Das Jahr 2023 bietet dem Thema Menschen- und Minderheitenrechte gleich in dreifacher Hinsicht kalendarische Anlässe mit gleichzeitigem Bezug auf das Osmanische Reich bzw. die Republik Türkei als dessen Nachfolgerstaat. Die spätosmanischen Genozide im Zeitraum 1912-1922 prägten die völkerrechtliche Genozid-Definition der Vereinten Nationen (zusammen mit der von den Nationalsozialisten begangenen Vernichtung der europäischen Juden). Die Republik Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches ermöglichte durch ihre Weigerung einer juristischen Aufarbeitung dieser Verbrechen deren Wiederholung.

Veranstaltungsort: Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str, 4, 10405 Berlin, Robert Havemann-Saal

Programm

1.     Die Republik Türkei: eine minderheitenrechtliche Bestandsaufnahme und Analyse (Samstag, 11. Nov. 2023, ab 18:30 Uhr)

  • Vortrag Diskriminierung, Zwangsausbürgerung, Deportationen und Völkermord

Dieser Vortrag vermittelt einen Überblick über die schwersten Verletzungen des Völker-, Minderheiten und Menschenrechte in der 100jährigen Geschichte der Republik Türkei:

  • „Ethno-religiöse Entmischung“: Zwangsausbürgerungen und -ausweisungen infolge der Lausanner Verträge (1923);
  • Deportationen von Kurden und alevitischen Dersimis;
  • Genozid des türkischen Militärs in Dersim 1937/38;
  • die selektiv gegen Nichtmuslime (Griechen, Armenier, Juden) gerichtete Luxus- bzw. Kapitalsteuer 1942/43 (varlık dergisi);
  • die „Istanbuler Kristallnacht“ vom 5./6. Sept. 1955 (griech. Septembriana);
  • weitere Zwangsausweisungen von Griechen im Zuge der Zypernkrise.

Referentin: Dr. phil. Tessa Hofmann (30 Min. + Diskussion) Tessa Hofmann_Vortrag_Minderheitenrechte_Republik Türkei

English: https://european-syriac-union.org/news-reader/lecture-discrimination-forced-denaturalization-deportations-and-genocide-en.html?fbclid=IwAR2qSleSFgWZKUo6NREN6Hccd1ycyObzwzsHcZDjzF5bVBwbJHjHzM-wqdc

Vortrag „100 Jahre Republik Türkei, 100 Jahre Lausanner Vertrag und 100 Jahre Nichteinhaltung des Minderheitenrechts in der Türkei“ (30 Min. + Diskussion)

Referent: Dr. iur. David Jacob (D. Jacob hat über dieses Thema mit Auszeichnung promoviert. Seine als Buch veröffentlichte Dissertation behandelt das Recht auf eigene Existenz, Religion und Sprache ethno-religiöser bzw. nichtnationaler Gemeinschaften in der türkischen Verfassung sowie im multilateralen Lausanner Vertrag.). David Jacov_Präsentation_Folien

An dieser Veranstaltung ist auch eine digitale Teilnahme möglich: https://us06web.zoom.us/j/95439634725?pwd=eHlyN1FNZnJISjJjWHZXNzRJQWpHUT09

2.       Von der Reform (Tanzimat) zum Genozid: Nichtmuslimische Minderheiten im Osmanischen Reich (Samstag, 18. November 2023, ab 18:30 Uhr)

Dargestellt und erläutert werden folgende Aspekte:

  • Die Rechtsstellung der osmanischen Nichtmuslime im Verlauf des 19. und frühen 20. Jhs.
  • Der Militärputsch der Komitees Ittihat ve Terakki (alias Jungtürken) 1908 und ihre bevölkerungspolitische Radikalisierung 1909-1914
  • Genozid als Kriegsfolge (Balkankriege 1912/3, Erster Weltkrieg, Türkisch-republikanischer „Befreiungskrieg“ 1919-1922
  • Versuche der strafrechtlichen Aufarbeitung 1919/20 und deren Abwehr durch die kemalistische Gegenregierung
  • Die Folgen verweigerter historischer Verantwortungsübernahme

Referentin: Dr. phil. Tessa Hofmann (30 Min. + Diskussion) Tessa Hofmann_Vortrag_Vom Tanzimat zur Republik Türkei_17112023 Folien: Tessa Hofmann_Vortrag_Vom Tanzimat zum Genozid_Folien_18112023

Pause

Vortrag Von Armenien zu einer internationalen Menschenrechtserklärung: Der Beitrag von Andrej N. Mandelstam

 Der russisch-jüdische Diplomat, Orientalist und Rechtsgelehrte Dr. iur. Andrej N. Mandelstam beobachtete die Politik und Rechtsverhältnisse im Osmanischen Reich. 1913 war er Delegierter der russischen Botschaft in der Kommission für die Reformen in Türkisch-Armenien und Begründer des Reformprojekts. Nach dem Ersten Weltkrieg begann A. Mandelstam die Tragfähigkeit der im Völkerbund entwickelten neuen Ansätze für die Lösung der Probleme Armeniens und von Minderheitenfragen generell zu prüfen und formulierte die Notwendigkeit eines universellen menschenrechtlichen Ansatzes im Völkerrecht. Seine Ideen gingen weit über das in der Zwischenkriegszeit herrschende Völkerrechtsverständnis im Rahmen des Völkerbunds hinaus. Mandelstam proklamierte Prinzipien eines menschenrechtlichen Universalismus, die erst nach dem zweiten Weltkrieg umgesetzt werden konnte.

(Vortrag: Manvel Asratian; 30 Min. + Diskussion) Manvel Asratian_Vortrag Mandelstam_Folien

An dieser Veranstaltung ist auch eine digitale Teilnahme möglich: https://us06web.zoom.us/j/95439634725?pwd=eHlyN1FNZnJISjJjWHZXNzRJQWpHUT09

3.      Podiumsdiskussion Menschen- und Minderheitenrechte heute (Sonntag, 19. November 2023, ab 18:30 Uhr)

Wir blicken am Ende dieser Veranstaltungsreihe auf aktuelle Ereignisse.

Fragestellungen:

  • Welche Rolle spielen Religionen bei Verbrechen gegen die Menschheit (crimes against humanity), Kriegsverbrechen und Genozid? (Beispiele: osmanischer Genozid an etwa drei Millionen Christen; Genozid in Bosnien; aktuell: Genozid(gefahr) für Rohingya (Myanmar) und Ujguren (China)
  • Krieg als Auslöser von „atrocity crimes“ (Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschheit/Menschlichkeit, Völkermord)
  • Maßnahmen zur Prävention? Was können wir tun?

TeilnehmerInnen:

Giyasettin Sayan; Roman Kühn (Direktor des Berliner Büros der GfbV (zu den Themen Rohingya, Ujguren, Krieg und Völkermord in Bosnien); Hevgirt Heso (zum Thema Genozid an Jasid*innen 2014),  Taline Akkaya (Vorsitzende des Bundesjugendverbandes der Armenier*innen in Deutschland e.V. (zur aktuellen Gefährdung von Armenier*innen im Südkaukasus).

Moderation: Dr. phil. Tessa Hofmann

An dieser Veranstaltung ist auch eine digitale Teilnahme möglich: https://us06web.zoom.us/j/95439634725?pwd=eHlyN1FNZnJISjJjWHZXNzRJQWpHUT09