/Istanbul verwendeten Slogans und Transparente sowie die dort gehaltenen Reden seien nicht vom Gedenken an das Leid der Opfer von Xocali geprägt gewesen, sondern die Kundgebung bildete vielmehr einen Angriff auf die ethnische Identität eines anderen Volkes, das ebenfalls stark gelitten hat, und das im Verlauf der Kundgebung erniedrigt wurde.
  2. Zum Beweis wurden die Inhalt von Slogans und Transparenten auf der Grundlage der Medienberichterstattung zitiert: „Ihr seid alle Armenier, ihr seid alle Bastarde“, „Die Bastarde Hrants [Dink] werden uns nicht schwächen“, „Grauwolf Ogün“ [Samast, der Mörder Hrant Dinks 2007]
  3. Die Anzeigeerstattenden führten an, dass die destruktive Gewalt nach ähnlicher Hetze in jüngster Zeit noch in Erinnerung sei. Die Slogans und Transparente der Kundgebung und besonders der dadurch geschürte Hass, Vergeltungsgelübde, gesteigerte Angriffsbereitschaft und die Ankündigung, einen Aufmarsch gegen die Redaktion der Zeitung „Agos“ (Istanbul) durchführen zu wollen gab den Armeniern in Istanbul sowie in der gesamten Türkei Anlass zu der Befürchtung, schutzlos einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr und Bedrohung ausgesetzt zu sein, weswegen sie sich an die Anzeigeerstattenden wendeten.

Durch billigende Hinnahme trage das Kundgebungskomitee Verantwortung für dieses Bedrohungsgefühl.

Die Rede des Innenministers beinhaltete im Wesentlichen die Hetze zu Hass und Vergeltung sowie eine Diskriminierung des armenischen Volks. Unter anderem hieß es darin: „Vor 20 Jahren haben Bluttrinker, Mörder, Gewissenlose, Herzlose, Feiglinge in Xocali das Blut von 603 Menschen getrunken… Dieses Blut ist an jenem Tag geflossen, aber die Rechnung bleibt offen. Solange die türkische Nation lebt, wird diese Rechnung beglichen und gerächt werden.“

Der Innenminister habe zudem die Versammelten zu Slogans animiert.

In der Anzeigebegründung heißt es zusammenfassend: „Es schickt sich nicht in einer Region, die eine ethnische sowie religiöse Vielfalt besitzt und eine Fülle an Problemen birgt, dass der Innenminister eine solche Rede hält.

Wir finden diese Rede höchst gefährlich, parteiisch und diskriminierend. Deshalb entschlossen wir uns zu dieser Anzeige.“