Mitte Oktober 2008 übersandte die Arbeitsgruppe Anerkennung dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages einen Antrag auf die Erweiterung des bestehenden Strafrechtsartikels 130, um damit die Bestrafung von gezielter Genozidleugnung zu erreichen. Wir betrachteten den Antrag damals als Test, um die Meinung des deutschen Gesetzgebers zu dieser gravierenden Straftat festzustellen.
Mit Schreiben vom 4. September 2012 teilte uns nun der Petitionsausschuss den – negativen – Abschluss unseres Petitionsgeschäfts mit. Damit wurde unsere Petition zur Schaffung eines eigenen Straftatbestandes zur Kriminalisierung der Leugnung von Völkermord abgewiesen.
Wir bedauern diesen Schritt, geben unseren Kampf gegen die Leugnung von Völkermord und, in Verbindung damit, für die Kriminalisierung der Leugnung nicht auf.
Der Petitionsausschuss begründete seine Zurückweisung unserer Petition wie folgt:
Das deutsche Strafrecht entspricht damit den internationalen Vorgaben aus dem EU-Rahmenbeschluss und dem Zusatzprotokoll des Europarates. Der EU-Rahmenbeschluss verlangt gerade nicht, bereits (wie vom Petenten gefordert) die einfache Leugnung von Völkermorden unter Strafe zu stellen, sondern macht die Strafbarkeit der Leugnung von Völkermorden ausdrücklich davon abhängig dass damit zugleich zu Hass und Gewalt gegen bestimmte Gruppen aufgestachelt wird. Auch das Zusatzprotokoll erlaubt es ausdrücklich, die Strafbarkeit für die Leugnung von Völkermorden davon abhängig zu machen, dass damit zugleich zu Hass aufgestachelt wird, so wie es § 130 Abs. 1 StGB auch vorsieht.
Diese Auffassung entspricht in zwei Aspekten nicht den Tatsachen:
- Ob die deutsche Regelung den internationalen Vorgaben aus dem EU-Rahmenbeschluss entspricht, ist schon nach dem Rahmenbeschluss bisher nicht festgestellt. Der Rahmenbeschluss erklärt eindeutig, dass eine Überprüfung der Entsprechung der nationalen Umsetzung ins Strafrecht gem. Art. 10 des Beschlusses vor dem 28.11.2013 erfolgt. Tatsächlich hat diese Überprüfung aber noch nicht stattgefunden. Soweit die Petitionszurückweisung darauf verweist, dass das deutsche Strafrecht dem Beschluss genügt, ist dies nur eine Selbsteinschätzung der Bundesregierung. Diese muss allerdings erst noch überprüft werden. Allein deshalb hätte die Petition zu diesem Zeitpunkt noch nicht zurückgewiesen werden dürfen.
- Die Feststellung, dass der Rahmenbeschluss das einfache Leugnen nur im Zusammenhang mit der Aufstachelung zum Hass unter Strafe stellen will, ist falsch. Tatsächlich lautet der Beschluss wie folgt:
Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass folgende vorsätzliche Handlungen unter Strafe gestellt werden:
- die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe;
- die Begehung einer der in Buchstabe a genannten Handlungen durch öffentliche Verbreitung oder Verteilung von Schriften, Bild- oder sonstigem Material; c) das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Sinne der Artikel 6, 7 und 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, das gegen eine Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe gerichtet ist, die nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definiert werden, wenn die Handlung in einer Weise begangen wird, die wahrscheinlich zu Gewalt oder Hass gegen solch eine Gruppe oder gegen ein Mitglied solch einer Gruppe aufstachelt;
Der Text verweist lediglich auf eine wahrscheinliche Gewalt (!) – oder Hasskomponente.
Diese findet sich aber nicht im derzeit gültigen Gesetzestext, in dem es heisst:
§ 130 Volksverhetzung
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. | gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder |
2. | die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, |
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. | Schriften (§ 11 Absatz 3), die zum Hass gegen eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder ihre Menschenwürde dadurch angreifen, dass sie beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden,
|
2. | eine Darbietung des in Nummer 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet. |
Mithin entspricht die Darstellung des Petitionsausschusses schlicht nicht den tatsächlichen Begebenheiten. Die Umsetzung ist bisher nicht erfolgt.
Dies war auch gar nicht gewollt. Schon in der Begründung des Gesetzesänderungsvorschlages wurde das Leugnen in keiner Weise erwähnt. So lautet die Begründung nur:
Im deutschen Recht entspricht § 130 des Strafgesetzbuchs (StGB) den oben genannten Vorgaben bereits weitgehend. Nach § 130 Absatz 1 StGB macht sich strafbar, wer – in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören – zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert. Ebenso wird bestraft, wer die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Jedoch erfasst § 130 Absatz 1 StGB in seiner bisherigen Fassung ausdrücklich nur „Teile der Bevölkerung“, nicht dagegen Einzelpersonen. Demgegenüber verlangen sowohl der Rahmenbeschluss als auch das Zusatzprotokoll, dass die entsprechenden Strafvorschriften nicht nur die Aufstachelung zu Hass und Gewalt gegen bestimmte Gruppen, sondern auch gegen einzelne Mitglieder der Gruppen erfassen müssen.
Der Rahmenbeschluss verlangt in seinem Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c und d die folgenden Handlungen unter Strafe zu stellen, wenn sie zu Gewalt oder Hass gegen Menschen aufstacheln, die nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft definiert werden:
- das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Sinne der Artikel 6, 7 und 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c des Rahmenbeschlusses),
- das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Verbrechen nach Artikel 6 der Charta des Internationalen Militärgerichtshofs im Anhang zum Londoner Abkommen vom 8. August 1945 (Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe d des Rahmenbeschlusses).
Der Rahmenbeschluss verpflichtet damit nur zu einer Kriminalisierung, wenn die Handlungen zu Gewalt oder Hass aufstacheln.
Tatsächlich hat aber die Bundesregierung nicht einmal diese Interpretation des Beschlusses umgesetzt. Tatsächlich reduziert die Bundesregierung den Beschluss auf die Hasskomponente. Wenn allerdings der Beschluss nur den Hass hätte brandmarken wollen, so hätte er auf das Erwähnen des Leugnens von Völkermorden verzichten können.
Damit fehlt dem deutschen Recht weiterhin ein wirksames Mittel gegen das Leugnen von Völkermorden und ein Mittel zur Bewahrung des öffentlichen Friedens in Deutschland.