Eine von der Istanbuler Bosporos-Universität sowie den Universitäten Bilgin und Sabanci organisierte, dreitägige Konferenz unter dem Titel „Die osmanischen Armenier während der Untergangsperiode des Reiches: Fragen der wissenschaftlichen Verantwortung und Demokratie“ sollte unlängst die überfällige wissenschaftliche Aufarbeitung der jüngeren türkischen Vergangenheit einleiten.

Zu dieser Veranstaltung waren nur türkische Wissenschaftler geladen worden, darunter auch in der Diaspora bzw. im Exil lebende Wissenschaftler, die für ihre von der Regierungsposition abweichenden Anschauungen bekannt sind.

Die heftige Kritik der Konferenz durch den Vorsitzenden der Türkischen Historikerkommission, Prof. Yusef Halacooglu (gegen den in der Schweiz wegen Genozidleugnung ermittelt wird), vor allem aber durch den türkischen Justizminister und Regierungssprecher Cemil Cicek, der die Konferenz mit einem „Dolchstoß“ verglich und die Wissenschaftler seines Landes als „Verräter“ bezeichnete, führte dazu, dass die Organisatoren sie nicht mehr durchzuführen wagten. Die konzertierte Aktion gegen diese Konferenz bildet einen ungeheuerlichen erneuten Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Forschung und Lehre in der Türkei.

Gegen diese Massnahme protestierten unter anderem die Menschenrechtsorganisation „Genocide Watch“ sowie die International Association of Genocide Scholars (siehe unten). Ein Anwaltsverband sowie der Menschenrechtsverein von Izmir erstatteten inzwischen Strafanzeige gegen den türkischen Justizminister (vgl. „Kölner Stadtanzeiger“ vom 30.05.05)


INTERNATIONAL ASSOCIATION OF GENOCIDE SCHOLARS

WE WHO SERVE AS THE EXECUTIVE COMMITTEE OF THE INTERNATIONAL ASSOCIATION OF GENOCIDE SCHOLARS PROTEST AND CONDEMN THE CANCELATION OF THE HISTORIANS CONFERENCE ON THE ARMENIAN QUESTION IN TURKEY BY THE TURKISH GOVERNMENT AS A MAJOR VIOLATION OF BASIC STANDARDS OF ACADEMIC FREEDOM IN THE FREE WORLD.

AT LONG LAST, TURKISH ACADEMICS AND INTELLECTUALS, SPONSORED BY THREE HONORABLE UNIVERSITIES, WERE SCHEDULED TO CONDUCT A CONFERENCE IN WHICH THE HISTORICAL REALITY OF THE ARMENIAN GENOCIDE WAS TO BE EXAMINED BY MANY OF THE PARTICIPATING LECTURERS.

THE GOVERNMENT OF TURKEY IS UNDERSTANDABLY STRUGGLING TO WIN ITS POSSIBLE ACCEPTANCE AS A MEMBER OF THE EUROPEAN UNION, AND IT IS IN THIS CLIMATE THAT MANY TURKISH INTELLECTUALS HAVE MOVED COURAGEOUSLY TO ADDRESS THE ARMENIAN GENOCIDE, A TRUTH WHICH IS STILL PUNISHABLE BY TURKISH LAW.

FOR THE TURKISH GOVERNMENT TO CANCEL THE CONFERENCE IS A SHAMEFUL STEP AND A SETBACK TO TURKEY JOINING THE FREE WORLD IN ITS GROWING STANDARDS OF HISTORICAL TRUTH AND RESPONSIBILITY.

THE EXECUTIVE COMMITTEE OF THE INTERNATIONAL ASSOCIATION OF GENOCIDE SCHOLARS CALLS ON THE REPUBLIC OF TURKEY TO ALLOW FULL AND FREE DEBATE AND ACADEMIC SCHOLARSHIP ON THE FATE OF THE ARMENIAN PEOPLE IN OTTOMAN TURKEY IN 1915-1923.

(SIGNED)

ROBERT MELSON, President, International Association of Genocide Scholars, Professor of Political Science, Purdue University

ISRAEL W. CHARNY, Vice-President, International Association of Genocide Scholars, Professor of Psychology and Family Therapy, Hebrew University of Jerusalem

STEVEN L. JACOBS, Secretary-Treasurer, International Association of Genocide Scholars, Associate Professor of Religious Studies, University of Alabama

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Anzeige gegen türkischen Minister

VON GERD HÖHLER, 30.05.05, 07:22h

Ministerpräsident Tayyip Erdogan unterstützt seinen Justizminister nicht.

Ankara – In der Türkei flammt die Kontroverse um die Armenier-Verfolgungen im Osmanischen Reich wieder auf. Nachdem Justizminister Cemil Cicek vergangene Woche die Teilnehmer einer geplanten Akademikerkonferenz über die Armenierfrage als „Verräter“ gebrandmarkt und damit die Absage der Tagung erreicht hatte, muss sich nun die Staatsanwaltschaft mit dem Fall beschäftigen: Ein Anwaltsverband und der Menschenrechtsverein von Izmir erstatteten am Wochenende Anzeige gegen den Minister. Er habe mit seinen Äußerungen gegen die Verfassung verstoßen, lautet die Begründung.

Die Konferenz, zu der sich auch zahlreiche namhafte ausländische Wissenschaftler angemeldet hatten, sollte sich mit dem Schicksal der Armenier im Ersten Weltkrieg beschäftigen. Nach armenischer Darstellung, die von den meisten internationalen Historikern geteilt wird, fielen damals im untergehenden Osmanischen Reich fast 1,5 Millionen Armenier einem Völkermord zum Opfer. Die Türkei bestreitet das. Justizminister Cicek hatte den Veranstaltern und Teilnehmern der geplanten Konferenz mit dem Titel „Ottomanische Armenier während dem Fall des Reiches“ vorgeworfen, sie stießen „der Türkei einen Dolch in den Rücken“ und strafrechtliche Konsequenzen angedeutet. Die staatliche Bosporus-Universität, an der die Konferenz stattfinden sollte, sagte die Veranstaltung daraufhin ab.

Die Intervention des Justizministers hat in Teilen der türkischen Öffentlichkeit und im Ausland Kritik und Empörung ausgelöst. „Wir haben wieder einmal das getan, was wir am besten können: uns selbst ins Bein geschossen“, kommentierte der angesehene Kolumnist Metin Münir in der Zeitung „Vatan“. Der Historiker Andreas Riedlmayer von der Harvard Universität meinte: „Dies ist kein guter Tag für die akademische Freiheit in der Türkei.“ Ein EU-Diplomat in Ankara sagte, die „autoritären“ Äußerungen des Justizministers stellten den Reformprozess in der Türkei in Frage. Ministerpräsident Tayyip Erdogan ging auf Distanz zu seinem Minister und sagte, ihn hätte es nicht gestört, wenn die Konferenz stattgefunden hätte.
(KStA)