Die Arbeitsgruppe Anerkennung – Gegen Genozid, für Völkerverständigung e.V. lädt zur folgenden Veranstaltung ein.

Samstag, 19. Januar 2019, ab 19:00 Uhr:

Einführung und Moderation: Tessa Hofmann (AGA e.V.)

Die Veranstaltung steht unter einem herausfordernden Titel. Denn nach dem osmanischen Genozid während des Ersten Weltkriegs, den der republikanische türkische Nachfolgestaat bis heute bestreitet, folgten Jahrzehnte der kultur- und religionspolitischen Diskriminierung und Unterdrückung. Die Schutzbestimmungen des Lausanner Vertrages (1923) für nichtmuslimische Minderheiten in der Republik Türkei wurden in vielfältiger Weise weitgehend ausgehöhlt. Den Nachfahren armenischer Völkermordüberlebender, denen keine Flucht ins Ausland gelang oder die ihre Heimat nicht aufgeben wollten, blieb oft nur die kulturelle und religiöse Anpassung an die regionale muslimische Mehrheitsbevölkerung.

Der Informationsabend soll die aktuellen Bedingungen armenischer Existenz beleuchten: Welche kollektiven und individuellen Rechte und Möglichkeiten haben Menschen, die sich als Armenier definieren, im Alltag, auf dem Arbeitsmarkt sowie im gesellschaftlichen Leben? Können sie ihre armenische Identität uneingeschränkt bzw. öffentlich leben? Und wie definiert sich überhaupt heute Armeniertum in der Türkei? Welche Rolle spielt dabei die Religion bzw. die Zugehörigkeit zur armenisch-apostolischen Kirche? Anders gefragt: Ist eine armenische Identität jenseits der christlichen Religion denkbar (dies mit Blick auf jene Menschen in der Türkei, die armenischer Abstammung sind, doch muslimischen Glaubens). Und welche regionalen bzw. lokalen Besonderheiten gibt es?

Die Einführung der AGA-Vorsitzenden Dr. phil. Tessa Hofmann stützt sich auf Rechercheergebnisse des armenisch-argentinischen Journalisten und Autors Avedis Hadjian; 2011-14 hat er zahlreiche so genannte Kryptoarmenier in verschiedenen Regionen der Türkei zu ihrem Selbstverständnis und ihren Lebensbedingungen befragt und zeichnet auf dieser Grundlage in seinem umfangreichen Buch „Secret Nation: The Hidden Armenians of Turkey“ ein äußerst differenziertes Bild. Aber ist es noch aktuell? Die Türkei des Jahres 2018 ist nicht mehr die Türkei „vor dem Gezi-Park“.

Um genaueren Aufschluss zu erlangen, hat AGA e.V. den Verleger und Journalisten Miran Pirgiç Gültekin eingeladen; 2010 entschloss sich der aus Dersim gebürtige Armenier, seinen türkischen Vornamen Selahattin amtlich durch einen armenischen Namen ersetzen zu lassen, trat zum Christentum über und gründete die Vereinigung der Dersim-Armenier für Glauben und Sozialhilfe: „Verstecken war keine Option mehr. Die Ungerechtigkeit drohte mich zu ersticken!“

Seine Thesen zu unseren Fragen lauten: „In den letzten Jahren wurden im Zug des türkischen EU-Beitrittsprozesses verschiedene Schritte zur Demokratisierung unternommen. Es gab relative Erleichterungen. Ein Teil des beschlagnahmten Eigentums wurde rückerstattet. Und es wurden armenische Abgeordnete gewählt. Aber gegenwärtig erfolgt ein Rückschlag. (…) Ja, man kann Armenier sein und als Armenier in der Türkei leben. Aber es ist immer noch sehr schwierig, ein armenischer Bürger zu sein.“

Wir laden Sie zu einer anregenden Diskussion über Menschen- und Minderheitenrechte ein!

Vortrag von M.P. Gültekin und Gespräch erfolgen auf Türkisch, mit konsekutiver Übersetzung durch Ayşe Tetik (Institut für Turkologie, Freie Universität Berlin)

Veranstaltungsort: Haus der Demokratie und Menschenrechte

Robert Havemann-Saal, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

Downloads:

„Kann man Armenier in der Türkei sein?“ – Vortrag und Gespräch