Vier Tage nach der Verabschiedung der Bundestagsresolution zum osmanischen Genozid an den Armeniern „und anderen christlichen Minderheiten“ veröffentlicht die armenisch-türkische Zeitung „Agos“ die Kritik des Vertreters des armenisch-apostolischen Patriarchen zu Konstantinopel, Erzbischof Ateschjan (Ateşyan). Dieser behauptete im Namen der „Gesellschaft der türkischen Armenier“ in seinem Schreiben an Staatspräsident Erdoğan, der “historische Schmerz der armenischen Nation werde als Werkzeug betrachtet, um den türkischen Staat und Nation anzuklagen und zu bestrafen.”

Das Schreiben des Erzbischofs ist indikativ für die lange Unterdrückungstradition der armenischen Kirche unter türkischer Herrschaft. Wir erinnern daran, dass das armenische Patriarchat nach der Eroberung Konstantinopels (1453) vom damaligen osmanischen Sultan Mehmet II. gegen das Ökumenische Patriarchat der Orthodoxie gegründet wurde, weil die Osmanen der kirchlichen Institution der soeben erst besiegten Byzantiner misstrauten. In der weiteren Entwicklung blieben die Oberhäupter des armenischen Gegen-Patriarchats von der Gunst und Gnade der osmanischen Herrscher abhängig. Ämterkauf, aber auch häufige Absetzungen der Patriarchen waren eine von zahlreichen negativen Folgen.

Auch die republikanische Türkei hat nie davor zurückgeschreckt, in innere Angelegenheiten des armenischen Patriarchats einzugreifen. Ihre Präsidenten und Regierungschefs konnten sich stets der bedingungslosen Loyalität der von ihnen abhängigen Kirchenführer sein. Das jüngste Schreiben steht in dieser Tradition.

Neu und sehr begrüßenswert ist die Antwort, die die Redaktion der von Hrant Dink gegründeten Zeitung Ateschjan gab, indem sie sich „mit Sorge, Wut und Schamgefühl“ von Ateschjans Schreiben kritisch distanziert. „Agos“ schließt mit den bemerkenswerten Zeilen:

“Der Genozid an den Armeniern ist ein Verbrechen an der Menschheit und somit die Sache der gesamten Menschheit. Sie sagen, dass Sie für das Wohl zweier Völker geschrieben hätten. Eine gemeinsame Zukunft dieser beiden Völker wird aber erst möglich, wenn eine ehrenhafte Aussöhnung erreicht wird, denn nur in diesem Fall wird es nicht zu einer solchen Form von Unterdrückung kommen, die Sie veranlasst hat, Ihre eigene Geschichte zu verleugnen.“

Links: