Offener Brief

Betreff: Erinnerungskultur / 24. April – Gedenktag an den türkischen Völkermord am armenischen Volk

Sehr geehrte Frau Slowik,

auch wenn wir keinen Bescheid erhalten haben, ist es mir ein dringendes Bedürfnis, mich zu dem Polizeieinsatz vom 24.4.2020 zu äußern. Hier das Gedächtnisprotokoll.

Kurz nach 15:00 parkten wir, Zaré und Albert Dawoudian, am 24.April 2020 in der Berliner Tiergartenstraße. Überquerten sie an der Hiroschima Straße und liefen wenige Meter durch den Tiergarten, bis wir gegenüber der türkischen Botschaft anlangten. Dort wurden die gleichlautenden DIN A 4 Plakate enthüllt bzw. umgehängt: ‚Völkermord verjährt nicht! 1915 – 1921 türkischer Genozid an Millionen Christen Kleinasiens‘.

Gleich darauf liefen die Polizeibeamten, die vor der Botschaft der Türkei postiert waren, auf uns zu. Fragten, was wir hier täten. Auf die Antwort, dies sei eine persönliche Meinungsäußerung, gingen die Beamten, nachdem gefragt wurde, ob noch weitere Personen kommen würden, zurück auf die andere Straßenseite. Führten ein fernmündliches Gespräch. Einer der Polizisten kam erneut zu uns, nahm anhand unserer PAs die Daten auf und teilte mit: nun könnten wir hier verweilen. Einige Zeit später näherte sich ein Polizeifahrzeug und parkte nach der kleinen Mittelinsel. Zwei Beamtinnen und ein Beamter eilten auf uns zu.

Wieder dieselbe Frage. Wieder dieselbe Antwort: Freie Meinungsäußerung. Und die Kollegen hätten bereits die Personalien aufgenommen. Der Beamte lief zu seinen Kollegen vor der Botschaft, kam sehr bald wieder und verlangte abermals die Personaldokumente. Und wir wurden belehrt: Wir dürften unsere Meinung frei äußern. Aber ohne Plakate. Mit Plakaten hätte die Aktion angemeldet und genehmigt werden müssen. Auf die Frage, wie die Meinung dann kundgetan werden sollte, hieß es: mündlich. (T-Shirt Aufdruck? Nein, auch Genehmigungspflichtig!) Die Beamtinnen nahmen erneut unsere Personalien auf (Infektionsschutz? Keine! Mein Portemonnaie mit den Dokumenten in Sichthüllen wurde in die Hand genommen. „Dann reinigen Sie sie eben!“).

Der Beamte entfernte sich einige Meter und hing gefühlt mehr als 20 Minuten am Funkgerät.

Während dessen wurde, nachdem die Aufnahme der Personalien vollzogen war, weiterhin über die Möglichkeit „wie äußere ich meine freie Meinung“ debattiert. Dabei betonte Beamtin 1 mehrmals, nach DEUTSCHEM Recht… Bis ich bemerkte, ihre Uniform weise sie ja schon klar als Hüterin ausschließlich des deutschen Rechts aus.

Weil der Kollege immer noch fernmündliche Gespräche führte, entwickelten sich zwischen uns und den Beamtinnen auch einige entspannte Sätze.

Nachdem die zwischen uns vereinbarte Zeitdauer der Aktion wie wohl auch die Parkuhr abgelaufen waren, verhüllten und verstauten wir die Plakate, um zu gehen. Doch Beamtin 1: Die Maßnahme sei nicht beendet. „Sie bleiben hier, bis ich es sage!“

Waren wir etwa vorübergehend festgenommen? Ohne bisher jegliche Kenntnis darüber zu haben?

Der Beamte tritt wieder zu uns. Wir hätten Glück, uns werde kein Verstoß gegen das Versammlungsrecht vorgeworfen (inkl. entsprechender Kosten), sondern lediglich die Ordnungswidrigkeit, gegen die herrschenden Einschränkungen i. S. des Infektionsschutzes wegen der Pandemie verstoßen zu haben.

Mein Gedanke: Ist das eine Posse? Wir – im Gegensatz zu den OrdnungshüterInnen – mit Mund-Nasenschutz und ein gemeinsam wohnendes Ehepaar! Der Beamte wiederholte, wessen wir bezichtigt würden. Offenbar erwartete er eine erleichterte Reaktion.

Uns wurde auferlegt, sich in den kommenden 48 Stunden nicht im Umkreis von xyz Metern von der Botschaft aufzuhalten. Und überhaupt: eine Aktion an einer Botschaft …

Ich: 50 m Abstand seien ja eingehalten.

Der Beamte: Guckt und zeigt auf das Botschaftsgebäude uns gegenüber und meinte, die Botschaftsangehörigen fühlten sich dann provoziert: „Die Türken sind da sensibel.“

Auf unsere Frage, ob sie zufällig vorbeigefahren und uns wahrgenommen hätten, wurde erwidert: Die Botschaft habe sie angefordert.

Warum werde ich den Gedanken nicht los:

Anscheinend sollte mit den polizeilichen Maßnahmen den offiziellen Vertretern der Türkei in Berlin, die die Beamten angefordert hatten, Genugtuung verschafft werden.

Heißt: den Staat zufrieden zu stellen, der sich nach wie vor gemäß der UN-Konvention gegen Völkermord schuldig macht an einem Verbrechen gegen die Menschheit: der Leugnung des begangenen Genozids.

Z.D.