Der Genozid an etwa drei Millionen osmanischen Christ:innen – Armenier:innen, griechisch-orthodoxen sowie syro-aramäischen Christ:innen – wird nach über einhundert Jahren zunehmend zum literarischen Thema, zuletzt auch in der deutschsprachigen Prosa. Denn in der amerikanischen und französischen Prosa gehören dank der großen Diasporagemeinschaften in den USA sowie Frankreich die Erinnerungen der Nachfahren von Völkermordopfern schon seit etwa fünfzig Jahren zum festen literarischen Repertoire.

Es ist hauptsächlich die Enkelgeneration, die in Familien-, Reise- und Bildungsromanen, oft auto-fiktional gestaltet, die Erfahrungen ihrer Vorfahren mit Verfolgung, Vernichtung und Vertreibung aufarbeitet bzw. ihre Leser damit anklagend konfrontiert. Gegenstände, die das schwere, weil traumatische Erbe symbolisieren, spielen für die Gestaltung ebenso eine bedeutende Rolle wie die Herkunft und Sprachzugehörigkeit der Autor:innen. Sind sie sprachlich Englisch, Russisch, Türkisch oder Deutsch sozialisiert worden? Was bedeutet es ihnen, das einst tabuisierte Völkermordthema ins Bewusstsein nicht-betroffener Mehrheiten zu rücken? Oder handelt sich bei der postgenozidalen Erinnerungsprosa zumindest teilweise auch um therapeutisches Schreiben?

Der Vortrag von Dr. Tessa Hofmann führt in die Entstehung und den Entwicklungsverlauf der postgenozidalen Erinnerungsprosa ein und stellt ihre charakteristischen Motive sowie Symbole, Konfliktkonstellationen und Gestaltungsformen vor. Kurze Textlesungen aus Romanen und Erinnerungen von Peter Balakian, Micheline Aharonian Marcom, Fethiye Çetin, Laura Cwiertnia, Katerina Poladjan, Marc Sinan und Susanna Harutjunjan illustrieren die Ausführungen.

Moderation: Dr. Roy Knocke

Veranstaltungsort: Lepsiushaus Potsdam, Große Weinmeisterstraße 45, 14469 Potsdam

Tessa Hofmann_Vortrag_Postgenozidale Erinnerungsprosa_LHP_23062023