Mit großer Trauer erfahren wir vom Tod der für Menschen- und Minderheitenrechte engagierten Journalistin und Übersetzerin Suzan Zengin. Frau Zengin war in Deutschland aufgewachsen. In der Türkei wurde sie am 29. August 2009 nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz verhaftet und zwei Jahre ohne Beweise und ohne Haftprüfung wegen angeblicher Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung im Frauengefängnis von Bakirköy (Istanbul) in Isolationshaft gehalten. Wie viele ihrer unter ähnlichen Vorwänden gesetzwidrig inhaftierten Berufskolleg/Innen erkrankte auch Frau Zengin während dieser Haft. Vor zwei Monaten wurde sie schwer erkrankt entlassen. Bei einer anschließenden Herz-Operation Ende September 2011 fiel sie ins Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. 17 Tage nach der Operation, am 12. Oktober 2011, verstarb Frau Zengin im Alter von nur 52 Jahren, ohne ihr Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Wir sind bestürzt über ihren unnötigen und vorzeitigen Tod. Unser tiefes Mitgefühl gilt ihren Angehörigen. Zugleich erfüllt uns Respekt und tiefe Dankbarkeit für ihre beruflichen Leistungen, die einen bleibenden Beitrag in unserem gemeinsamen Bestreben um historische Wahrheit und Völkerverständigung darstellen. Frau Zengin übersetzte unter anderem eine Anthologie zyperngriechischer Literatur und eine Anthologie griechischer Kurzgeschichten über Thessaloniki sowie eine Anthologie assyrischer Volksgeschichten und –lieder. Ihre letzte Übersetzung war der Konferenzsammelband „Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Christen im Osmanischen Reich 1912-1922“. Obwohl bereits schwer erkrankt, hat sie dieses 2004 erstmals in Deutschland veröffentlichte Werk im Gefängnis ins Türkische übersetzt.

Ihr Verleger Ragip Zarakolu („Belge Verlag“, Istanbul), der zugleich Vorsitzender des Komitees „Freedom to Publish“ ist, erklärte am 13.10. auf der Frankfurter Buchmesse:

„Liebe Freunde des Friedens und der Wahrheit,

unglückerweise haben wir Suzan Zengin verloren. Sie starb als jüngstes Opfer der Vorurteile und der Vorverurteilung eines ungerechten Justizsystems in der Türkischen Republik. Sie verlor ihre Gesundheit unter den ungesunden Verhältnissen der Isolationsgefängnisse in der Türkei. Sie starb zwei Wochen nach einer „erfolgreichen“ Herzoperation, im Koma.

Wir haben sie lebendig der Türkischen Republik gegeben, wir haben dem Gefängnis und dem Krankenhauswesen lebendig gegeben, und unglücklicherweise haben wir sie als Tote zurückbekommen.

Ein ungerechtfertigtes Strafverfahren wurde zur Hinrichtung.

Ich protestiere gegen diesen de facto-Mord.

Ich sende ihrem Ehemann und ihren Kindern, ihren Schwestern, ihrer Familie und ihren Freunden mein tiefstes Beileid.

Und ich bete für den Frieden und die Wahrheit.“

Zeitgleich wurden auch der Belge-Autor Aziz Tunç sowie der Sohn des Verlegers Ragip Zarakolu, Deniz Zarakolu, festgenommen. Aziz Tunç, der Verfasser des Buches “Analyse und historischer Hintergrund des Massakers von Marasch 1978“, wurde verhaftet, weil er Vorträge über dieses Massaker hielt und weil er Mitglied der – legalen – kurdischen Partei BDP ist, an deren Akademie für Politische Wissenschaften er tätig war. Ähnlich gelagert ist der Fall des „Belge“-Lektors Deniz Zarakolu, eines Doktoranden an der Bilgi-Universität, der ebenfalls an der BDP-Akademie wissenschaftliche Vorträge hielt (eine Einführung in Philosophie, beginnend mit Aristoteles). Deniz Zarakolu ist unter anderem Autor eines Buches über Thomas Hobbes‘ Werk „De Cive“. Beide Festgenommenen haben gesundheitliche Probleme, Deniz Zarakolu leidet unter Asthma.

Besorgniserregend ist auch die Festnahme der Wissenschaftler Ayse Berktay and A. Dursun Yildiz. In der Türkei gibt es schätzungsweise 8.000 politische Gefangene. Die meisten sitzen ohne gerichtliche Verurteilung ein, was nach dem Antiterrorismus-Gesetz bis zu 12 Monaten möglich ist. Die meisten der Anklagen sind fingiert und beruhen nicht auf überprüfbaren Tatsachen.