Die AGA-Mitbegründerin und langjährige Vereinvorsitzende Dr. Tessa Hofmann dankt dem Bundespräsidenten für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes und bittet um seinen Einsatz zur Befreiung der in Aserbaidschan seit 2020 gefangen gehaltenen Zivilisten und Kriegsgefangenen sowie der armenischen politischen Gefangenen:

02.11.2025

An den

Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier

Spreeweg 1

10557 Berlin

E-Mail: bundespraesidialamt@bpra.bund.de

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

für Ihre Anordnung vom 13. Juni 2025 zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes – ausgehändigt am 20. Oktober 2025 – danke ich Ihnen sehr herzlich. Denn diese Auszeichnung würdigt die Ziele und Menschen, für die ich mich über fünf Jahrzehnte, also zwei Drittel meines Lebens, ehrenamtlich eingesetzt habe. In den entsprechenden Gemeinschaften von Menschen armenischer, griechisch-kleinasiatischer, syroaramäischer und alevitischer Herkunft wurde sie als Zeichen der Wahrnehmung und Anerkennung ihrer Schicksale und ihrer anhaltenden Sorgen empfunden.[1]

Verbunden mit meinem Dank möchte ich zugleich eine Bitte aussprechen:
Setzen Sie sich, sehr geehrter Herr Bundespräsident, weiterhin für die Freilassung der zu Unrecht und unter völker- und menschenrechtswidrigen Bedingungen in Aserbaidschan inhaftierten armenischen Kriegs- und politischen Gefangenen ein.

Seit dem 2. Karabachkrieg (2020) ist Aserbaidschan in die Billigung, Ermöglichung und direkte Begehung von Zwangsverschleppungen und außergerichtlichen Tötungen sowohl ethnisch armenischer Zivilisten als auch Soldaten in geheimen Haftanstalten verwickelt. Aussagen von Angehörigen der Opfer und gelegentlich auch von Personen, die gewaltsam inhaftiert und später wieder freigelassen wurden, belegen, dass die aserbaidschanischen Behörden die geheimen Haftbedingungen und den Status des „Vermissten“ gezielt ausnutzen, um den ethnisch armenischen Gefangenen und ihren Familienangehörigen schweren physischen und psychischen Schaden zuzufügen. Darüber hinaus haben aserbaidschanische Beamte dem IKRK und dem Staat Armenien absichtlich Informationen über den Aufenthaltsort vermisster Personen vorenthalten.

Nach der militärischen Einnahme der Region Bergkarabach im September 2023 wurden zahlreiche Armenier – darunter zivile Funktionsträger, frühere gewählte Vertreter und Angehörige humanitärer Organisationen – verschleppt oder festgenommen. Dies betrifft unter anderem den früheren Staatsminister Ruben Vardanyan (Wardanjan), die ehemaligen Präsidenten Arayik Harutjunjan, Bako Sahakjan und Arkadi Ghukasyan (Rukasjan), den Parlamentspräsidenten David Ishkhanyan (Ischchanjan) sowie weitere politische und militärische Repräsentanten der einstigen De-Facto-Republik Arzach.

Ihre Inhaftierung und die gegen sie geführten Verfahren widersprechen dem trilateralen Waffenstillstandsabkommen vom 9. November 2020, das ausdrücklich den Austausch aller Kriegsgefangenen und die Rückführung aller Inhaftierten vorsah. Internationale Menschenrechtsorganisationen – darunter Amnesty International, die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Christian Solidarity International (CSI) und Humanitarian Aid Relief Trust (HART UK) – haben wiederholt dokumentiert, dass armenischen Gefangenen grundlegende Rechte verwehrt werden. Berichte belegen Folter, Misshandlungen und entwürdigende Haftbedingungen. Die Gerichtsverfahren in Baku finden unter Ausschluss unabhängiger Beobachter statt und erfüllen nicht die Anforderungen eines fairen Prozesses gemäß Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die Entschließungen des Europäischen Parlaments hinweisen: So wurde am 13. März 2025 eine Resolution mit dem Titel „Unlawful detention and sham trials of Armenian hostages, including high-ranking political representatives from Nagorno-Karabakh, by Azerbaijan“ angenommen, in der die Freilassung der dort inhaftierten Armenier gefordert wird. (eur-lex.europa.eu) Bereits im Oktober 2024 hatte das Europäische Parlament eine weitere Resolution verabschiedet und darin die Regierung Aserbaidschans aufgefordert, alle armenischen Gefangenen freizulassen sowie die Rückkehr der armenischen Bevölkerung in Bergkarabach zu gewährleisten. (eu.mfa.am) Diese Voten unterstreichen die Dringlichkeit dieses humanitären und rechtlichen Problems auf europäischer Ebene.

Ihre Reise nach Armenien und Aserbaidschan im Frühjahr 2025 hat weithin Beachtung gefunden. Viele Menschen hoffen, dass Ihre Gespräche dazu beitragen, den Weg zu einer gerechten und dauerhaften Friedenslösung in der Region zu öffnen. Zugleich bleibt das Schicksal der armenischen Gefangenen von zentraler humanitärer Bedeutung. Ein erneutes und öffentliches Eintreten Ihrerseits für ihre Freilassung wäre ein kraftvolles Signal der Solidarität und der moralischen Verantwortung Deutschlands in einer Region, in der Recht und Gerechtigkeit allzu oft missachtet werden.

Ich bitte Sie daher eindringlich, auch nach Ihrer Rückkehr die Situation dieser Gefangenen im Blick zu behalten und sich gegenüber den zuständigen internationalen Partnern für deren sofortige und bedingungslose Freilassung einzusetzen. Ebenso wäre Ihre Unterstützung für den fortgesetzten Einsatz der Europäischen Beobachtungsmission (EUMA) an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze ein wichtiges Zeichen für Stabilität und Frieden.

Als langjährige ehrenamtliche Mitarbeiterin im Bereich der Menschenrechts- und Minderheitenarbeit – mit einem besonderen Schwerpunkt auf den Diaspora-Gemeinschaften armenischer Herkunft – fühle ich mich dieser Thematik seit Jahrzehnten persönlich verpflichtet. Ich hoffe von Herzen, dass Sie Ihre moralische und politische Autorität weiterhin für diese humanitären Anliegen einsetzen werden.

Mit vorzüglicher Hochachtung
(Tessa Savvidis)

[1] https://www.aga-online.org/aga-gruendungsmitglied-dr-tessa-hofmann-wurde-am-20-oktober-2025-das-bundesverdienstkreuz-ueberreicht/

Appell an Bundespräsidenten Steinmeier_Text_02112025