Am 6. Oktober 2006 erschien in der armenischen Zeitung „Akos“ (Istanbul) ein Artikel des Wissenschaftlers Dr. Taner Akçam, der anlässlich der strafrechtlichen Verfolgung des Chefredakteurs von „Akos“, Hrant Dink, schrieb: „Ich kann mich nicht erinnern, dass Hrant jemals an der gesetzlichen Etikette der Ereignisse von 1915 interessiert war. Diese Seite der Angelegenheit berührte ihn nicht, sondern der menschliche Aspekt. Woran ich mich erinnere, ist, dass er sogar schrieb: „Eine Nation, die hier einst gelebt hat, ist nicht mehr. Sie wurde entwurzelt wie ein Baum. Ihr Leben hier endete. Ich kann diese menschliche Tragödie, diese Beendigung von Leben nicht in Worte fassen. (…) In einer seiner Verlautbarungen stellte Hrant fest, dass er in besonderem Masse zur Zielscheibe wurde. Das entspricht den Tatsachen. Er wurde zur Zielscheibe, weil er ein ethnischer Armenier ist. Die einzige Schlussfolgerung, die man daraus ziehen kann, lautet, dass es für jemand türkischer Abstammung kein Problem darstellt, das Wort ‚Genozid’ zu gebrauchen, wohl aber für einen Armenier.“

Solche Sätze haben anscheinend die Staatsanwaltschaft herausgefordert, dem Verfasser Akçam zu beweisen, dass in der Türkei ethnische Rechtsgleichheit besteht. Denn sechs Tage später stellte der Oberstaatsanwalt des Istanbuler Ortsteils Eyüp, Recep Akkuş, Strafantrag gegen Taner Akçam. Er ist angeklagt, das „Türkentum“ verletzt zu haben (der berüchtigte Strafrechtsartikel Art. 301, 1 StGB, Türkei), ein Verbrechen und einen Verbrecher – nämlich Hrant Dink – verherrlicht zu haben (Art. 215) und „öffentliche Feindseligkeit und Hass angestachelt“ zu haben (Art. 216).

Dass sich die Anklage gegen einen deutschen Staatsbürger richtet, verleiht der strafrechtlichen Praxis der Türkei eine neue Dimension: Bisher waren türkische Staatsbürger die Opfer des Knebelparagraphen 301 und anderer. Dr. Taner Akçam fand als politisch Verfolgter in der Bundesrepublik Deutschland Schutz und ist inzwischen Staatsbürger dieses Landes. Auf Einladung der Universität Minnesota arbeitet er seit 2002 als Gastprofessor am dortigen Lehrstuhl für Geschichte und am Zentrum für Holocaust- und Genozidforschung. T. Akçam hat nach unserem Wissen als erster türkeistämmiger Wissenschaftler über den Völkermord an den Armenier geforscht und es gewagt, ihn als Genozid zu bezeichnen. Er hat seit Mitte der 1990er Jahre zahlreiche, auch monographische Publikationen zu diesem Thema vorgelegt und trotz vehementer Schmähung in türkischen Medien seine wissenschaftlichen Erkenntnisse im Wortsinn verteidigt.

Wir veröffentlichen hier in englischer Übersetzung seinen Artikel in „Akos“ sowie den Strafantrag vom 12.10.2006, ferner eine von den Genozidforschern Dr. Eric Weitz und Dr. Stephen Feinstein unterzeichnete Unterstützungserklärung für T. Akçam.

Wir rufen unsere Leser auf, sich wegen der strafrechtlichen Verfolgung von Hrant Dink und Dr. Taner Akçam in Englisch oder Türkisch verfassten und höflich formulierten Briefen an den türkischen Justizminister zu wenden:

The Minister of Justice
Mr. Cemil Çiçek
Ministry of Justice
Adalet Bakanligi
06659 Ankara, Turkey
Fax: + 90.312.418.5667
Anrede: “Dear Minister”

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