Der Kölner Schriftsteller und Menschenrechtler Doğan Akhanlı, der 2010 selbst monatelang zu Unrecht in der Türkei in Untersuchungshaft saß, konnte vor kurzem den Verleger und Menschenrechtler R. Zarakolu sowie dessen Sohn Deniz im Hochsicherheitsgefängnis Kocaeli besuchen.

Wir veröffentlichen seinen Bericht über diese Begegnung, verbunden mit der Bitte, Ragıp und Deniz Zarakolu zu schreiben (in englischer oder türkischer Sprache):

Kocaelı 2, Nolu F Tipi
Kapali Ceza İnfaz Kurumu
Tutuklu Ragip Zarakolu
Tutuklu Deniz Zarakolu
KOCAELİ – Türkei (Turkey)

Doğan Akhanlı: Bericht aus Kocaeli

Ich war am 6. Februar 2012 auf Besuch im Hochsicherheitsgefängnis in Kocaeli, in der Nähe von Istanbul. Durch meine Anwältin, die auch Ragıp Zarakolu vertritt, stellte ich einen Antrag für eine Besuchserlaubnis beim Justizministerium in Ankara. In Istanbul erfuhr ich, dass meinen Antrag genehmigt wurde.

Ragip Zarakolu ist nicht nur ein Verleger, der es vor 14 Jahren gewagt hat, meine Trilogie „Die verschwundenen Meere“ zu veröffentlichen, deren letztes Buch den Genozid an den Armeniern thematisiert, sondern er ist auch ein kompromissloser Menschenrechtler. Er war der Erste, der seine Stimme gegen meine Festnahme am 10. August 2011 im Istanbul erhoben hat. Der Titel seiner Kolumnen in der Tagespresse lautete: „Freiheit für Doğan Akhanliı und Suzan Zengin“. Suzan Zengin, eine seiner Übersetzerinnen, die im Gefängnis das von Tessa Hofmann herausgegebene Buch Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Christen im Osmanischen Reich 1912 -1922 übersetzte hatte, verstarb kurz nach ihrer Freilassung im Oktober 2011, während Ragıp Zarakolu in Frankfurt auf der Buchmesse war.

Er kehrte sofort nach Istanbul zurück, wo er am 28. Oktober auf der Grundlage des Anti-Terrorismus-Gesetzes festgenommen wurde. Der Vorwurf lautete: “Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrorgruppe, KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans).“

Sein Sohn Deniz wurde schon am 4. Oktober 2011 aus demselben Grund verhaftet und zunächst ins Metris-Gefängnis gesperrt, indem schon seine verstorbenen Mutter und Mitgründerin des Belge-Verlags, Ayşe Zarakolu, vor 30 Jahren saß.

Als ich dies hörte, fragte ich mich, ob Deniz sich in der Zelle befand, in der ich 2010 gewesen war, oder in der damaligen Zelle seiner Mutter.

Ich erfuhr von der Anwältin, dass Deniz inzwischen in dasselbe Gefängnis verlegt wurde, in dem sein Vater sitzt, und zwar in selben Raum.

Das Hochsicherheitsgefängnis, das ich besuchen will, ist von Istanbul ca. zwei Stunden Autofahrt entfernt. Ich fahre vormittags mit der Anwältin, Sennur Baybuga, von Istanbul ab. Um alle Hindernisse zu vermeiden, will sie noch bei der Staatsanwaltschaft vorbei gehen, um nochmals eine Besuchserlaubnis zu bekommen, obwohl wir bereits eine schriftliche Bewilligung in der Hand hatten.

Die Stadt Kocaeli hat ein einziges riesiges Justizgebäude. Ein Beamter verlangt von uns die Bewilligung, die wir letztendlich vom Justizministerium bekommen hatten. Wir sollen ihm folgen. Eine halbe Stunde später fand er noch immer keine zuständige Person, die uns weiterhelfen konnte. Plötzlich tauchten aus dem Nichts zwei Männer in Zivil auf, die mir merkwürdig vorkamen. Irgendwie sind sie aufdringlich geworden, einer der beiden kam fast bedrohlich nahe. Ich fragte ihn, ob er etwas fragen möchte? Er sagte nichts. Ich ging weiter und hörte, wie sie beide miteinander reden. Der eine fragte den anderen: „ Ist das der Mann?“ Sennur Baybuga reagiert daraufhin lauthals und teilte ihnen mit, sie wisse wer sie seien! Die Männer sagten nichts. Währenddessen informierte uns der ermüdete Beamte, der immer noch unsere Bewilligung in der Hand hatte, wir sollten zum Gefängnis fahren und wenn es ein Problem gäbe, sollten wir ihn anrufen.

Ohne weitere Zwischenfälle besuche ich dann Rağıp Zarakolu. Zwischen uns befinden sich zwei dicke Fensterscheiben und Gitter. Der Besucherraum ist ziemlich dunkel. Das Gespräch verläuft über einen Telefonapparat. Mir fiel ein, dass ich mich das erste Mal in meinem Leben auf der anderen Seite des Besucherraums befinde.

Ragıp ist fröhlich. Er sagt, er habe nie so viel Zeit mit seinem Sohn zusammen verbracht wie jetzt. Es gibt noch weitere Mithäftlinge im Raum, einen kurdischen Akademiker. Beide Zarakolus lernen von ihm Kurdisch.

Warum er verhaftet wurde, wollte ich von Ragıp wissen. Er vermutet, seine Verhaftung habe nicht direkt mit dem Haftvorwurf zu tun. Er meint, dass seine Festnahme nicht durch die eigene Initiative des Staatsanwalts oder Richters zu Stande gekommen sei, sondern dass der Befehl aus Ankara kam. Was ist Ankara? wollte ich wissen. Er sagt: Irgendeine Machtclique, die gegen die Verhandlungen mit Kurden sind. Durch seine Verhaftung wolle man signalisieren, dass die Solidarisierung mit den Kurden und Erinnerungsarbeit als gefährlich einzustufen und zu stoppen sind.

Zwei Tage vor meiner Abreise berichtete die türkische Presse, einige Sonderstaatsanwälte in Istanbul hätten im Streit um die Rolle des türkischen Geheimdienstes MIT bei den Verhandlungen mit der kurdischen Rebellengruppe PKK die Festnahme von vier Geheimdienstlern angeordnet. Dies habe eine politische Krise ausgelöst. Wie die Presse meldete, lehnt die Regierung die Vernehmungen ab. Es sollen angeblich innerhalb der kurdischen Bewegung hunderte Geheimagenten tätig sein und durch die Welle von Festnahmen seien diese im Knast gelandet, obwohl sie ihre wahre Identität bei der Vernehmung offen gelegt hatten. Sie sollen nun als Komplizen der kurdischen Bewegung angeklagt werden, so die Presse.

Ich dachte, ich habe wirklich Glück gehabt, als ich wieder in Köln landete.