taz Berlin lokal Nr. 7614 vom 14.3.2005, Seite 21, 101 Zeilen (TAZ-Bericht), CEM SEY

Türken trauern um Osmanen

Morgen gedenken Berliner Türken – ausgerechnet des letzten Innenministers des Osmanischen Reiches, der 1921 in Berlin erschossen wurde. Armenier warfen ihm vor, Massaker befohlen zu haben

VON CEM SEY

Konservative Berliner Türken wollen morgen mit einer Kranzniederlegung am Charlottenburger Steinplatz einer osmanischen Größe gedenken: Talat Paschas, des letzten osmanischen Innenministers. Er kam im März 1921, im Berliner Exil, durch die Schüsse eines Armeniers um. Armenier warfen ihm vor, den Befehl zur Ausrottung ihres Volkes in Anatolien gegeben zu haben. Eine umstrittene These.

Mit der Gedenkveranstaltung möchte die Türkische Gemeinde auf ein Problem aufmerksam machen, erklärt deren Vorsitzender Taciddin Yatkin: „Talat Pascha wurde ermordet, und sein Mörder für schuldig befunden. Dennoch haben ihn damals die Deutschen freigelassen, unter dem Vorwand, der Mann sei geisteskrank gewesen.“

Yatkin will darin eine Ungerechtigkeit erkennen, die heute noch aktuell sei. „Wir sind für eine Debatte über das Thema, aber zunächst müssen die Historiker forschen können. Wenn sie ihre Arbeit beendet haben, können Politiker tun, was zu tun ist.“

Eine Anspielung auf den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsgruppe, nach dem im kommendem April im Bundestag an die im Jahr 1915 massakrierten Armenier erinnert werden soll und dem sich auch die Grünen angeschlossen haben.

Nicht wenige Berliner Türken glauben, es werde versucht, ihnen in Deutschland einen Maulkorb zu verpassen. In den Teestuben und Sportvereinen Berlins jedenfalls kritisieren türkische Migranten den Umgang mit diesem Thema – und mit ihnen. Sie beschweren sich, dass ihnen Diskussionsunwilligkeit vorgeworfen wird, sich aber umgekehrt niemand für ihre Argumente – und ihre Toten – interessiere.

Die fünf größten türkischen Verbände der Stadt warnen in einer gemeinsamen Erklärung vom vergangenen Freitag: „Eine undifferenzierte Diskussion bringt nicht nur die direkt betroffenen Bevölkerungsteile gegeneinander auf, sondern schürt auch Vorurteile und Ressentiments zwischen Eingewanderten und der Mehrheitsgesellschaft.“ Nach Meinung der Verbände, darunter der Türkische Bund Berlin-Brandenburg, die Türkisch-Islamische Union und die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung, gefährdet dies sogar den sozialen Frieden der Bundesrepublik. Dabei artikulieren sie nur das, was die große Mehrheit der Türken in Deutschland denkt: „Diese tragischen Ereignisse, bei denen auf beiden Seiten hohe Verluste an Menschenleben zu beklagen sind, erfüllen keinesfalls die Kriterien eines Völkermords.“

Viele türkischstämmige Berliner fühlen sich ohnehin von der öffentlichen Kritik in die Mangel genommen: „Wir werden von einem Thema in das andere hineingeprügelt und nach Meinung der Mehrheitsgesellschaft sind wir, egal welches Thema, pauschal die Schuldigen“, beklagt sich Ahmet Iyidirli, Bundesvorsitzender der sozialdemokratischen Partei HDF. Unter diesen Umständen traue man sich oft nicht, sich zu den strittigen Themen zu äußern: „Dann muss man befürchten, zumindest verbal gelyncht zu werden.“

taz Berlin lokal Nr. 7616 vom 16.3.2005, Seite 24, 105 Zeilen (TAZ-Bericht), CEM SEY

Türken gedenken ihres toten Pascha

Talat Pascha, der letzte Innenminister des Osmanischen Reiches, wurde vor 90 Jahren in Berlin von einem Armenier erschossen. Ausgerechnet ihn ehrten gestern 20 Türken in Charlottenburg. Eine Provokation, findet eine Journalistin

Schwieriges Gedenken gestern in Charlottenburg: Die Veranstaltung in Gedenken an den letzten osmanischen Innenminister Talat Pascha, der nach armenischer Meinung vor 90 Jahren den Befehl zum Völkermord an Armeniern gegeben hat, ist spontan organisiert. Zunächst sind mehr Journalisten am Steinplatz als Demonstranten. Am Ende sind es etwa 20 Menschen, die Talat Paschas gedenken.

Sie lehnen einen schwarz bemalten Kranz an den Gedenkstein der Opfer des Nationalsozialismus und wollen den deutschen Text auf dem Kranz korrigieren. Es fällt ihnen nicht leicht. Am Ende steht es handschriftlich: „Talat Pascha wurde am 15. März 1921 von einem Armenier ERMORDET“.

In diesem Moment erregt sich die Korrespondentin einer namhaften konservativen deutschen Zeitung: „Sie können diesen Kranz nicht dorthin stellen!“ Sie glaubt offenbar, dass der Kranz für den völkermordverdächtigen Talat Pascha vor dem Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus bleiben soll. Die türkischen Demonstranten sind verwirrt. Sie wissen nicht, warum sich die Journalistin aufregt. Sie wird lauter: „Ihre Geschichtskenntnisse hören offenbar da auf, wo es unangenehm wird!“

Tacittin Yatkin, der Vorsitzender der Türkischen Gemeinde und Organisator der Veranstaltung, begreift schließlich, was die Journalistin ärgert. Er lässt zwei junge Türken den Kranz wegtragen. Diese fragen sich immer noch: „Was soll dieser Stein da sein?“

Kameras laufen. Yatkin verliest zwischen zwei türkischen Fahnen und dem Kranz einen türkischen Text. Er berichtet sachlich, wie Talat Pascha an dieser Stelle durch die Schüsse eines Armeniers getötet und wie dieser – obwohl schuldig gesprochen – von deutschen Gerichten freigelassen wurde. Die damals erschienenen deutschen Zeitungen sollen das berichtet und vermutet haben, dass hinter dem Attentat der britische Geheimdienst gestanden habe. Yatkin beendet seine Rede mit den Worten: „Wir trauern um unseren Märtyrer und verurteilen die Mörder!“ Dann wird auf Deutsch die Aufstellung eines Gedenksteins „für den ermordeten Staatsmann“ gefordert.

Alles überstanden, denken die Demonstranten. Fehlanzeige. Plötzlich stehen weitere fünf Männer am Platz und rollen zwei andere Fahnen auf. Einer von ihnen hält eine revolutionäre Rede. Es sind ehemalige türkische Maoisten der Arbeiterpartei. Ein Aktivist behauptet, dass die USA und die Europäer mit einer Kampagne der Erinnerung an den Völkermord die Türkei zur Aufgabe ihrer nationalen Souveränität zwingen wollen. Es gebe keinen Völkermord, damals sei nur das Land der Türken verteidigt worden – gegen armenische Banden, die von Imperialisten und Russen unterstützt worden seien. Dabei hätten sich Armenier und Türken gegenseitig umgebracht.

Tacittin Yatkin mischt sich ein: „Das ist unsere Veranstaltung. Sie können hier nicht reden.“ Die Veranstaltung endet in einer Debatte, wer wann und wo reden darf. Die deutsche Journalistin empört sich weiterhin: „Ich habe so viel zu diesem Thema geschrieben. Ich finde das alles unmöglich!“ CEM SEY

Reaktionen zum Talat-Pascha-Gedenken

Historische Aufarbeitung

betr.: „Türken trauern um Osmanen“, „Türken und Armenier. Eine offene Debatte ist nötig“, Kommentar von Cem Sey, taz vom 14. 3. 05

Was treibt nur die „konservativen Türken“ Berlins, sich mit Politikern zu identifizieren, die im eigenen Heimatland für staatlich geplanten und organisierten Massenmord an Minderheiten, in diesem Fall an Armeniern und Griechen, zum Tode verurteilt wurden?

Mehmet Ali Talaat war als damaliger Innenminister für die Todesmärsche und Massaker unmittelbar verantwortlich, denen nach Schätzung der deutschen Botschaft Konstantinopel vom 4. Oktober 1916 anderthalb Millionen Armenier zum Opfer fielen, von 2,5 Millionen im Jahr 1914. Am 5. Juli 1919 verurteilte ein osmanisch-türkischer Militär-Sondergerichtshof in Konstantinopel Talaat dafür zum Tode.

Talaat war freilich zu diesem Zeitpunkt, ebenso wie andere hochrangige Vertreter des jungtürkischen Komitees „Einheit und Fortschritt“, bereits ins Ausland geflüchtet und hatte, mit Wissen und Billigung deutscher Behörden, in Berlin-Charlottenburg Unterschlupf gefunden. Auslieferungsanträge der türkischen Regierung lehnte der damalige deutsche Außenminister Dr. Solf unter anderem mit Hinweis auf die „Bündnistreue“ Talaats im Ersten Weltkrieg ab – Deutschland verhinderte auf diese Weise ein türkisches „Nürnberg“.

Es ist heuchlerisch, wenn türkische Sprecher den Anschein erwecken, als habe es in 90 Jahren seit dem Genozid an den armenischen Bürgern des Osmanischen Reiches keine wissenschaftliche, politische und juristische Aufarbeitung dieses Staatsverbrechens gegeben. Es ist weiterhin heuchlerisch, wenn sie den Anschein erwecken, als sprächen sie in dieser Sache für alle TürkInnen. Zum Glück ist dem nicht so. Der türkische Nationalismus hat sein Deutungsmonopol verloren.

Aber es kann in demokratischen Gesellschaften nicht hingenommen werden, dass solche Sprecher öffentlich ihre Sympathie mit Staatsverbrechern im Range eines Himmlers bekunden und uns über leicht nachprüfbare historische Tatsachen hinters Licht zu führen versuchen. TESSA HOFMANN, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Anerkennung Gegen Genozid, für Völkerverständigung e. V

Es ist schon erstaunlich, wie ein Blatt, das aus einem linken, emanzipatorischen Kontext heraus gegründet wurde, heute der Genozidrelativierung beziehungsweise -leugnung ein Forum bietet.

Wenn Herr Sey in seinem „Kommentar“ von „hunderttausenden ermordeten muslimischen Zivilisten“ 1915 und „mordenden armenischen Banden“ spricht, dann ist das nicht nur eine absurde Geschichtsfälschung, sondern auch ein Instrument, um die türkischen Taten abzuschwächen, da dadurch das Bild entsteht, es hätten zwei Völker oder Länder gegeneinander Krieg geführt, in dem es auf beiden Seiten tragischerweise viele Opfer gab. Genau wie diese perfide Erklärung türkischer Verbände Berlins es ja deklariert, die hier genauso unkommentiert abgedruckt wird wie die Forderung nach historischer Aufarbeitung von der Türkischen Gemeinde Berlin, der Herr Sey hätte entgegensetzen müssen, dass dies längst getan wurde und dutzende Parlamente weltweit, darunter UNO und EU, dies auch als Genozid anerkannt haben. Das ist dasselbe, als würden Nazis eine historische Aufarbeitung des Holocausts fordern und dies würde unkritisch als bloße Nachricht verbreitet werden.

Aus dieser Causa nun auch noch ein türkisches Opfermärchen zu kreieren, wonach Berliner Türken deshalb nun in der öffentlichen Meinung am Pranger stehen würden, ist absolut heuchlerisch. Diejenigen, die den Genozid beim Namen nennen, kriegen nicht mehr nur in der Türkei, in der es unter Strafe steht (siehe jüngstes Beispiel Orhan Pamuk), sondern auch in anderen Ländern den Druck türkischer Behörden und Vereine zu spüren, wie diverse Beispiele zeigen (Lepsius-Haus in Potsdam, Brandenburger Schulbuchaffäre, Streichung des Genozidstücks „beast on the moon“ von türkischen Kulturtagen in Karlsruhe, Abziehen des türkischen Botschafters aus Frankreich etc.).

Dem Ganzen wird ja noch mit der Behauptung, von türkischer Seite wäre man doch gesprächsbereit, die Krone aufgesetzt. Das Opfer soll sich also mal nicht so haben, wenn der Täter schon die Hand ausstreckt. Sollen vielleicht die Armenier am Ende noch die Türken um Verzeihung bitten, dass sie sich von ihnen haben abschlachten lassen?! HENRI GRIGORJAN

Man stelle sich das vor: Mitten in Berlin marschieren die Unbelehrbaren auf und trauern um Heinrich Himmler, oder sie legen einen Kranz nieder für Adolf Eichmann. Unvorstellbar? Vorstellbar! Türkische Organisationen in Berlin, von denen wir nur hoffen wollen, dass sie nicht wirklich die Mehrheit repräsentieren, machen sich stark für das Gedenken an Mehmet Ali Talaat, besser bekannt als Talaat Pascha. Das ist der Mann, der für den Völkermord an den Armeniern verantwortlich zeichnete. Das ist der Mann, der vor genau 90 Jahren anderthalb Millionen Menschen hat abschlachten oder in die Wüste treiben lassen.

Wirrköpfe, die einen solchen Mann heute ehren wollen? Wohl kaum – sie stehen in der Tradition türkischer Staatsräson und hängen offensichtlich am Gängelband der türkischen Auslandsvertretungen, die sich nicht scheuen, deutsche Bundestagsabgeordnete zu beleidigen, weil die sich endlich des Völkermords an den Armeniern annehmen wollen. Die Völkermordlüge ist die offizielle Politik Ankaras, die der türkische Botschafter in Berlin ohne Wenn und Aber zu vertreten hat. Dieses Land will in die EU. Es würde zweifellos die europäische Wertegemeinschaft sprengen. Tatsächlich gibt es nur einen gangbaren Weg der Türkei nach Europa: Den öffentlichen Diskurs über diesen Schandfleck türkischer Geschichte in der Türkei selbst zu eröffnen und endlich den schmerzhaften soziokulturellen Prozess der historischen Aufarbeitung zu beginnen.

Wird die Türkei diese Kraft aufbringen? Nichts spricht zur Zeit dafür. Merkwürdig übrigens, dass der deutsche Außenminister den türkischen Botschafter wegen seiner beleidigenden Äußerungen über deutsche Parlamentarier nicht zum Rapport einbestellt hat.

JOCHEN MANGELSEN, Bremen

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taz Berlin lokal Nr. 7618 vom 18.3.2005, Seite 24, 106 Zeilen (LeserInnenbrief)

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