Prof. Hakki Keskin, die Linkspartei und ihr Umgang mit den Nachfahren von Völkermordopfern

PRESSEERKLÄRUNG

Berlin. –Der Berliner Tagesspiegel zitiert in seinem heutigen Bericht den Vizefraktionsvorsitzenden der Linksfraktion, Bodo Ramelow, mit seiner Behauptung, der Zentralrat der Armenier in Deutschland (ZAD) instrumentalisiere „noch einmal“ und „völlig ohne Augenmaß“ armenische Völkermordopfer. Zugleich verteidigte Ramelow erneut den Standpunkt des türkeistämmigen Abgeordneten Prof. Hakki Keskin (MdB/Linkspartei), der wegen seiner fortgesetzten Weigerung, den Völkermord an den Armeniern 1915/16 als historische Tatsache anzuerkennen bzw. zu verurteilen, in die öffentliche Kritik geraten ist. Der Linksfraktions-Vize behauptete ferner, 1917 hätten armenische und russische Truppen gemeinsam Rache für vorangegangene Gräueltaten geübt, dabei seien mehrere zehntausend „unschuldige Türken“ ums Leben gekommen.

Dazu erklärt die Arbeitsgruppe Anerkennung (AGA):

Nicht dem ZAD ist das Augenmaß abhanden gekommen, sondern Herrn Ramelow. Seine verbissene Verteidigung des Abgeordneten Keskin überrascht uns freilich wenig. Denn wir haben bereits 2005 erlebt, wie die Führung der damaligen PDS sich aller berechtigten öffentlichen Kritik verschloss und auf der Delegiertenkonferenz vom 6. August 2005 dafür sorgte, dass keinem der anwesenden Armenier/Innen Rederecht und damit die Möglichkeit zur Kritik an Keskin erteilt wurde. Der damalige Berliner Landeschef der PDS, Stefan Liebich, verteidigte vielmehr laut Darstellung der Berliner Morgenpost (07.07.2005) die Position Keskins ausdrücklich als „vernünftig“. Protestbriefe unserer Menschenrechtsorganisation an den Parteivorsitzenden Lothar Bisky vom 10. Juli sowie 13. August 2005 blieben ebenso unbeantwortet wie der Protest des Organisationskomitees „Mit einer Stimme sprechen!“ vom 11. Juli 2005.

Das zeugt nicht allein von undemokratischem Umgang mit Kritikern und von Arroganz gegenüber Angehörigen von Minderheiten, deren Vorfahren unter dem von Herrn Keskin bestrittenen Völkermord gelitten haben. Es zeugt vor allem von einer bedenklich orientierungs- und prinzipienlosen Haltung gegenüber dem größten aller menschlichen Verbrechen, dem Genozid. Leider hat die Führung der Linkspartei auch anderthalb Jahre danach ihre Standpunkte nicht überprüft. Anlass dazu bestand mehr als genug, denn im März 2006 erklärte Prof. Keskin in einem Zeitungsinterview die „Operation Talat Pascha“ für politisch unbedenklich, die einige Monate darauf im Türkei-Fortschrittsbericht des Europäischen Parlaments als rechtsextrem, rassistisch und fremdenfeindlich eingestuft wurde.

Statt sich spätestens jetzt von den fragwürdigen Standpunkten und Querverbindungen Keskins zu distanzieren, greift stattdessen der Vizevorsitzende der Linksfraktion die Armenier an und bezichtigt „armenische Truppen“ der Ermordung „unschuldiger Türken“. Dass es 1917 noch keinen armenischen Staat und folglich keine armenischen Truppen gab und die russische Front in Kleinasien schon vor der Sozialrevolution vom November 1917 („Oktoberrevolution“) zerfallen war, scheint ihn bei seiner Anklage nicht weiter zu kümmern. Denn Herrn Ramelow misst mit zweierlei Maß: Die Keskins in den eigenen Reihen dürfen weiterhin unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit bald ahnungslos, bald leugnend auftreten, während die „mordenden Armenier“ Vorleistungen erbringen sollen.

Wäre nicht der eigentliche Adressat für solche Vorleistungsforderung der türkische Staat und die politische türkische Eliten, die bis heute die Verbrechen leugnen? Der Weg zu einem armenisch-türkischen Dialog führt über die Anerkennung historischer Tatsachen. Allerdings hat sich die Führung der Linkspartei den Weg verbaut, glaubhaft und konstruktiv Geschichtsaufarbeitung zu initiieren. Denn sie hat sich für die unkritische Unterstützung von mainstream-Nationalisten entschieden, statt diejenigen ihrer türkeistämmigen Mitglieder zu fördern, die sich für eine kritische Aufarbeitung ihrer Geschichte einsetzen. Insofern trifft die Parteiführung derzeit nicht nur armenische Kritik, sondern auch die ebenso berechtigte Kritik aus den eigenen Reihen.

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