Zu den massiven Interventionen gegen die Uraufführung einer Bühnenfassung von Edgar Hilsenraths Armenien-Roman „Das Märchen vom letzten Gedanken“ in Konstanz erklären die Armenische Gemeinde Baden-Württemberg und die Arbeitsgruppe Anerkennung:


GEMEINSAME PRESSEERKLÄRUNG

Türkische Proteste gegen die Freiheit der Kunst und Wissenschaft

Das Theater Konstanz wagte sich an ein anscheinend auch nach 99 Jahren noch immer sensibles Thema: den osmanischen Genozid an anderthalb Millionen Armeniern.

Die Vorlage des Bühnenstücks bildet Edgar Hilsenraths preisgekrönter Roman „Das Märchen vom letzten Gedanken“ aus dem Jahr 1989. Nach massivem Druck seitens der türkischen Regierung und nach heftigen türkischen Protesten konnte die Uraufführung des Bühnenstücks am 21.03.2014 nur unter Polizeischutz stattfinden.

Gleichwohl war es dem türkischen Generalkonsulat zu Karlsruhe gelungen, seine Forderung durchzusetzen: Intendant Prof. Dr. Christoph Nix verlas vor der Uraufführung den Brief des türkischen Honorarkonsuls vorlesen, in dem dieser die offizielle türkische Version darstellte; sie läuft auf die Leugnung der historischen Tatsachen hinaus. Zuvor musste sich Prof. Dr. Nix mit dem Imam der Stadt Konstanz sich treffen, um weitere Eskalation zu vermeiden.

Die Armenische Gemeinde Baden-Württemberg äußert ihr fassungsloses Unverständnis für diese Vorgänge. Pfarrer Dr. Diradur Sardaryan: „Die Faktizität des osmanischen Völkermords an den Armeniern ist international völlig unbestritten. Wenn die Türkei dieses Verbrechen bis heute leugnet, ist das nur ein Zeichen der eigenen Ignoranz; wenn sie nun aber auch in Deutschland verlangt, die Geschichte zu verfälschen, ist das schlicht Wahnsinn. Wir erleben hier in Konstanz einen absurden Kampf gegen die Wahrheit der Geschichte und gegen die Freiheit der Kunst.

Die Armenische Gemeinde bedankt sich beim Prof. Dr. Christoph Nix und dem gesamten Team des Theater Konstanz, sowie bei den vielen Unterstützern, dass sie gegen alle Widerstände an dem Projekt festgehalten und das Stück tatsächlich realisiert haben. „Es war ein wundervoller Abend. Das Stück hat mich zutiefst berührt. Dieser Abend hat ein bisschen mehr Gerechtigkeit geschaffen und hat gezeigt, dass wahre Kunst die Wahrheit immer ans Tageslicht bringt“.

Die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Anerkennung, Dr. Tessa Hofmann, erklärt: „Ich erlebe seit 40 Jahren, wie die türkische Diplomatie in Deutschland und anderen Staaten massiv in die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Medien eingreift. Dabei wird regelmäßig und mit Hilfe offenbar mobilisierten ‚Volkszorns‘ versucht, Organisatoren und öffentlich-rechtliche Veranstalter einzuschüchtern, um Veranstaltungen zu verhindern oder zumindest als Tribüne für den eigenen Leugnungsstandpunkt zu missbrauchen. So geschah es zuletzt in Konstanz, so geschah es 2011 an der Universität Stuttgart, deren Rektor eine Veranstaltung über den Genozid an Christen im Osmanischen Reich innerhalb ‚seiner‘ Universität auf türkisches Verlangen unterdrückte. Was mich bei solchen Vorgängen am meisten empört, ist aber die mangelnde Zivilcourage deutscher Veranstalter, die sich unter dem Druck der staatlich-türkischen Genozidleugnung wegducken, unnötig Kompromisse eingehen oder gleich ganz eine Veranstaltung unterdrücken. Sie ist menschen- und bürgerrechtlich ebenso wenig hinnehmbar, wie der staatliche Druck aus der Türkei.“

Kontakt:

Armenische Gemeinde Baden Württemberg
Pfr. Dr. Diradur Sardaryan
Postfach 126, 73001 Göppingen
Tel.: 07161/8084717; Fax: 07161 / 8084709
Email: gemeindepfarrer@agbw.org
http://www.agbw.org

Arbeitsgruppe Anerkennung (AGA)
Gegen Genozid, für Völkerverständigung e.V.

Dr. Tessa Hofmann
Tel.: 030 / 8516409
Email: vorstand@aga-online.org
http://www.aga-online.org

Downloads und Links: